Den Mond in der Nase
Max-Planck-Forscher gehörten zu den ersten, die vor 50 Jahren Proben von Mondgestein analysieren durften
Als die Astronauten der Mission Apollo 11 zur Erde zurückkehren, haben sie fast 22 Kilogramm Gestein von der Oberfläche des Mondes im Gepäck. Josef Zähringer vom Heidelberger Max-Planck-Institut für Kernphysik darf das Material in den USA als einer der ersten Forscher analysieren. Zwei Monate später kommt ein Krümel ans Mainzer Max-Planck-Institut für Chemie zu dem Team um Heinrich Wänke.
Text: Helmut Hornung
Donnerstag, 18. September 1969, später Nachmittag. Am Frankfurter Flughafen steigt ein müde aussehender Mann mit fahler Gesichtsfarbe aus dem Flieger. Sein Name: Dr. Hans Voshage. Sein Ziel: das Max-Planck-Institut für Chemie. Im Handgepäck: 105,9 Gramm Mond. Wert: unbezahlbar. Jetzt liegt Voshages letzte Etappe vor ihm, die Fahrt nach Mainz. Dort war er vor weniger als 48 Stunden aufgebrochen und ins texanische Houston gejettet, um die wertvolle Fracht nach Deutschland zu holen. Am Abend des 18. September 1969 betritt Voshage das Institut, wo er von einem ungeduldigen Direktor Heinrich Wänke und seinen Mitarbeitern erwartet wird. Schon wenige Minuten später starten die Wissenschaftler mit ihren Messungen. Die zweite Eroberung des Mondes beginnt.
Rückblende: Sonntag, 20. Juli 1969, 21.18 Uhr Mitteleuropäische Zeit. Mit dem letzten Tropfen Sprit setzt die Landefähre Adler im Mare Tranquillitatis auf. Wenige Stunden später betritt Neil Armstrong als erster Mensch den Mond, 20 Minuten später folgt Buzz Aldrin. 600 Millionen Menschen sehen die verschwommenen Fernsehbilder, auf denen zwei grießelige Gestalten über die Mattscheibe hüpfen wie Kängurus in Zeitlupe. Im Studio des Westdeutschen Rundfunks in Köln verfolgt Heinrich Wänke die Übertragung. Der Wissenschaftler gehört zu jenen Experten, die den „großen Sprung für die Menschheit“ live im deutschen Fernsehen kommentieren. Wänke verfolgt das Geschehen mit besonderer Spannung, denn sein Institut gehört zu denen, die das aufgesammelte Mondgestein im Labor untersuchen dürfen.
„Die NASA hatte für die Analyse der Proben eine Ausschreibung gemacht. Wir haben uns daran beteiligt – und waren erfolgreich“, erinnert sich Heinrich Wänke heute. Die Forscher in seiner Abteilung Kosmochemie hatten sich mit der Untersuchung von Meteoriten über die Jahre internationales Ansehen erworben. Ebenso akzeptiert die amerikanische Raumfahrtbehörde die Anträge von Wissenschaftlern in Köln und Tübingen. Und auch das Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg ist dabei. Direktor Josef Zähringer wird eine besondere Ehre zuteil: Er ist nach Houston eingeladen, um an der vorläufigen Auswertung des Materials mitzuarbeiten.
"Die Ankunft der Apollo-11-Proben war recht aufregend"
Die auf dem Mond versiegelten Behälter wurden nach ihrer Rückkehr erst einmal mit ultraviolettem Licht bestrahlt und mit Peracetat desinfiziert, danach in sterilem Wasser abgewaschen und in Stickstoffgas getrocknet. Dann erst bekamen sie die Forscher zu Gesicht. „Die Ankunft der Apollo-11-Proben war recht aufregend. Es gab Probleme unter den Wissenschaftlern – wer darf den ersten historischen Blick wagen?“, schreibt Zähringer in einem Beitrag für das Jahrbuch 1970 der Max-Planck-Gesellschaft. „Als der Probenbehälter schließlich geöffnet war und die Steine zum Vorschein kamen, sah man allerdings nur enttäuschte Gesichter. Die Steine sahen aus wie ein Haufen Koks. Sie waren mit einer Schicht sehr feinen Staubes behaftet und ließen keine mineralogischen Einzelheiten erkennen.“
Dennoch standen die Messungen unter historischem Vorzeichen und verliefen unter ungewöhnlichen Bedingungen: Aus Angst vor tödlichen Mondbakterien oder giftigem Staub mussten die Forscher in hermetisch abgeschlossenen Handschuhkästen hantieren. Dabei kam es gelegentlich zu Pannen. So riss der eine oder andere Handschuh auf oder barst eine Zuleitung an der Probenkammer. Die Verantwortlichen der NASA fürchteten, dass die Wissenschaftler dadurch gefährdet und eventuell mit Keimen verseucht würden. Sie mussten deshalb zu den Astronauten, die seit der Landung in einem transportablen Quarantänemodul saßen und die Außenwelt durch ein kleines Fenster betrachteten.
Auch Josef Zähringer traf ein Missgeschick – und so hieß es für ihn „ab in Quarantäne“. Der Max-Planck-Forscher nahm’s jedoch gelassen und gewann dem Ganzen sogar positive Seiten ab: „Der direkte Kontakt mit den Astronauten war für die Identifizierung der Gesteinsproben sehr vorteilhaft, da sie noch viele Fragen frisch aus dem Gedächtnis beantworten konnten“, schreibt er. Zähringer erlebte die Mondfahrer als „normale, sehr nette und äußerst humorvolle Menschen“. Trotz der dreiwöchigen Isolation hatte die Mannschaft ihren Spaß und vertrieb sich die Zeit beim Pokern.
Während Josef Zähringer – er starb bei einem Autounfall im Juli 1970 – schon einen ersten wissenschaftlichen Blick auf das Mondgestein geworfen hatte, begann Heinrich Wänke erst am Abend des 18. September 1969 mit den Analysen. Er wollte die Zusammensetzung des Materials untersuchen, um Fragen zur Geburt des Mondes, dessen Alter und den Einfluss des Sonnenwindes zu klären. „Wir standen am Anfang einer neuen Phase der Mondforschung“, sagt Wänke. Und da war Eile geboten: „Die instabilen Radioisotope zerfielen mit jedem Tag weiter und wurden somit immer schwieriger zu messen.“ Am 10. Oktober erhielt das Mainzer Max-Planck-Institut für Chemie noch einmal 140 Gramm vom Mond. Wänkes Kollege Heinrich Hintenberger, Leiter der Abteilung Massenspektrometrie, nahm sie unter die Lupe.
Die Zahlenkombination vergessen
Der Stoff, aus dem die Träume der Planetologen waren, durfte nicht einfach im Labor liegen bleiben. Die NASA hatte verfügt, dass das Material in einem Panzerschrank aufzubewahren sei. Die Mainzer besorgten sich einen und installierten ihn im Büro von Direktor Wänke. „Von einem Schlüssel zum Absperren hielten die Amerikaner nichts“, sagt Wänke lächelnd, „das musste schon ein Safe mit Zahlenkombination sein.“ Verständlicherweise hatten die Wissenschaftler damals Wichtigeres im Kopf als diese Zahlenkombination – irgendwann jedenfalls war der Zettel mit dem Code verschwunden und der Safe musste mit einigem Aufwand von einer Spezialfirma geöffnet werden …
Was fanden die Forscher denn nun heraus? „Geben Sie mir ein Stück Mond, und ich werde Ihnen sagen, wie unser Sonnensystem entstanden ist“, hatte der amerikanische Nobelpreisträger Harold C. Urey vor den Apollo-Flügen gesagt. Diese Hoffnung trog – nicht zuletzt deshalb, weil Steine und Staub von der Oberfläche keineswegs reiner Urstoff sind. Vielmehr hat sich der Mond im Laufe der Äonen durch Schmelzprozesse verändert, ist also nicht der geologisch primitive Himmelskörper, für den ihn die meisten Fachleute früher hielten.
Das Landschaftsbild des Erdtrabanten prägen Krater, die beim Absturz kosmischer Brocken entstanden. Lavaergüsse, wie sie nach der Kollision besonders großer Trümmer in der Kindheit des Mondes über die Oberfläche schwappten, formten die sogenannten Meere. Außerdem pulverisiert das ständige Bombardement kleinerer Meteoriten das Gestein und legt eine meterdicke Staubschicht über den Mondboden. Dieses Regolith enthält nicht nur Sandkörner, sondern auch glasige Einschlüsse. In den Proben fanden die Forscher ein Dutzend Mineralien, vor allem Pyroxen, Plagioklas und Ilmenit.
Die wichtigste Frage aber lautete: Wie wurde der Mond geboren? Eine Altersbestimmung des Mondgesteins ergab, dass er nicht viel jünger als die Erde sein kann, also rund viereinhalb Milliarden Jahre. Überhaupt fiel eine große Verwandtschaft mit unserem Planeten auf: „Der Mond erschien uns wie ein Stück der Erde“, sagt Heinrich Wänke. Aus seinen Untersuchungen leitete der Wissenschaftler die Theorie ab, dass der Trabant tatsächlich von unserem Planeten stammt. Danach soll ein marsgroßer Himmelskörper die Urerde in einer Art Streifschuss getroffen haben. Der Zusammenstoß schleuderte große Mengen Material aus Kruste und Mantel in die Umlaufbahn – wo sich daraus der Mond bildete. „In den 1980er-Jahren haben Computersimulationen dieses Szenario bestätigt“, sagt Wänke.
Der Todesstoß für Verschwörungstheoretiker
Und noch etwas stellten die Analysen der Forscher klar: Die Amerikaner waren wirklich auf dem Mond! Denn neben den Apollo-Proben erhielten die Mainzer später auch Material von unbemannten russischen Sonden. „Die Proben beider Missionen stimmten so gut überein, dass dies der Theorie, die Amerikaner hätten die Landung in Hollywood-Studios inszeniert, den Todesstoß versetzte – es sei denn, die Russen haben mitgespielt“, sagt Friedrich Begemann, ehemals Direktor der Abteilung Isotopenkosmologie.
Zurück ins Jahr 1969. An einem klaren Herbstabend kehrt Heinrich Wänke aus Begemanns Büro zurück. Die beiden Wissenschaftler hatten dort Mondgestein in einem Mörser zerstäubt. Jetzt steht die volle Scheibe des Erdtrabanten am Himmel. Wänke sieht mit bloßem Auge das Mare Tranquillitatis und muss sich schnäuzen. Da stutzt er: Im Taschentuch sind zwei winzige dunkle Körnchen – Material vom Mond, eingeatmet während der Arbeit mit dem Stößel. „Das war ein Schreck, denn die NASA bestand darauf, über das Schicksal jedes einzelnen Stäubchens exakt Buch zu führen“, erklärt Wänke mit einem Schmunzeln. „Nach langem Nachdenken habe ich mich entschlossen, über meinen Fund doch kein Protokoll zu schreiben. Die Amerikaner wissen bis heute nichts davon."
Die NASA ist übrigens der rechtmäßige Eigentümer der Proben. Die letzten Krümel vom Mond gab das Max-Planck-Institut für Chemie im Herbst 2008 zurück. Im Frühjahr 2009 schickte die Raumfahrtbehörde eine Bestätigung über den ordnungsgemäßen Erhalt.
Der Beitrag ist erstmals in der MaxPlanckForschung 4/2010 erschienen. Die im Text zitierten Wissenschaftler Heinrich Wänke und Friedrich Begemann sind mittlerweile verstorben.