Mit Ausdauer lässt sich viel erreichen
Das Max-Planck-Forum am 20. November in Bonn widmete sich Faktoren, die das Leben erfolgreich verlaufen lassen
Ohne Fleiß kein Preis. Was so langweilig und hausbacken klingt, scheint aktueller denn je. Im Festsaal der Universität Bonn haben Verhaltensforscherinnen und -forscher ihre aktuellen Ergebnisse vorgestellt. Eines steht dabei fest: Wer sich schon als Kind in Geduld übt, hat größere Chancen auf mehr Erfolg im Leben.
Text: Martin Roos
Geduld ist das einzige, was man verlieren kann, ohne es zu besitzen, heißt es im Volksmund. Doch wozu und warum braucht man eigentlich Geduld? Und ist sie nicht eine etwas altmodische Tugend? Geht es nach der Bonner „Experimental Economics Group“ ist Geduld im Zeitalter der flüchtigen Chats, der Sekundenvideos, der Werbedauerberieselung und der rastlosen Jagd nach Geld und Karriere das (Gegen-) Mittel für ein gelungenes Leben überhaupt.
Matthias Sutter, Direktor am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern in Bonn und Initiator der Experimental Economics Group, einer jungen Forschergruppe in der Verhaltensökonomie, hat nun mit drei seiner Doktorandinnen in dem bestens besuchten Festsaal der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn aktuelle Forschungsprojekte präsentiert. Basis ihrer Studien waren ökonomische Experimente in deutschen Schulen und in Familien in Bangladesch. Und schnell wird klar: Geduld zählt neben Intelligenz und kultureller und sozialer Herkunft zu den wichtigsten Erfolgsfaktoren.
Bonn gehört in der verhaltensökonomischen Forschung zu einem der führenden Wissenschaftsstandorte weltweit. Ein Schwerpunkt von Sutters Forschungsteam ist die Frage, welchen Einfluss sogenannte ökonomische Präferenzen für den Lebensweg und den Erfolg von Menschen haben. Zu diesen Präferenzen zählen Risikoeinstellungen, die Fähigkeit zu Geduld und Ausdauer oder auch Fairness-Vorstellungen.
Die gerade promovierte Forscherin Claudia Zoller hat über 400 Kinder in Alter zwischen drei und sechs Jahren an Fleißaufgaben teilnehmen lassen: Sie mussten Perlen sortieren und konnten sich dadurch kleine Geschenke „verdienen“. „Wir haben feststellen können“, sagt Claudia Zoller, „dass Kinder mit zunehmenden Alter fleißiger werden und dass Mädchen fleißiger sind als Jungen.“ Wenn es allerdings um Herausforderungen gehe wie das Lösen eines schwierigen Puzzles, hätten die Jungs die Nase vorn. In jedem Fall habe sich jedoch gezeigt, dass sich Ausdauer bereits im frühen Lebensalter entwickelt. „Wer von Kind an gelernt hat, geduldiger zu sein, ist später insgesamt ein zufriedenerer Mensch“, sagt Zoller. Kinder, die Aufgaben auf später verschieben, zeigten weniger Ausdauer. Kinder, die sich gerne herausfordern, zeigten mehr Ausdauer, erklärt die Wissenschaftlerin.
„Die Fähigkeit, Selbstkontrolle auszuüben, ist für den beruflichen Erfolg ungefähr ebenso bedeutsam wie der Intelligenzquotient oder familiäre Herkunft“, erklärt Sutter. Und ganz konkret: Wer geduldig in eine Ausbildung investiert, hat Chancen, einen besseren Job zu bekommen, meint der Professor. Seine Forschungen würden zudem zeigen, dass Kinder, aber auch Jugendliche, die in wirtschaftswissenschaftlichen Experimenten geduldig auf eine „größere Belohnung in der Zukunft“ anstelle einer „kleineren Belohnung sofort“ warten könnten, bessere Schulnoten oder auch im Erwachsenenleben einen besseren Umgang mit Geld hätten (siehe Interview).
Fehlende ökonomische Grundbildung
Die Ungeduld und teilweise auch Unfähigkeit als Erwachsener mit Geld umzugehen, hat oft mit der fehlenden finanziellen Grundbildung zu tun. „Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung schneidet bei Tests zum ökonomische Basiswissen schlecht ab“, erklärt Anna Untertrifaller. Die Südtirolerin hat in ihrer Dissertation über die Bedeutung finanzieller Grundbildung geforscht und mit Hilfe einer Interventionsstudie in Schulen neue Erkenntnisse zusammengetragen: 500 Schülerinnen und Schüler nahmen an einer achtstündigen Unterrichtseinheit teil. Das deutliche Ergebnis: „Die meisten der Teilnehmer haben nach dieser Intervention geduldigere und weniger risikofreudige Entscheidungen getroffen“, erklärt Anna Untertrifaller. Dazu zählen auch Entscheidungen über Geldsparen oder -anlegen, Steuererklärungen machen oder Konsumentscheidungen treffen. Leitfäden für die Praxis könne die Wissenschaft zwar nicht vorgeben, erklärt Untertrifaller, aber zumindest könne sie starke Impulse in die Schulpolitik der Republik senden. Als einziges Bundesland setzt bisher nur Baden-Württemberg auf das Schulfach „Wirtschaft und Berufsorientierung“. Seit 2017 wird es flächendeckend in den Haupt- und Werkrealschulen und in den Real- und Gemeinschaftsschulen unterrichtet. 2018 haben die Gymnasien nachgezogen. Das Ziel für alle: ökonomische Allgemeinbildung.
Ohne Verlässlichkeit keine Geduld
„Geduld haben“ darf nicht missverstanden werden in dem Sinne, dass man das Schicksal entscheiden lässt. „Geduld ist ein tatkräftiges Hinarbeiten auf etwas“, sagt Sutter. Oder wie es die französische Schriftstellerin George Sand (1804 bis 1876) einmal ausdrückte: „Geduld ist nichts anderes als eine Art Energie.“ Der Grundstein, nicht dem sofortigen Impuls nachzugeben zu müssen, liegt zwar in der frühen Kindheit. Nur: „Warum die einen prinzipiell geduldiger durchs Leben gehen als die anderen, lässt sich schwer erklären“, sagt Untertrifaller. Forschungen über genetische Zusammenhänge fehlen. Ein wichtiges Kriterium, so haben es aber ihre Tests gezeigt, ist die Verlässlichkeit. Diese äußert sich beispielsweise darin, dass man Dinge, die man als Kind versprochen bekommen, auch erhalten hat: „Verlässlichkeit ist enorm wichtig“, sagt Forscherin Untertrifaller: „Man sollte bereits ganz früh die Erfahrung gemacht haben, dass es sich lohnt, geduldig zu sein und zu warten."
Dass das Erlernen von Geduld auch stark vom kulturellen Hintergrund abhängig ist, zeigen die Fallstudien von Shambhavi Priyam. Die junge Inderin hat in Bangladesch über den Einfluss der Familie auf Geduld, Risikoverhalten und soziale Präferenzen geforscht. Fast 50 Prozent der Menschen sind in Bangladesch unter 24 Jahre alt. Bei rund 165 Millionen Einwohnern steht der Staat also vor einer gewaltigen Bildungsherausforderung. Für ihre Dissertation hat Shambhavi Priyam Familien in 150 Dörfern und drei verschiedenen Regionen des Landes in ihren Wohnungen und Häusern besucht ⎼ insgesamt 3.000 Kindern und 2.000 Mütter und Väter. „Wir konnten zwei verschiedene Arten von Erziehungsmethoden identifizieren“, erklärt Shambhavi Priyam. „Zum einen gab es die Gruppe der etwas toleranteren, risikofreudigeren und weniger nachtragenden Familien. Zum anderen haben wir Familien besucht, die eher ungeduldiger, strenger und rauer mit ihren Kindern umgingen.“ Ein entscheidender Unterschied, denn die Familien, die sich und ihre Kinder mehr in Geduld übten, gehörten eher zur reichen Schicht Bangladeschs. „Geduld haben und praktizieren oder nicht, wirkt sich also hier ganz offensichtlich auf die finanzielle Existenz aus oder hat zumindest mit ihr zu tun“, erklärt die indische Promovendin. Und: „Die Kinder, die von ihren Eltern eher bestraft wurden, waren auch die ungeduldigeren Menschen. Nachsichtige und tolerantere Familien hatten eher Kinder, die geduldiger reagierten.“
Eltern sind Vorbilder
Noch ist in der Forschung nicht klar, wie man Geduld trainieren kann. Aber jedem ist klar, wie heute vor allem auch jungen Menschen täglich Ungeduld eingeimpft wird: ständig plärrende Werbung, der unaufhörliche Strom von Posts aus sozialen Medien und das dauerfunkende Handy motivieren viele zum nervösen Smartphone-Glotzen. Auch vielen Angestellten wird in ihren Berufen Atemlosigkeit auf eine ganz andere Weise „antrainiert“: Unternehmen, vor allem börsennotierte, geben kaum Anreize, dass sich Geduld auszahlt. Denn die Firmen wollen schnell erfolgreich sein und gute Zahlen sehen, möglichst alle drei Monate eine bessere Rendite.
Verhaltensforscher Sutter ist jedoch überzeugt: „Unsere Studien zeigen, dass Menschen, die als Kinder auch mal warten und sich länger mit etwas beschäftigen konnten, also Ausdauer und Situationstoleranz gezeigt haben, dass diese Menschen im Erwachsenenalter besser gebildet, reicher, gesünder und weniger häufiger straffällig waren und sind.“ Geduld zahle sich im Individuellen statistisch betrachtet also sehr gut aus. Nur: Geduld braucht natürlich auch Vorbilder, weiß Sutter. Und da baut er ganz auf Erziehung: „Hier sind die Eltern gefragt. Sie tun ein Gutes, ihren Kindern eine gewisse Geduld und Ausdauer vorzuleben.“ Warten wir es also ab, wie geduldig eines Tages die digitale Generation agieren wird.