Die Schattenseiten der Quote
Erfahrungen in anderen Ländern zeigen: Aus Bevorzugung kann Benachteiligung werden – auch für Frauen
Plötzlich ist die Quote »in«. Nicht nur in einigen deutschen Ministerien festigt sich die Überzeugung, sie sei ein geeignetes Instrument, um endlich mehr Frauen in die Führungsetagen von Unternehmen zu holen. In Norwegen und Spanien gibt es bereits Quotenregelungen; die Gesetzgeber in Frankreich sowie in den Niederlanden haben soeben nachgezogen.
Von Jan Lüttringhaus
Die Befürworter einer Frauenquote stützen sich auf Untersuchungen wie die jährlichen Women matter- Studien der Unternehmensberatung McKinsey, die dem »female factor« eine positive Wirkung zusprechen: Frauen führten anders und trügen dadurch wesentlich zum wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens bei. Allerdings dürften sie keine Einzelkämpferinnen bleiben, weil erst das Zusammenspiel mehrerer Frauen die männlichen Entscheidungsmuster wirksam aufbrechen könne. Da sich aber die Zahl der Frauen in Führungspositionen in den letzten Jahren kaum erhöht hat, dringen die Befürworter nun auf eine Initialzündung durch eine befristete Quote für Aufsichtsräte und Vorstände.
Tatsächlich ist es gerade in Zeiten des Fachkräftemangels volkswirtschaftlich kaum nachvollziehbar, weshalb das große Potenzial weiblicher Bewerber nicht auf allen Hierarchieebenen genutzt wird. Wie der Schnitt ihrer Hochschulabschlüsse belegt, sind Frauen genauso gut wie Männer, vielfach sogar besser qualifiziert. Da wirkt es geradezu beschämend, dass Frauen in den Führungsetagen der 500 größten deutschen Unternehmen gerade einmal rund 2,4 Prozent der Posten besetzen.
Bei der Diskussion in Deutschland wurde aber bislang wenig beachtet, dass andere Länder nicht nur positive Erfahrungen mit dem Bevorzugungsinstrument der »umgekehrten Diskriminierung« gemacht haben. Egal, ob das Mittel wie in den USA affirmative action oder wie hierzulande Quote heißt: Es soll vergangene Ungleichbehandlungen und deren Folgen ausgleichen – durch neue Ungleichbehandlungen in der Gegenwart. Auch eine umgekehrte Diskriminierung ist eine Diskriminierung.
»Umgekehrte Diskriminierung« vertieft die Gräben
Zu einiger Berühmtheit ist in diesem Zusammenhang der Rechtsstreit Ricci gegen DeStefano in den USA gelangt. Um Personalverantwortung zu bekommen, strengte sich der Feuerwehrmann Frank Ricci besonders an. Trotz seiner Sprachschwäche bestand er den Eignungstest als einer der Besten. Und doch wurde ihm und 18 weiteren Feuerwehrmännern die Beförderung versagt.
Die Begründung des Arbeitgebers: Im Test waren ausgerechnet diejenigen Personen durchgefallen, die durch affirmative action- Maßnahmen hätten begünstigt werden sollen – in diesem Fall Amerikaner afrikanischer Abstammung. Der Arbeitgeber fürchtete ihre Klagen, sobald er anderen (wenn auch qualifizierteren) Mitbewerbern den Vorzug geben würde – und benachteiligte dadurch ausgerechnet jemanden wie Frank Ricci, der besonders hart gearbeitet hatte. So werde das mühsam erkämpfte Gleichheitspostulat infrage gestellt, befanden auch die an dem Fall beteiligten Richter des Supreme Court.
Durch Frauenquoten werden gleich qualifizierte Männer allein aufgrund ihres Geschlechts zurückgesetzt. Dabei kann es passieren, dass die derart »umgekehrt diskriminierte« Gruppe den Anreiz, etwas zu leisten, verliert – der Erfolg scheint ihr ja von vornherein verwehrt, warum sollte sie sich also anstrengen. Diese Ungleichbehandlung führt daher auch fast zwangsläufig zu Animositäten zwischen den Bewerbergruppen. Genau die Unterschiede, die das Bevorzugungsinstrument eigentlich zu überwinden sucht, werden paradoxerweise noch betont und vertieft.
Den Erfolgen der begünstigten Gruppe wiederum haftet stets der fade Beigeschmack an, die Stellung durch Bevorzugung, nicht aber vorrangig durch Leistung erlangt zu haben.
Die Privilegierten werden bevorzugt
Auch profitieren von einer Quote meist vor allem die Mitglieder der bevorzugten Gruppe, die ohnehin schon begünstigt sind. Zu diesem Ergebnis kommt der amerikanische Ökonom Thomas Sowell in seiner empirischen Untersuchung Affirmative Action Around the World. Die jüngste Statistik des Osloer Center for Corporate Diversity ist das beste Beispiel dafür. In Norwegen, in dem Staat, der als erster eine verbindliche Quote von durchschnittlich 40 Prozent für die Leitungsgremien von Unternehmen eingeführt hat, teilt sich eine Elite von nur rund 70 Topmanagerinnen mehr als 300 der auf Frauen entfallenden Führungsposten. Jede dieser Frauen hat also im Durchschnitt vier Mandate inne.
Familienmenschen werden weiter das Nachsehen haben
Dass Menschen mit einer solchen Arbeitsbelastung wenig Zeit für Familie bleibt, liegt auf der Hand. Dabei werden in Studien zu Geschlechterquoten den Frauen, die den bewundernswerten Spagat zwischen Familie und anspruchsvollem Beruf meistern, besonders gute Managereigenschaften wie Verantwortungsbewusstsein, Lösungsorientierung, Empathie und Kommunikationsfähigkeit zugeschrieben. Es ist aber mehr als zweifelhaft, ob diese in Führungspositionen besonders erwünschte Zielgruppe tatsächlich von einer Frauenquote profitieren würde.
Das Kinderkriegen ist immer noch ein Karrierehindernis. Während Feierabendväter und kinderlose Frauen an ihrem Lebenslauf feilen, fallen viele Frauen in der entscheidenden Phase zwischen 30 und 40 oft noch für mehrere Jahre aus – ein Karriererückstand, den selbst die Qualifiziertesten unter ihnen häufig nicht mehr aufholen. Das wird sich auch mit einer Frauenquote nicht ändern. Es ist vielmehr zu erwarten, dass sie Kinder- und Bindungslose in die leitenden Funktionen hebt, während Familienmenschen – beiderlei Geschlechts – weiterhin das Nachsehen haben.
In Norwegen zeigt sich übrigens noch ein weiteres Problem. Dort mussten nur Unternehmen mit einer bestimmten Rechtsform die Quote einführen. Die Folge: Zwischen 2001 und 2008, also etwa ab dem Beginn der Diskussion um die Quote, ging die Zahl der Unternehmen mit dieser Rechtsform um 23 Prozent zurück, wie eine Studie der University of Michigan belegt. Im selben Zeitraum stieg die Zahl der Unternehmen, die in anderen Rechtsformen organisiert sind, und norwegische Firmen flüchteten ins Ausland. Außerdem fielen die Unternehmenswerte bei der Ankündigung der Quote – durchschnittlich um 2,6 Prozent; bei Firmen, die noch gar keine Frau in ihren Führungsgremien hatten, sogar um bis zu fünf Prozent. Die Leiterin der Studie, Amy Dittmar, erklärt die Ängste der Unternehmen mit der Sorge, dass vielen Frauen, die nun plötzlich an die Unternehmensspitzen gesetzt werden sollten, die Management-Expertise fehlen könnte.
All diese Erfahrungen zeigen: Starre Geschlechterquoten haben Schattenseiten. Gerade den Frauen, die Karriere und Familie vereinbaren wollen, dürfte ein Ausbau der Kinderbetreuungsangebote wesentlich mehr nützen als jede Quote. Wie wäre es mit einer »freiwilligen Selbstverpflichtung« von Staat und Wirtschaft zur Schaffung von mehr Kitas? Sobald die Unternehmen erkennen, dass Frauen in Führungspositionen das wirtschaftliche Wohlergehen des Betriebes fördern, wirkt sowieso eine Kraft, die stärker ist als alle gesellschaftspolitischen Zwangsmaßnahmen: Aus wirtschaftlichem Eigeninteresse heraus werden die Unternehmen in einen Wettbewerb um qualifizierte Frauen treten.
Der Autor forscht am Hamburger Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht