„Das galaktische Zentrum bietet fantastische Möglichkeiten“
Interview mit Reinhard Genzel über seine Beobachtung eines Effekts der allgemeinen Relativitätstheorie
Im Herzen der Milchstraße lauert mit hoher Wahrscheinlichkeit ein schwarzes Loch. Die Astronomen um Reinhard Genzel, Direktor am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching bei München, nehmen die Umgebung der Schwerkraftfalle immer wieder genau unter die Lupe. Jetzt ist den Forschern eine Glanzleistung der Beobachtungskunst gelungen: Aus der Bewegung eines Sterns namens S2 um das 26.000 Lichtjahre entfernte schwarze Loch haben sie einen von Albert Einstein vorausgesagten Effekt gemessen, die sogenannte Gravitations-Rotverschiebung. Was hat es mit der Beobachtung auf sich?
Sie mustern die Umgebung des schwarzen Lochs im Zentrum der Milchstraße seit mehr als 20 Jahren. Haben Sie nach der jetzt entdeckten Gravitations-Rotverschiebung gezielt gesucht, oder war das ein Zufallsbefund?
Nein, das war ganz und gar kein Zufall, wir haben seit einer Dekade gezielt danach gesucht und das Experiment vorbereitet. Denn wir wissen schon lange, dass das Objekt im galaktischen Zentrum sehr massereich ist und sich dahinter mit hoher Plausibilität ein schwarzes Loch verbirgt. Aber zwischen Plausibilität und physikalischer Sicherheit gibt es doch einen Unterschied. Daher denken wir uns alle möglichen Tests aus, für die das Zentrum unserer Milchstraße fantastische Möglichkeiten bietet. Kurz: Unsere aktuelle Messung der Gravitations-Rotverschiebung ist schon ein sehr starker Beweis für die Existenz des schwarzen Lochs im galaktischen Zentrum – und für die allgemeine Relativitätstheorie.
Die aktuellen Beobachtungen spielen sich ja an der Grenze zum Messbaren ab. Welche instrumentellen Voraussetzungen waren für den Erfolg nötig?
Tatsächlich wären solche Messungen vor einigen Jahren gar nicht möglich gewesen. Damals haben wir mit einem einzigen Acht-Meter-Spiegel des Very Large Telescope das Herz der Milchstraße beobachtet. Jetzt nutzen wir dazu alle vier Fernrohre der Anlage in Chile gleichzeitig, indem wir die Interferometrie einsetzen. In der Radioastronomie ist dieses Verfahren, bei dem sich die Wellen eines Objekts überlagern und dieses im Ergebnis schärfer erscheint, schon seit Jahrzehnten etabliert – im Optischen dagegen nicht. Daher hat das Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik unter Leitung von Frank Eisenhauer zusammen mit dem Max-Planck-Institut für Astronomie, der Europäischen Südsternwarte, der Universität Köln, zwei französischen CNRS-Instituten sowie Instituten in Porto und Lissabon ein sehr komplexes Instrument namens Gravity entwickelt. Es verarbeitet die Signale der vier Einzelteleskope und verbessert im Infrarotbereich die Detailauflösung enorm. Das heißt, das Very Large Telescope könnte dank Gravity zwei nebeneinanderliegende Zwei-Euro-Münzen auf dem Mond sichtbar machen. Es ist nicht übertrieben zu behaupten, dass Gravity im optischen Bereich in Sachen Interferometrie einen Durchbruch bedeutet.
Eine wesentliche Rolle bei der Beobachtung spielt ja wohl auch die adaptive Optik. Was steckt dahinter?
Turbulenzen in der Erdatmosphäre verzerren die Wellenfronten des Sternenlichts. Im Prinzip geht es darum, die Wellenberge und -täler auszugleichen. Dies geschieht mithilfe eines Spiegels im Teleskop, an dessen Rückseite mechanische Stößel sitzen. Diese sogenannten Aktuatoren verformen die Oberfläche dieses kleinen Spiegels im Strahlengang bis zu tausendmal pro Sekunde und schalten auf diese Weise die Verzerrungen aus. Damit erreichen wir die theoretische Auflösung des Teleskops – und die ist um einen Faktor zehn höher als jene ohne Korrektur der Luftunruhe.
Sie sagten, das Zentrum der Milchstraße biete fantastische Möglichkeiten, um letztlich die allgemeine Relativitätstheorie auf den Prüfstand zu stellen…
… und die von uns gemessene Rotverschiebung ist einer der Tests. Dazu muss man wissen, dass eine solche Rotverschiebung nicht nur vom Dopplereffekt herrührt. Den kennen wir aus dem Alltag, wenn etwa ein Rettungswagen an uns vorbeifährt und die Tonhöhe des Martinshorns an- und abschwillt. Dies bedeutet gleichzeitig eine Verschiebung der Wellenlänge in den kurz- beziehungsweise langwelligen Bereich. Das gibt es auch bei Lichtwellen, wo man dann von Blau- oder eben Rotverschiebung spricht. Unabhängig davon tritt nach der allgemeinen Relativitätstheorie auch im Schwerefeld eine Rotverschiebung auf, wenn sich Licht dort bewegt und gewissermaßen dagegen ankämpft. Diesem Effekt unterliegt die Strahlung des Sterns S2, der sich bis auf eine Distanz von rund 14 Milliarden Kilometer – das entspricht dem dreifachen Abstand des Planeten Neptun von der Sonne – dem schwarzen Loch annähert. Am 19. Mai diesen Jahres passierte S2 auf seiner Bahn wieder einmal den Ort der geringsten Distanz. Das war für uns eine einmalige Gelegenheit, die Gravitations-Rotverschiebung zu messen.
Können Sie sich noch weitere Tests für die allgemeine Relativitätstheorie vorstellen?
Ja, ein weiterer Test wäre die Schwarzschild-Präzession. Das klingt kompliziert, ist im Grunde aber einfach: Nach der allgemeinen Relativitätstheorie laufen Himmelskörper, die sich um eine zentrale Masse bewegen, nicht auf geschlossenen Bahnkurven. So wandert der Punkt der größten Annäherung, das Perihel, ständig im Raum weiter. Schön zu beobachten ist das beim Planeten Merkur, dessen Periheldrehung schon seit langem bekannt ist. Deren gemessener Wert stimmt mit Einsteins Voraussage exakt überein. Einen derartigen Effekt sollten wir auch bei den Bahnen von Sternen beobachten, die sich um das zentrale schwarze Loch der Milchstraße bewegen. Tatsächlich sehen wir schon erste Anzeichen dafür. In zwei Jahren müssten wir dann statistisch signifikante Messungen haben. Der beste Test für die allgemeine Relativitätstheorie wäre im Übrigen, wenn ein Stern vor unseren Augen ins schwarze Loch fallen würde. Leider passiert das statistisch nur einmal alle 10.000 Jahre.
Der von Ihrer Gruppe gemessene Gravitationseffekt ist ein wunderbarer Beweis für die Einsteinsche Relativitätstheorie. Gibt es an der Gültigkeit dieser Theorie überhaupt noch irgendwelche Zweifel?
Oh ja! Um es drastisch auszudrücken: Die uns bisher bekannten physikalischen Gesetze gelten nur für einen beschränkten Parameterbereich. Insbesondere das Allerkleinste und das Allergrößte, sprich Quantenphysik und Relativitätstheorie, passen nicht zueinander. Und eine entsprechende Quantentheorie der Gravitation ist bisher noch nicht entwickelt worden.
Interview: Helmut Hornung