Leibniz-Preise für drei Max-Planck-Wissenschaftlerinnen
Melina Schuh, Ayelet Shachar und Brenda Schulman werden mit dem wichtigsten deutschen Forschungsförderpreis, dem Leibniz-Preis 2019, geehrt. Sie bekommen die Auszeichnung, die mit bis zu 2,5 Millionen Euro dotiert ist, am 13. März 2019 in Berlin verliehen.
Melina Schuh wird für ihre grundlegenden Arbeiten zur Fortpflanzungsbiologie ausgezeichnet. Die Direktorin am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen hat wichtige Erkenntnisse dazu beigetragen, wie eine reife, befruchtungsfähige Eizelle entsteht und welche Folgen es hat, wenn bei diesem empfindlichen Vorgang Fehler passieren.
„Die häufigste Ursache dafür sind Fehler während der Reifeteilung der Eizelle, Meiose genannt, bei der die Eizelle ihren doppelten Chromosomensatz halbiert“, sagt Melina Schuh. Nur einer der beiden Chromosomensätze verbleibt in der reifen Eizelle, während der andere aus dem Zellplasma ausgeschleust wird. Erst dann kann die Eizelle mit einer Samenzelle verschmelzen. Zusammengehörige (homologe) Chromosomen ordnen sich vor der Teilung der Eizelle zunächst mithilfe sogenannter Spindelfasern in der Zellmitte an. Dort werden sie getrennt und der Spindelapparat transportiert je eine Kopie zu den beiden Zellpolen.
Die Biochemikerin konnte mit ihrem Team zeigen, dass sich zusammengehörige Chromosomen in unreifen Eizellen bei Frauen über 35 Jahren schlechter aneinanderlagern als bei jüngeren. Weiter fand sie heraus, dass Chromosomen oft nicht korrekt an den Spindelapparat gebunden sind. Beides trägt zur Fehleranfälligkeit der Meiose bei und bewirkt, dass reife Eizellen eine falsche Chromosomenzahl enthalten können. „Wird eine solche Eizelle befruchtet, kann sich die Chromosomenanomalie negativ auf den Verlauf der Schwangerschaft und die Gesundheit des Kindes auswirken“, erläutert die Max-Planck-Direktorin.
Wie solche Fehler bei der Halbierung des Chromosomensatzes zustande kommen, erforscht die Biochemikerin in ihrer Abteilung Meiose am MPI für biophysikalische Chemie unter anderem mithilfe leistungsstarker Lichtmikroskope. So gelang es ihrem Team, den Prozess der Chromosomentrennung zum ersten Mal auch direkt live in unbefruchteten menschlichen Eizellen zu beobachten. Um den Vorgang der Chromosomentrennung bis ins molekulare Detail zu verstehen, entwickelte Schuh mit ihrer Gruppe auch eine neue Methode, mit der sich bestimmte Proteine innerhalb weniger Minuten aus den Eizellen entfernen lassen. Durch Analyse der resultierenden Effekte können die Forscherinnen und Forscher aufdecken, welche Aufgaben die entsprechenden Proteine während der Meiose haben.
„Unsere Erkenntnisse tragen dazu bei, besser zu verstehen, wie befruchtungsfähige Eizellen entstehen und warum Kinder älterer Frauen häufiger unter Chromosomenanomalien leiden als die jüngerer. Dieses Wissen könnte zukünftig helfen, Frauen in ihren späten 30ern und frühen 40ern ihren Kinderwunsch zu erfüllen“, hofft die Leibniz-Preisträgerin.
Wie Visa für Superreiche Politik und Gesellschaft verändern
Die multidisziplinären Arbeiten von Ayelet Shachar zu Staatsbürgerschaft und rechtlichen Rahmenbedingungen in multikulturellen Gesellschaften haben sie zu einer der führenden Expertinnen auf diesem Gebiet werden lassen, als die sie nun den Leibniz-Preis 2019 erhält. Bereits mit ihrem ersten, 2001 erschienenen Buch „Multicultural Jurisdictions: Cultural Differences and Women’s Rights“ erzielte Shachar weltweit Resonanz. Darin untersuchte die Direktorin am Max-Planck-Institut zur Erforschung multireligiöser und multiethnischer Gesellschaften in Göttingen den Status von Frauen in religiösen Minderheiten und analysierte die Spannungen zwischen Traditionen, religiöser Diversität und der allgemeinen Norm der Geschlechtergleichheit.
In ihrem zweiten Buch „The Birthright Lottery: Citizenship and Global Inequality“ (2009) beschäftigte Shachar sich mit Fragen der Gerechtigkeit, die sich daraus ergeben, dass Staatsbürgerschaft typischerweise nicht aufgrund eigener Verdienste, sondern zufällig erworben wird. Sie forderte, dass diejenigen, die in der „Staatsbürgerlotterie“ größere Gewinne erzielt haben, die Ungleichheiten in der weltweiten Verteilung von Chancen abmildern, etwa in Form transnationaler Verpflichtungen von wohlhabenden gegenüber ärmeren Staaten. In jüngster Zeit widmete Shachar sich dem Phänomen der „shifting borders“, also der Lösung nationalstaatlicher Grenzregimes von einem klar definierten Territorium hin zu flexiblen und variablen Zonen und Orten, in denen intensivere Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen erlaubt sind.
Wie ein kleines Protein andere Proteine ausschaltet
Der Leibniz-Preis für Brenda Schulman, die Direktorin am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried ist, zeichnet deren biochemische und strukturbiologische Arbeiten zu den molekularen Mechanismen des Ubiquitin-Systems aus.
Proteine sind die Arbeitspferde der Zelle. Verschiedene Arten von Arbeit werden von verschiedenen Proteinen erledigt. Das reicht von Proteinen, die als Enzyme Essen verdauen bis hin zu Proteinen, die Bestandteile von Muskeln sind. Damit die Proteine korrekt arbeiten, müssen sie bei Bedarf an, aber auch bei erledigter Arbeit ausgeschalten werden. Ein wichtiger Weg, Proteine auszuschalten, besteht darin, sie mit einem anderen kleinen Protein namens "Ubiquitin" zu markieren. Genau wie es viele verschiedene Proteine gibt, gibt es auch Hunderte von verschiedenen molekularen Maschinen, die E3-Ligasen genannt werden. Sie führen die Ubiquitinmarkierung aus. Daher ist es wichtig, dass die E3-Ligasen selbst an der richtigen Stelle und zur richtigen Zeit in den Zellen ein- und ausgeschaltet werden.
Der "Einschalter" für etwa ein Drittel aller E3-Ligasen ist ein kleines Protein, das wie Ubiquitin aussieht, aber NEDD8 genannt wird. "Obwohl wir die Komponenten vieler E3-Ligasen kennen, wissen wir nicht, wie NEDD8 es schafft, dass sich die E3-Ligasen aus allen ihren Bestandteilen zum richtigen Zeitpunkt und Ort in einer Zelle zusammensetzen, oder wie NEDD8 die Ligasen in die Lage versetzt, Ubiquitin zu übertragen", sagt Brenda Schulman. Mit einem multidisziplinären Ansatz wollen die Forscher verstehen, was NEDD8 zur Aktivierung von E3-Ligasen beiträgt. Dazu gehört die Wirkungsweise der aktivierten Ubiquitin-Ligase-Maschinerie und wie NEDD8 andere molekulare Maschinen dazu veranlasst, die Ubiquitin-markierten Proteine abzuschalten.
DFG/BA
Zum Leibniz-Preis 2019
Der Hauptausschuss der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) erkannte heute in Bonn insgesamt vier Wissenschaftlerinnen und sechs Wissenschaftlern den Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis 2019 zu. Sie waren zuvor vom zuständigen Auswahlausschuss aus 122 Vorschlägen ausgewählt worden. Von den zehn Preisträgerinnen und Preisträgern kommen jeweils drei aus den Geistes- und Sozialwissenschaften und den Lebenswissenschaften sowie jeweils zwei aus den Naturwissenschaften und den Ingenieurwissenschaften. Die Ausgezeichneten erhalten je ein Preisgeld von 2,5 Millionen Euro. Diese Gelder können die Preisträgerinnen und Preisträger bis zu sieben Jahre lang nach ihren eigenen Vorstellungen und ohne bürokratischen Aufwand für ihre Forschungsarbeit verwenden. Verliehen werden die Leibniz-Preise 2019 am 13. März in Berlin.
Eine Leibniz-Preisträgerin und sechs Leibniz-Preisträger haben nach der Auszeichnung mit dem wichtigsten Forschungsförderpreis in Deutschland auch den Nobelpreis erhalten: 1988 Prof. Dr. Hartmut Michel (Chemie), 1991 Prof. Dr. Erwin Neher und Prof. Dr. Bert Sakmann (beide Medizin), 1995 Prof. Dr. Christiane Nüsslein-Volhard (Medizin), 2005 Prof. Dr. Theodor W. Hänsch (Physik), 2007 Prof. Dr. Gerhard Ertl (Chemie) sowie 2014 Prof. Dr. Stefan W. Hell (Chemie).