Forschungsbericht 2010 - Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie

Was wir von Spucke lernen können: Diversität im Mikrobiom des menschlichen Speichels

What we can learn from spit: Diversity in the human salivary microbiome

Autoren
Stoneking, Mark
Abteilungen
Evolutionäre Genetik (Pääbo)
Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, Leipzig

Zusammenfassung
Der menschliche Körper besteht zu mehr als 90 Prozent aus Bakterienzellen. Die Untersuchung der genetischen Variation in Bakterien hat Erkenntnisse über die menschliche Populationsgeschichte, die aus Studien zur genetischen Diversität gewonnen wurden, bestätigt und darüber hinausgehende Erkenntnisse erbracht. Forscher am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie beschreiben die Variation im Mikrobiom des menschlichen Speichels, bestimmen die Faktoren, die das Speichel-Mikrobiom eines Individuums beeinflussen, und identifizieren spezielle Bakterienspezies im menschlichen Speichel.
Summary
More than 90 percent of the human body is made of bacterial cells. Studying genetic variation in bacteria has provided confirmation of insights into human population history from studies of human genetic diversity, and novel insights that go beyond those studies. Researchers at the Max Planck Institute for Evolutionary Anthropology have begun characterizing variation in the human saliva microbiome. They aim to understand the factors that influence an individual’s saliva microbiome and to identify particular bacterial species that might be informative for studies of human population history.

Was ist das Mikrobiom und warum sollten Anthropologen es untersuchen?

Der menschliche Körper besteht aus ungefähr 10 bis 100 Billionen Zellen. Im und auf dem menschlichen Körper leben jedoch etwa zehnmal so viele Bakterienzellen, sodass der Mensch nur zu etwa 10 Prozent „menschlich“ ist. Die Gesamtheit der Mikroorganismen, die in und auf dem menschlichen Körper leben, nennt man das Mikrobiom. Frühere Studien haben gezeigt, dass das Mikrobiom viele Aspekte der menschlichen Gesundheit beeinflussen kann, wie etwa die Verdauung, die Anfälligkeit für Krankheiten, Fettsucht. Das zunehmende Wissen um die große Bedeutung des Mikrobioms für die Gesundheit oder Krankheit der Menschen hat zu vielen Bemühungen geführt, das menschliche Mikrobiom detaillierter zu beschreiben, wie zum Beispiel zur Gründung des International Human Microbiome Consortium.

Molekularanthropologen interessieren sich für die Geschichte der menschlichen Populationen, insbesondere für ihre früheren Wanderungsbewegungen (Migrationen). Sie untersuchen die genetische Variation in den heute lebenden menschlichen Populationen und versuchen, daraus Rückschlüsse auf ihre Vergangenheit zu ziehen. Wenn Menschen von einem Ort zum anderen wandern, nehmen sie nicht nur ihre Gene mit, sondern auch ihre Bakterien. Somit können die Wissenschaftler durch das Studium der genetischen Variation der Bakterien, die mit den Menschen leben, auch zusätzliche Erkenntnisse über frühere Wanderungsbewegungen der Menschen gewinnen.

Ein ausgezeichnetes Beispiel ist das Bakterium Helicobacter pylori, das Magengeschwüre verursacht. Analysen der genetischen Variation bei weltweit verbreiteten Stämmen von Helicobacter pylori haben die Schlussfolgerungen aus Studien zu genetischer Diversität des Menschen bestätigt [1, 2] sowie Unterschiede zwischen nah verwandten Populationen aufgezeigt, die bei der Analyse der menschlichen genetischen Diversität nicht erkannt wurden [3]. Dies liegt vermutlich daran, dass Bakterien eine schnellere molekulare Evolutionsrate haben. Das ist wiederum auf ihre wesentlich kürzere Generationszeit zurückzuführen. Bakterien verändern sich also genetisch viel schneller als menschliche Populationen. Analysen der genetischen Diversität von Bakterien bestätigen daher nicht nur unabhängig Erkenntnisse aus Studien zur menschlichen genetischen Diversität, sondern können sogar noch informativer sein. Dies trifft vor allem auf rezente Migrationen (über die letzten paar Generationen hinweg) und andere Ereignisse zu, bei denen nicht ausreichend Zeit für eine genetische Differenzierung in menschlichen Populationen gegeben war.

Angesichts der zu Helicobacter pylori bereits geleisteten Forschung würde es sinnvoll erscheinen, dieses Bakterium in den betreffenden Populationen weiter zu untersuchen. Studien zu Helicobacter pylori haben jedoch den großen Nachteil, dass Material aus Magen-Biopsien benötigt wird. Weil dies mit dem Risiko von Gewebeverletzungen verbunden ist, wäre es sehr schwierig, bei den vielen interessanten Populationen derartiges Material zu beschaffen. Allerdings haben Mitarbeiter der Forschungsgruppe Molekularanthropologie der Abteilung für evolutionäre Genetik am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie im Laufe der letzten Jahre routinemäßig Speichelproben für Studien zur menschlichen genetischen Diversität gesammelt. Diese sind leichter erhältlich und zu transportieren als Gewebeproben und enthalten ausreichende Mengen menschlicher DNA. Es ist auch bekannt, dass die DNA, die aus den Speichelproben extrahiert wird, einen bedeutenden Anteil bakterieller DNA enthält [4]. Wenn die Forscher im Speichel Bakterien identifizieren könnten, die hinsichtlich der Migration von Menschen sowie Verwandtschaftsverhältnissen zwischen Populationen genauso informativ wären wie Helicobacter pylori, könnten sie ihre umfangreiche und stetig wachsende Sammlung mehrerer Tausend Speichelproben nutzen, um Erkenntnissen aus dem Studium der genetischen Diversität dieser Speichel-Bakterien zu gewinnen. Dazu haben die Wissenschaftler damit begonnen, die globale Diversität des Mikrobioms des menschlichen Speichels zu studieren [5].

Wie untersucht man das Mikrobiom?

Wenn man früher Bakterien aus einem speziellen Lebensraum untersuchen wollte, musste man versuchen, diese zunächst zu kultivieren und anschließend zu identifizieren. Mit der Entwicklung molekulargenetischer Methoden sind solche Verfahrensweisen durch metagenomische Methoden ersetzt worden. DNA-Sequenzen werden nun aus einer Probe gewonnen, die ihrem normalen Lebensraum entnommen wurde, und werden dann dazu verwendet, die enthaltenen Bakterien zu identifizieren. Mit metagenomischen Verfahren, die ohne Weiteres für jede beliebige Probe anwendbar sind, lassen sich weitaus mehr Bakterien-Spezies als durch Kultivierung identifizieren. Viele Bakterien sind sogar erst anhand von DNA-Sequenzen entdeckt worden. Das Gen der Wahl für metagenomische Studien ist das 16S rRNA-Gen, da es in allen Bakterien vorkommt (tatsächlich in allen lebenden Organismen) und sowohl konservierte Regionen hat, die es ermöglichen, dieses Gen spezifisch zu erfassen, als auch variable Regionen, mit denen das Bakterium identifiziert werden kann. Im Allgemeinen wird zunächst ein Teil des 16S rRNA-Gens aus einer Probe vermehrt („amplifiziert“). Anschließend wird entweder der amplifizierte Pool von Sequenzen kloniert und die Sequenz einzelner Klone bestimmt, oder es werden modernste Sequenziergeräte (next-generation sequencing platforms) für die Sequenzierung benutzt. Die so aus einer Probe gewonnenen 16S rRNA-Sequenzen können dann mit einer Datenbank verglichen werden, um die Taxa (Kategorien) der Bakterien und ihre Häufigkeit in der Probe zu bestimmen.

Weltweite Diversität im menschlichen Speichel-Mikrobiom

Als die Wissenschaftler dieses Projekt begannen, war praktisch nichts über das Speichel-Mikrobiom gesunder Personen bekannt. Die meisten Studien über das Mikrobiom konzentrierten sich auf Personen mit verschiedenen Erkrankungen der Mundhöhle. Deshalb führten die Forscher zunächst eine Überblicksstudie zur weltweiten Diversität durch [5]. Sie beschafften Speichelproben von insgesamt 120 Personen, davon jeweils 10 Personen aus 12 Regionen (Abb. 1). Es wurden Personen ausgewählt, die nicht im gleichen Haushalt lebten und im Monat zuvor nicht weit gereist waren. Andere Aspekte, die das Speichel-Mikrobiom beeinflussen könnten, wie beispielsweise Ernährung, wurden nicht berücksichtigt, da der Zweck dieser ersten Studie nur darin bestand, festzustellen, wie groß die Variation im Speichel-Mikrobiom ist.

Die Forscher amplifizierten einen Teil des 16S rRNA-Gens aus jeder Probe, klonierten die Amplifikationsprodukte und sequenzierten etwa 120 Klone pro Individuum, sodass sie insgesamt über 14.000 Sequenzen erhielten. Diese Sequenzen wurden dann mit der RDPII-Datenbank des Ribosomal database project verglichen, um die den jeweiligen Sequenzen entsprechenden Bakterien zu identifizieren. Da nur ein Teil des 16S rRNA-Gens analysiert wurde, konnte zwar die jeweilige Gattung, aber nicht die Art zuverlässig bestimmt werden. Insgesamt wurden 101 Gattungen identifiziert – einschließlich 60 Gattungen, die zuvor im menschlichen Speichel noch nicht beschrieben worden waren. Insgesamt konnten die Forscher eine enorme Vielfalt im Mikrobiom des menschlichen Speichels nachweisen.

Abbildung 1 zeigt Kreisdiagramme mit der Dichte der zehn am häufigsten vorkommenden Bakteriengattungen an den jeweiligen Orten der Probenentnahme. Diese zehn Gattungen machen etwa 80 Prozent der Sequenzen aus. Die Kreisdiagramme vermitteln den Eindruck, dass die Häufigkeit des Auftretens dieser zehn Gattungen sich zwischen den einzelnen Orten beziehungsweise Regionen kaum unterscheidet. Dies deutet darauf hin, dass die Profile des Speichel-Mikrobioms zwischen Individuen wie auch zwischen den Regionen sehr ähnlich sind. Eine multidimensionale Skalierungs-Analyse (MDS) der „Entfernungen“ zwischen den Regionen (Abb. 2) bestätigt dies: Je unterschiedlicher das Speichel-Mikrobiom ist, desto größer ist die „Entfernung“. Der Kongo hat das charakteristischste Speichel-Mikrobiom. Darüber hinaus ist kein Einfluss der Geografie auf die globale Variation im Speichel-Mikrobiom zu erkennen.

Um die Diversität des Speichel-Mikrobioms weiter zu quantifizieren, ermittelten die Wissenschaftler die Wahrscheinlichkeit, mit der zwei zufällig ausgewählte 16S rRNA-Sequenzen von unterschiedlichen Bakteriengattungen stammen, wenn sie (a) vom gleichen Individuum, (b) von verschiedenen Individuen der gleichen Region und (c) von unterschiedlichen Individuen unterschiedlicher Regionen stammen. Die Wahrscheinlichkeit, dass innerhalb des Mikrobioms eines Individuums zwei Sequenzen von der gleichen Bakteriengattung stammen, beträgt etwa 77 Prozent. Dies ist signifikant weniger als die Wahrscheinlichkeit von etwa 88 Prozent, mit der zwei Sequenzen des Mikrobioms aus unterschiedlichen Individuen der gleichen Region von unterschiedlichen Bakteriengattungen stammen. Die Wahrscheinlichkeit, dass zwei Sequenzen des Mikrobioms von unterschiedlichen Individuen aus unterschiedlichen Regionen von unterschiedlichen Gattungen stammen, beträgt jedoch 89 Prozent, was fast mit der Wahrscheinlichkeit für Individuen der gleichen Region identisch ist. Sequenzen vom gleichen Individuum sind somit ähnlicher als Sequenzen von unterschiedlichen Individuen. Wenn man unterschiedliche Individuen vergleicht, spielt es keine Rolle, ob sie aus der gleichen geografischen Region oder aus unterschiedlichen Regionen stammen. Mit anderen Worten, die Speichel-Mikrobiome von zwei Personen aus Deutschland sind sich nicht ähnlicher als die Speichel-Mikrobiome einer Person aus Deutschland im Vergleich zu einer Person aus China.

Laufende und zukünftige Projekte

Die oben diskutierte Studie [5] zeigt nur eine Momentaufnahme der weltweiten Diversität im Mikrobiom des menschlichen Speichels. Gegenwärtig untersucht die Forschungsgruppe Molekularanthropologie den Einfluss von Ernährungsunterschieden zwischen den Populationen auf das Speichel-Mikrobiom. Außerdem gehen die Forscher der Frage nach, wie sich das Speichel-Mikrobiom eines Individuums im Laufe der Zeit verändert. Darüber hinaus wollen sie spezifische Bakterien als potenzielle Marker für weiterführende Studien zu menschlichen Migrationen identifizieren. Mit dieser Arbeit hoffen die Wissenschaftler, weitere Einblicke in die Populationsgeschichte des Menschen zu gewinnen.

B. Linz, F. Balloux, Y. Moodley, A. Manica, H. Liu, P. Roumagnac, D. Falush, C. Stamer, F. Prugnolle, S. W. van der Merwe, Y. Yamaoka, D. Y. Graham, E. Perez-Trallero, T. Wadstrom, S. Suerbaum, M. Achtman:
An African origin for the intimate association between humans and Helicobacter pylori.
Nature 445, 915–918 (2007).
Y. Moodley, B. Linz, Y. Yamaoka, H. M. Windsor, S. Breurec, J. Y. Wu, A. Maady, S. Bernhöft, J. M. Thiberge, S. Phuanukoonnon, G. Jobb, P. Siba, D. Y. Graham, B. J. Marshall, M. Achtman:
The peopling of the Pacific from a bacterial perspective.
Science 323, 527–530 (2009).
T. Wirth, X. Wang, B. Linz, R. P. Novick, J. K. Lum, M. Blaser, G. Morelli, D. Falush, M. Achtman:
Distinguishing human ethnic groups by means of sequences from Helicobacter pylori: Lessons from Ladakh.
Proceedings of the National Academy of Sciences of the USA 101, 4746–4751 (2004).
D. Quinque, R. Kittler, M. Kayser, M. Stoneking, I. Nasidze:
Evaluation of saliva as a source of human DNA for population and association studies.
Analytical Biochemistry 353, 272–277 (2006).
I. Nasidze, J. Li, D. Quinque, K. Tang, M. Stoneking:
Global diversity in the human salivary microbiome.
Genome Research 19, 636–643 (2009).

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