Wie räumt man planetare Kinderzimmer auf?
Fortschritte beim Verständnis der Mechanismen, wie sich planetenbildende Scheiben auflösen
Eine Gruppe von Astronominnen und Astronomen unter der Leitung des Max-Planck-Instituts für Astronomie hat einen Mechanismus identifiziert und überprüft, der zum ersten Mal die meisten der Eigenschaften erklärt, die in sich auflösenden planetenbildenden Scheiben um neugeborene Sterne beobachtet werden. Die Hauptbestandteile dieses neuen physikalischen Konzepts sind Röntgenemissionen des Zentralsterns und eine ruhige innere Scheibe, die von der einfallenden Strahlung gut abgeschirmt ist. Dieser Ansatz erklärt die scheinbar widersprüchlichen Merkmale, die in diesen schwindenden Übergangsscheiben beobachtet werden und frühere Modelle nicht in Einklang bringen konnten. Dieses Ergebnis, das heute in der Zeitschrift „Astronomy & Astrophysics“ veröffentlicht wurde, ist ein großer Schritt zum Verständnis der Entwicklung von staubhaltigen Scheiben zu sauberen Planetensystemen wie unserem Sonnensystem.
Planeten bilden sich in Scheiben aus Gas und Staub. Jede dieser Scheiben hat zuvor bereits einen neuen Stern hervorgebracht, oder vielmehr einen Vorgänger, der sein Kernfusionsfeuer erst noch entfachen muss: einen sogenannten Protostern. Wenn wir jedoch das Sonnensystem betrachten, stellen wir fest, dass der größte Teil dieses Materials längst verschwunden ist. In den letzten Jahren hat die Forschung ein grundlegendes Verständnis dafür erlangt, wie diese zirkumstellaren Scheiben ihre Gas- und Staubreste verlieren. Mit dem Aufkommen leistungsfähiger Teleskope haben Astronominnen und Astronomen diese sich auflösenden Scheiben, die sogenannten Übergangsscheiben, sogar identifiziert und untersucht.
Die Erforschung der detaillierten physikalischen Prozesse blieb jedoch recht erfolglos. Die theoretischen Konzepte, die die Forschenden bisher entwickelt haben, konnten jeweils nur einige der beobachteten Eigenschaften wiedergeben. Nun schlägt eine Gruppe unter Leitung von Astronominnen und Astronomen des Max-Planck-Instituts für Astronomie (MPIA) in Heidelberg ein neues Schema vor, das die meisten Nachteile der bisherigen Ansätze überwindet. „Frühere Modelle konnten nur einen Teil der Beobachtungsergebnisse von Übergangsscheiben reproduzieren“, sagt Matías Gárate, Hauptautor des zugrundeliegenden wissenschaftlichen Artikels und Wissenschaftler am MPIA. „Jetzt können wir jedoch die meisten Eigenschaften erklären, die sich bisher zu widersprechen schienen: eine große Lücke in der Scheibe und eine anhaltende Akkretion von Gas und Staub aus einer langlebigen inneren Scheibe auf den Zentralstern.“
Intuitiv ist es schwer zu verstehen, warum fast alle beobachteten Übergangsscheiben mit einer großen Lücke Anzeichen von Akkretion aufweisen. Akkretion ist der Prozess, durch den der Zentralstern mit Gas und Staub aus der zirkumstellaren Scheibe gespeist wird. Bevor sich die Lücke öffnet, füllt Material aus der dickeren äußeren Scheibe die inneren Bereiche auf und unterstützt so den nachfolgenden Transport zum Zentralstern. Das Reservoir ist jedoch begrenzt, sodass der Materiestrom mit der Zeit abnimmt.
Gleichzeitig trifft die Röntgenstrahlung des Sterns auf die Scheibenoberfläche und heizt sie auf. Dadurch entsteht ein Wind, der das nun ionisierte Gas in den freien Raum treibt. Dieser Prozess wird als Photoevaporation (etwa: Verdampfung durch Licht) bezeichnet. Sobald er effizienter ist als der Materiestrom in der Scheibe von außen nach innen, beginnt sich eine Lücke zu öffnen, welche die innere Scheibe vom äußeren Reservoir abtrennt. Danach sollte sich die innere Scheibe durch Akkretion sehr schnell entleeren und rasch auflösen. Die Akkretion auf den Stern kommt zum Stillstand.
„Um die Lebensdauer der inneren Scheibe zu verlängern und die Akkretionsaktivität aufrechtzuerhalten, mussten wir einen Mechanismus finden, der die Drift von Gas und Staub nach innen verringert“, erklärt Paola Pinilla, Leiterin der Forschungsgruppe „Genesis of Planets“ am MPIA und Mitautorin der Studie. „Eine Möglichkeit besteht darin, eine allgemein akzeptierte Komponente zirkumstellarer Scheiben mit einzubeziehen: eine sogenannte Totzone“, ergänzt Timmy Delage, Doktorand am MPIA und ebenfalls Mitautor des Forschungsartikels.
Eine Totzone ist ein relativ ruhiger, ringförmiger Bereich einer zirkumstellaren Scheibe, in dem die zufällige Gasbewegung im Vergleich zu anderen Scheibenbestandteilen vermindert ist. Infolgedessen wird die Reibung zwischen den einzelnen Teilchen nahezu vernachlässigbar, sodass sie nur schwer ihre Umlaufgeschwindigkeiten verringern können, was ihre Bahnen stabilisiert. Totzonen können entstehen, wenn das Gas nur wenig ionisiert ist und von Magnetfeldern gering beeinflusst wird. Sie können zum Beispiel auftreten, wenn das Gas dicht genug ist, um die tieferen Scheibenschichten vor der Ionisierung durch die auf die Scheibe treffende Strahlung zu schützen.
Um zu überprüfen, ob eine solche Totzone die beobachteten Ergebnisse von akkretierenden Übergangsscheiben mit großen Lücken erklären kann, simulierten Matías Gárate und das Team deren zeitliche Entwicklung. Sie konstruierten ein physikalisches Scheibenmodell, wobei sie die Anfangsbedingungen für die Totzone variierten und Röntgenstrahlung einbezogen, um die Photoevaporation zu ermöglichen. „Wir waren begeistert, als wir die Ergebnisse sahen. Eine große Mehrheit der simulierten Übergangsscheiben mit einer Vielzahl von Lückengrößen behielt einen nachweisbaren Akkretionsfluss zum zentralen sonnenähnlichen Stern bei“, berichtet Gárate. Dieses Ergebnis zeigt, dass Totzonen in großer Zahl akkretierende Übergangsscheiben mit großen Lücken erzeugen können.
Sicherlich stellt das Ergebnis einen deutlichen Sprung im Verständnis dessen dar, was Astronominnen und Astronomen mit Teleskopen finden, wenn sie tatsächliche Übergangsscheiben beobachten. Die Untersuchung reicht allerdings offenbar noch nicht aus, um die genauen Zahlen abzubilden. Während durch Beobachtungen etwa drei Prozent der Übergangsscheiben als nicht-akkretierend eingestuft werden, ergeben die Simulationen mehr als das Zehnfache dieses Anteils. Da die Rechenleistung begrenzt ist, spiegelt das in dieser Studie verwendete Modell nur eine vereinfachte Version der realen Welt wider und umfasst nicht alle möglichen Mechanismen, die in solchen Scheiben auftreten können. Einige von ihnen könnten sogar die Lebensdauer der inneren Scheibe erhöhen. Andererseits ist es gut möglich, dass einige der Schlussfolgerungen aus Beobachtungen überdacht werden müssen, und dass es tatsächlich mehr nicht-akkretierende Scheiben gibt als bisher angenommen.
In ihrer Studie untersuchte das vom MPIA geleitete Team die Akkretionstätigkeit, indem es sich auf das Gas konzentrierte. Doch der Staub kann sich ganz anders verhalten. Wenn Astronominnen und Astronomen Bilder von solchen planetenbildenden Scheiben machen, sehen sie oft die Verteilung des Staubs, der bei Millimeterwellenlängen strahlt und häufig die Form von konzentrischen Ringen hat. Daher untersuchte das Team, ob ihre Simulationen auch den Staub realistisch behandeln.
„Um unsere Berechnungen mit hochaufgelösten Bildern von realen Übergangsscheiben zu vergleichen, die wir mit dem ALMA-Interferometer erhalten hatten, haben wir ein synthetisches Bild einer der simulierten Staubscheiben erstellt“, sagt Mitautor Jochen Stadler, Masterstudent am MPIA und an der Universität Heidelberg. Das Ergebnis ist eine verblüffende Bestätigung. Das Bild der computergenerierten Staubverteilung zeigt die für Übergangsscheiben typischen Elemente: eine kleine innere Scheibe und einen äußeren Ring, beide durch eine große Lücke getrennt.
Wie so oft, steckt der Teufel im Detail. Während die Strukturen gut übereinzustimmen scheinen, weichen die Helligkeiten voneinander ab. Die Staubemission der simulierten Übergangsscheiben ist wesentlich schwächer, als man aufgrund von Beobachtungen erwarten würde. Daher besitzen die synthetischen Scheiben wahrscheinlich weniger Staub als die realen Scheiben. Die Autoren haben jedoch eine plausible Lösung für diese Unstimmigkeit. „Wir denken, dass dies eine Folge der Planetenbildung ist, die wir in unseren Modellen nicht berücksichtigt haben“, so Gárate.
Studien zeigen häufig, dass neu entstandene Planeten auf ihren Bahnen Lücken in die Scheibe graben. Solche Rillen wirken wie Barrieren für den radial driftenden Staub. Gárate fügt hinzu: „Es ist gut möglich, dass die planetarischen Lücken aufgrund der unzureichenden räumlichen Auflösung in den Beobachtungen nicht sichtbar sind. Wenn sich in der inneren Scheibe Planeten bilden, könnte dies dazu beitragen, dass der Staub nicht zum Zentralstern wandert. Wir werden unsere Modelle entsprechend erweitern und untersuchen, ob wir auch dieses Rätsel lösen können.“
MN