Eine kleine Geschichte der Eigenheimidee
Von ursprünglich konservativer Sozialpolitik zum Sprengstoff in Hauspreis- und Kreditblasen
Bis zur Finanzkrise im Jahr 2007 herrschte in vielen Ländern die politische Idee vor, dass Gesellschaften mit möglichst vielen Hauseigentümern wünschenswert seien. Historisch war sie als konservative Reaktion auf die Industrialisierung entstanden. Sie wurde in manchen Ländern aber auch bis weit in das linke Parteienspektrum hinein geteilt. Erst nach der Finanzkrise wurde klar, dass die Förderung von mehr Wohneigentum vielerorts eher zu kreditinduzierten Hauspreisblasen und wirtschaftlicher Rezession denn zu einer Verbreiterung der Hauseigentümerbasis im Rahmen einer stabilen Demokratie geführt hat.
Von Sebastian Kohl / Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung
Historische Ursprünge der Eigenheimidee
Das politische Ziel, einen großen Anteil der Bevölkerung in Wohneigentum zu bringen, ist keineswegs neu. So gab es schon in Agrargesellschaften die Idee, dass breit gestreuter Landbesitz das Gemeinwesen stabilisiert und wünschenswerte Tugenden wie Sparsamkeit oder Familiensinn fördert. Nach Kriegen war die Landverteilung an Veteranen eines der sozialpolitischen Befriedungselemente. Vor dem Hintergrund der Industrialisierung, Urbanisierung und Verelendung großer Bevölkerungsteile im frühen 19. Jahrhundert suchten konservative Reformer eine Lösung für die soziale Frage: Sie erkannten sie im Konzept des Einfamilienhauses mit Garten, zunächst in ländlichen Agrarsiedlungen und später in suburbanen Siedlungen.
Im späten 19. Jahrhundert unterstützte eine Reihe konservativer wie auch progressiver gesellschaftlicher Gruppierungen – Bodenreformer, Bevölkerungspolitiker, Sozialkatholiken oder Gartenstadtanhänger – das Ideal, die Arbeiterschaft durch allgemein zugängliches Boden- und Wohneigentum zu befrieden und zum Bestandteil kapitalistischer Gesellschaften zu machen. Aber auch im sozialistischen Ideenrepertoire, etwa bei dem sozialistischen Denker Pierre Joseph Proudhon, findet sich die Idee, dass Kleineigentum zu haben für Arbeiter nicht der Gegensatz sein muss, als den Friedrich Engels ihn in seinen Schriften zur Wohnungsfrage in den 1870er-Jahren ausmachte. Durch dominante Reformervereine fand die konservative Eigenheimidee zwischen 1889 und 1918 auch Eingang in die ersten nationalen Wohnungsgesetze von nord- und südeuropäischen Ländern, in denen zumeist staatliche Hilfen für den Eigenheimerwerb festgeschrieben wurden. In Ländern wie Deutschland, Österreich, Dänemark, den Niederlanden, aber auch in Großbritannien entwickelte sich in der Zwischenkriegszeit hingegen überwiegend eine wohnungspolitische Alternative: der mit Staatsmitteln geförderte soziale Mietwohnungsbau. In angelsächsischen Ländern war Wohnungspolitik bis zu jenem Zeitpunkt meist auf Eigenheimpolitik für Kriegsveteranen beschränkt.
Die Eigenheimidee seit 1945
Nach dem Zweiten Weltkrieg kann man die „Karriere“ der Eigenheimidee methodisch einfacher durch die Linse von Wahlprogrammen politischer Parteien verfolgen. In ihnen zeigt sich die Kontinuität der konservativen Idee: Konser vative Parteien in 19 OECD-Ländern vertraten fast ausnahmslos den Standpunkt, dass Eigentum der Miete vorzuziehen sei. Deshalb machten sie sich für staatlich geförderte, besser zugängliche Kredite stark und forderten, die Eigentumsförderung im Sozialwohnungsbau vorzuziehen sowie bestehende soziale Mietwohnungen günstig an Mieter zu verkaufen.
In Deutschland stand in den 1950er-Jahren die dem sozialen Mietwohnungsbau gewogene SPD einer das Eigenheim propagierenden CDU gegenüber. So äußerte sich Konrad Adenauer vor der Novelle des Wohnungsbaugesetzes im Jahr 1953: „Die Schaffung von Eigenheimen muß als sozial wertvollster und am meisten förderungswürdiger Zweck staatlicher Wohnungsbau und Familienpolitik aner kannt werden. Das Eigenheim soll und darf kein Reservat kleinerer Schichten sein, im Gegenteil soll gerade der Besitzlose durch Sparen, Selbsthilfe und öffentliche Förderungsmittel zum Eigenheim gelangen und so der Proletarisierung und der Vermassung entrissen werden. Das Familienheim mit Garten ist nach jeder Richtung hin als die glücklichste Verwirklichung des Familiengedankens anzusehen.“
Insbesondere christdemokratische Parteien vertraten in den Nachkriegsjahren die Eigenheimposition missionarisch, aber auch die Agrarparteien und später die Zentrumsparteien im skandinavischen Raum befürworteten das Eigentum für Landarbeiter, auch für den vorstädtischen Raum. Liberale Parteien, wenn sie denn überhaupt eine staatliche Einmischung in das Wohnungswesen vertraten, sprachen sich zumeist auch für das Eigenheim als Stütze freier demokratischer Gesellschaften aus. Differenzierter waren die wohnungspolitischen Positionen der Parteien auf der linken Seite des politischen Spektrums. Hier bewegten sich die Positionen grob zwischen Befürwortern eines starken Mietrechts und eines sozialen Mietwohnungsbaus und Befürwortern der Förderung von Hauseigentum – oder eigentumsähnlichen Formen im skandinavischen Raum. Besonders in Ländern wie Finnland, Island oder Norwegen vertraten Sozialdemokraten die Idee, dass Arbeiter Wohneigentum erlangen sollen. Sie begründeten dies damit, dass Wohneigentum diese vor einer Ausbeutung in privaten Mietverhältnissen schützen könne. Daher wurde in diesen Ländern oft eine genossenschaftliche Form des Eigentums verbreitet.
So argumentierten die norwegischen Sozialdemokraten auf einem ihrer Kongresse 1949: „Im Wohnungsbau wollen wir auf das genossenschaftliche oder das eigene Heim setzen. Die Grundbesitzervereine fordern, höhere Mieten zu nehmen und ihre Tätigkeit als privates Unternehmertum anerkennen zu lassen. Es ist schwer, etwas weniger zum privaten Unternehmertum Geeignetes zu finden als das Haus und Heim eines anderen zu besitzen. Die Forderung muss daher abgelehnt werden. Im zukünftigen Wohnungsbau müssen Häuser daher entweder von der Gemeinschaft der Bewohner – in Genossenschaften – oder im Kleinhaus von den Bewohnern selbst besessen werden.“ Anders als in Deutschland, wo Genossenschaften verstärkt als Vermietergenossenschaften fungieren, entwickelten sich in nordeuropäischen Ländern die Eigentümergenossenschaften oft zur dominanten Eigentumsform, die über die Zeit auch ihre anfänglichen sozialistischen Wiederverkaufsbeschränkungen verloren. Aber auch in Südeuropa sprachen sich sozialistische Parteien für eine Eigenheimförderung aus – trotz oder gerade wegen der verbreiteten Familien- und Eigenheimideologie, welche die vorangehenden konservativen Diktaturen vertraten.
Neben länderspezifischen Unterschieden in den Parteiprogrammen lässt sich feststellen, dass die Eigenheimidee am häufigsten in Programmen angelsächsischer Parteien vorkommt. Außer in Großbritannien waren hier die Wohneigentumsquoten bereits Anfang des 20. Jahrhunderts so außergewöhnlich hoch, dass ein Großteil der Wahlbevölkerung häufig bereits Hauseigentum besaß und dieses als typische Wohnform verstand. Darüber hinaus machte es die Konkurrenz im Zweiparteiensystem den liberalen Parteien wie den US-Demokraten schwer, im Kampf um Wählerstimmen die Hauseigentümer zu vernachlässigen. Je größer die Parteien sind, desto eher müssen sie auch das Wohneigentum vertreten – insbesondere in Hauseigentümergesellschaften. Obwohl US-Demokraten, aber auch US-Gewerkschaften, schon im früheren 20. Jahrhundert aktiv für Hauseigentum eingetreten waren und mit dem sozialen Mietwohnungsbaumodell nur in den 1930er- bis 1950er-Jahren flirteten, fiel in den Jahrzehnten vor der letzten Finanzkrise auf, wie beide großen US-Parteien nicht nur für eine Gesellschaft von Hauseigentümern plädierten, sondern sich auch noch gegenseitig mit Versprechungen von finanziellen Kredithilfen überboten.
Stehen Versprechungen einmal im politischen Raum, so ist es schwierig, diese wieder zurückzunehmen. Im Amt befindliche Parteien sprechen sich daher wohl in ihren Wahlprogrammen eher wieder vermehrt für Wohneigentum aus. In Ländern mit Mehrparteiensystemen hingegen gibt es immer auch Parteien, die, wenn nicht gegen, so doch nicht aktiv für das Eigenheim sind. Grüne Parteien warben wie kommunistische Parteien nur in sehr seltenen Fällen für Hauseigentum. Sie kritisierten zum Beispiel, dass insbesondere das Einfamilienhaus zur Zersiedelung von Städten beitrage und die Eigenheimförderung oft ungerechterweise progressiv sei, weil sie an die Höhe der Einkommensteuer oder des Hypothekenvolumens gebunden sei.
Eigenheimidee und Hypothekenverschuldung
Bis zur Hauspreisblase und Finanzkrise 2007 lässt sich ein stetes Anwachsen der eigenheimaffinen Positionen unter den Parteien feststellen. Da konservative Par teien durchweg für den Besitz eines Eigenheims eingetreten sind, liegt die Ursache für diese Zunahme zumeist im Umschwenken linker Parteien hin zu einer aktiven Befürwortung – und nicht länger bloß koalitionärer Billigung – von breit gestreutem Wohneigentum. Durch diesen breiteren Konsens zugunsten des Eigenheims ab den 1980er-Jahren und durch die in Verruf geratene, kapitalintensivere Objektförderung des sozialen Wohnungsbaus kam es in vielen Ländern, beflügelt durch die allgemeine Finanzmarktliberalisierung, zu einem steten Anstieg der Hypothekenverschuldung privater Haushalte, absolut und im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP). Denn Wohneigentum kaufen vor allem junge, kapitalarme Haushalte, für die die eigenen vier Wände oft die größte Ausgabe im Lebenszyklus darstellen.
Neben staatlichen Subventionen bedarf es daher auch des privaten Kapitalmarktes, um den Wunsch nach einem Eigenheim zu realisieren. Dies gilt auch für finanziell unabhängigere Haushalte, die sich die Wohnungsleiter nach und nach „hochkaufen“. Die dadurch induzierte zusätzliche Nachfrage nach Wohneigentum führte vor 2007 in vielen Ländern zu steigenden Hauspreisen – zwar nicht in Deutschland, aber in den USA und vor allem in jenen Ländern, in denen die Eigenheimidee bis in das linke Parteienspektrum hinein allgemein geteilt wur de. Höhere Hauspreise wiederum erfor derten höhere Hypothekenkredite, die dann wieder mehr Geld in den Wohnungsmarkt fließen ließen und so die Kaufpreise weiter erhöhten. Bei einer gleichzeitigen Niedrigzinspolitik führte diese Spirale dann zu Hauspreis-Einbrüchen, Zwangsversteigerungen und dem größten Rückgang der Wohneigentumsquote in den betroffenen Ländern seit Aufzeichnung dieser Daten.
Das Versprechen vieler Parteien, mehr Haushalte mittels einer erleichterten Kreditvergabe mit Hauseigentum zu versorgen, kehrte sich somit oft ins Gegenteil. Somit gab es Perioden von wachsender Hypothekenverschuldung, die nicht zu proportional wachsender Wohneigentumsquote beitrug, sondern bloß Hauspreise inflationierte. Andererseits gab es auch historische Perioden, in denen sich das Wohneigentum ausweitete, ohne dass die Hypothekenverschuldung wesentlich wuchs, dank stärkerer Kaufkraftentwicklung, mehr Eigenkapital oder auch staatlicher Hilfsprogramme wie etwa Bausparhilfen. Die kreditfinanzierte Überhitzung von Wohnungsmärkten blieb somit aus und störte damit auch nicht die gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichte.
Ein Ausblick
Nach der Immobilien und Finanzkrise ist es derzeit parteiprogrammatisch stiller um die Eigenheimidee geworden, aber der vom US-Politologen Jacob Hacker so genannte „versteckte Wohlfahrtsstaat“ mit öffentlich wenig sichtbaren Abschreibungsvergünstigungen und Steuererleichterungen rund um das Eigenheim läuft in vielen Ländern auch ohne große Debatten weiter. Derzeit sind die Länder mit Hauspreisblasen zwar mit sinkenden Eigentümerquoten einer jungen Generation konfrontiert. Allerdings ist es in einer einmal erreichten Hauseigentümerdemokratie schwierig, dem tendenziell konservativen Votum der Eigenheimler politisch zu entkommen. Ein Grund dafür ist sicherlich, dass ein großer ideologischer oder architektonischer Gegenentwurf zur Wohnform in privaten Eigenheimen – wie es womöglich der Wiener oder Weimarer Wohnungsbau einmal waren – politisch nicht in Sicht ist.
Dieser Artikel erschien zum ersten Mal in der 'Gesellschaftsforschung' (Ausgabe 2/2017)