Daten als Brücke zwischen Ost und West

Ufuk Akcigit, diesjähriger Gewinner des Max-Planck-Humboldt-Forschungspreises, über die Besonderheiten seines Forschungsprojekts

4. November 2019

Auch 30 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer besteht die wirtschaftliche Kluft zwischen Ost- und Westdeutschland weiter. Ufuk Akcigit, Max-Planck-Humboldt-Forschungspreisträger und Professor für Volkswirtschaftslehre an der University of Chicago, wird in seinem Forschungsprojekt die Unterschiede zwischen den beiden Landesteilen untersuchen. Eine Besonderheit: ein einzigartiger neuer Datensatz zur Privatisierung durch die Treuhand-Anstalt in der ehemaligen DDR.

Professor Akcigit, Sie sind türkischer Abstammung, Sie arbeiten und leben seit vielen Jahren in den USA. Was reizt Sie daran, nicht nur in, sondern auch über Deutschland zu forschen?

Betrachten wir die wirtschaftliche Entwicklung in Ost- und Westdeutschland, sehen wir eine deutliche Diskrepanz zwischen Theorie und Realität. In den Lehrbüchern steht: Volkswirtschaften mit ähnlichen Bedingungen sollten sich langfristig hinsichtlich ihrer Wirtschaftskraft annähern – auch trotz unterschiedlicher Ausgangssituation. Eine vollständige Angleichung zwischen Ost und West ist Deutschland bislang nicht gelungen – auch wenn es viele Versuche seit der Wiedervereinigung gab. Für mich als Volkswirt ist dies ein sehr spannendes Phänomen.

Sie sind in Deutschland geboren …

Ich bin in Deutschland geboren, meine Eltern haben aber mit mir das Land verlassen, als ich fünf Jahre war. Seitdem ist Deutschland ein Teil meines Lebens, meiner Kultur, geblieben. Mir war es immer wichtig, mit meinen deutschen Freunden in Kontakt zu bleiben, aber auch mehr über mein Geburtsland zu erfahren. Umso mehr freue ich mich, dass mir der Max-Planck-Humboldt-Forschungspreis nun die Möglichkeit gibt, meine Beziehungen zu Deutschland zu intensivieren.

Apropos: Im Rahmen Ihres geförderten Projekts werden Sie eng mit dem Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Halle zusammenarbeiten ...

Ja, das IWH in Halle hat mich in der Vergangenheit mehrmals zu Vorträgen eingeladen. Während meiner Besuche hatte ich die Möglichkeit, mich mit den Forscherinnen und Forschern an meiner zukünftigen Gasteinrichtung auszutauschen. Ich war sehr beeindruckt von der Qualität ihrer Arbeit, ihrer hervorragenden Personalausstattung, ihrer Infrastruktur – und: den einzigartigen Datensätzen, die für den Erfolg meines Forschungsprojekts zentral sind. Das mit dem Max-Planck-Humboldt-Forschungspreis verbundene Preisgeld von 1,5 Millionen Euro ermöglicht es mir, die Zusammenarbeit mit meinen Kolleginnen und Kollegen am IWH zu vertiefen.

Wie wird diese Zusammenarbeit konkret aussehen?

Wir passen perfekt zusammen: Das Institut in Halle hat sowohl die Ressourcen als auch die Daten, die unser Forschungsprojekt ermöglichen. Mit dem Preisgeld werde ich in Deutschland ein Team mit etwa fünf bis sechs Forschenden sowie einigen Kollegen und Kolleginnen vom IWH zusammenstellen. Ich werde selbst einige Zeit in Halle verbringen, ab und zu werden Forscher aus Halle nach Chicago kommen. Das Team in Chicago und das Team in Halle werden sich regelmäßig online treffen und ihre wöchentlichen Ergebnisse diskutieren. Ich hoffe, dass wir zu einer großen Forschungsfamilie zusammenwachsen.

Sie untersuchen die Ursachen für die wirtschaftliche Kluft zwischen Ost- und Westdeutschland. Aus welcher Perspektive werden Sie diese Frage beleuchten?

Grundsätzlich geht es bei meiner Forschung darum, die Treiber von Innovation und Technologie zu verstehen. Unterscheiden sich verschiedene Volkswirtschaften langfristig voneinander, so führen wir dies typischerweise auf Unterschiede in Technologie und Innovation zurück. In drei Teilprojekten übertragen wir diesen Ansatz auf die Besonderheiten in Deutschland. Ob Bruttoinlandsprodukt pro Kopf, Einkommensgleichheit, Unternehmenswachstum oder die Anzahl der Innovationen pro Kopf: Vergleicht man die Konjunkturindikatoren in Ost und West, bestehen weiterhin deutliche Unterschiede. Und natürlich sind diese Indikatoren alle miteinander verknüpft. In meiner bisherigen Forschung habe ich festgestellt, dass Gleichstellung, soziale Mobilität und Unternehmenswachstum jeweils eng mit Innovationskraft verbunden sind.

In Ihrem Forschungsprojekt greifen Sie auf umfangreiche Mikrodaten zurück. Welche zum Bespiel?

Ich halte es für wichtig, politische Maßnahmen auf der Grundlage mikroökonomischer Daten zu diskutieren. Daher werden wir die Unterschiede in der Leistung von Unternehmen, beispielswiese deren Lebenszyklus, anhand von Mikrodaten unter die Lupe nehmen: Während in Westdeutschland die Unternehmen sehr schnell wachsen und die, die nicht wachsen, aus der Wirtschaft ausscheiden, wachsen die Unternehmen der ehemaligen DDR langsamer. Der zweite Teil des geförderten Projekts konzentriert sich auf Einzelpersonen. Denn letztendlich handelt es sich bei Unternehmen nicht um abstrakte Gebilde. Dahinter stehen Menschen, die sie leiten, die sie besitzen und die Entscheidungen treffen.

Mit dem Fördergeld des Max-Planck-Humboldt-Forschungspreises 2019 wird der Makroökonom Akcigit gemeinsam mit Forschern des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle die Ursachen für die ausbleibende Angleichung der Wirtschaftsindikatoren zwischen Ost und West untersuchen.

Mit dem Fördergeld des Max-Planck-Humboldt-Forschungspreises 2019 wird der Makroökonom Akcigit gemeinsam mit Forschern des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle die Ursachen für die ausbleibende Angleichung der Wirtschaftsindikatoren zwischen Ost und West untersuchen.
https://www.youtube.com/watch?v=SaB9jqeKn-c

Hat die Treuhand beim Privatisierungsprozess in Ostdeutschland Anfang der 90er Jahre die Ressourcen dem richtigen „Unternehmertyp“ zugewiesen? In einem Ihrer drei Teilprojekte stellen Sie diese doch recht provokante Frage. Was meinen Sie damit?

Nicht jeder hat das Zeug dazu, Künstler zu werden. Nicht jeder kann Spitzensportler sein. Ebenso kann nicht jeder Unternehmer werden. Ein Unternehmen zu führen, erfordert Talent. Deshalb werden in gesunden Volkswirtschaften die Ressourcen den talentiertesten Unternehmern zugewiesen. In der ersten Hälfte der 90er Jahre hat die Treuhand-Anstalt (THA) diese Ressourcen zugeteilt. Wie ist dieser Privatisierungsprozess verlaufen? Wurden die Ressourcen den effektivsten und effizientesten Unternehmern zugewiesen? Oder ließen sich die Verantwortlichen der THA von anderen Überlegungen leiten? Das Institut in Halle hat Zugriff auf umfangreiche Daten: die der Treuhand, des Instituts für Arbeitsmarktforschung (IAB) sowie andere historische Daten über Unternehmen und Personen zum Zeitpunkt der Vereinigung. Diese werden es uns ermöglichen, die langfristigen Folgen dieses umfassenden Privatisierungsprozesses zu untersuchen.

Basierend auf Ihren vorläufigen Ergebnissen: Wann wird die wirtschaftliche Kluft zwischen Ost und West überwunden sein?

Es wäre zu spekulativ, eine solche Vorhersage zu machen. Bis Anfang der 2000er Jahre gab es eine Annäherung zwischen Ost- und Westdeutschland. Doch plötzlich verlangsamte sich dieser Prozess. Warum das so ist, können wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht sagen. Klar ist: Eine Angleichung wird nicht stattfinden, solange die Hindernisse weiterhin bestehen. Deshalb zielt unser Forschungsprojekt darauf ab, zu verstehen, was diese Reibungen und Barrieren sind.

Was erwarten Sie von Ihren Ergebnissen?

Jedes Land, jede Volkswirtschaft hat eine eigene Geschichte. Wir können nicht einfach nur die erfolgreichen Wirtschaftssysteme betrachten und ihre Strategien kopieren, denn in jeder Wirtschaft sind die Reibungspunkte völlig anders. Dies gilt auch für Deutschland. Natürlich hat Deutschland im Allgemeinen und Ostdeutschland im Besonderen seine eigenen Herausforderungen. Deshalb halte ich es für wichtig, vor der Gestaltung von politischen Maßnahmen eine datengestützte Forschung zu betreiben. Ich freue mich sehr, dass ich dieses Vorhaben mit dem Max-Planck-Humboldt-Forschungspreis umsetzen kann. In den nächsten fünf Jahren liegen spannende Zeiten vor uns: Lassen wir jetzt die Daten sprechen, um in Zukunft politische Maßnahmen daraus abzuleiten!

Interview: Petra Maaß

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