Baumaterial für Erde und Mars stammt aus innerem Sonnensystem

Forschungsteam untersuchte Isotopen-Zusammensetzung von Gesteinsplaneten

Erde und Mars sind aus Material entstanden, das zum größten Teil aus dem inneren Sonnensystem stammt; nur wenige Prozent der „Baustoffe“ dieser beiden Planeten haben ihren Ursprung jenseits der Umlaufbahn des Jupiters. Zu diesem Ergebnis kommt eine Gruppe von Forschern unter Leitung der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) in Münster. In der Fachzeitschrift „Science Advances“ legen sie heute den bisher umfassendsten Vergleich der Isotopen-Zusammensetzung von Erde, Mars und ursprünglichem Baumaterial des inneren und äußeren Sonnensystems vor. Ein Teil dieses Materials findet sich noch heute weitestgehend unverfälscht in Meteoriten. Für unsere Vorstellungen vom Entstehungsprozess der sonnennächsten Planeten Merkur, Venus, Erde und Mars haben die Ergebnisse der Studie weitreichende Konsequenzen. Sie widerlegt die Theorie, wonach die vier Gesteinsplaneten durch Ansammeln millimetergroßer Staubklümpchen aus dem äußeren Sonnensystem auf ihre heutige Größe anwuchsen. Der Leiter der Studie Thorsten Kleine ist seit Kurzem Direktor am Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung in Göttingen.

In der Geburtsstunde unseres Sonnensystems vor etwa 4,6 Milliarden Jahren kreiste eine Scheibe aus Staub und Gasen um die noch junge Sonne. Zwei Theorien beschreiben, wie sich aus diesem ursprünglichen Baumaterial im Laufe von Millionen von Jahren die inneren Gesteinsplaneten bildeten. Gemäß der älteren Theorie ballte sich der Staub zu immer größeren Brocken zusammen, die im inneren Sonnensystem nach und nach etwa die Ausmaße unseres Mondes erreichten. Aus Zusammenstößen dieser Planeten-Vorgänger gingen schließlich Merkur, Venus, Erde und Mars hervor. Eine neuere Theorie hingegen bevorzugt einen anderen Wachstumsprozess: Demnach wanderten millimetergroße Staubklümpchen aus dem äußeren Sonnensystem Richtung Sonne. Auf ihrem Weg stießen sie auf die Planetenvorgänger des inneren Sonnensystems, lagerten sich dort an und verhalfen ihnen Schritt für Schritt zu ihrer heutigen Größe.

Beide Theorien beruhen auf Modellrechnungen und Computersimulationen, die die Verhältnisse und Bewegungen im frühen Sonnensystem nachspielen; beide beschreiben einen möglichen Weg der Planetenentstehung. Doch welche hat recht? Welcher Vorgang hat sich tatsächlich zugetragen? Um diese Frage zu klären, haben die Forscher von der WWU, dem Observatoire de la Côte d’Azur (Nizza, Frankreich), dem California Institute of Technology (Pasadena, USA), dem Museum für Naturkunde (Berlin) und der Freien Universität Berlin in ihrer aktuellen Studie auf die genaue Zusammensetzung der Gesteinsplaneten Erde und Mars geschaut. „Wir wollten herausfinden, ob das Baumaterial von Erde und Mars dem äußeren oder inneren Sonnensystem entstammt“, erklärt Erstautor Dr. Christoph Burkhardt von der WWU. Entscheidende Hinweise geben Isotope der seltenen Metalle Titan, Zirkonium und Molybdän, die sich in den äußeren, silikatreichen Schichten beider Planeten in winzigen Spuren finden. Isotope bezeichnen dabei verschiedene Spielarten desselben Elements, die sich allein durch das Gewicht ihres Atomkerns unterscheiden. 

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gehen davon aus, dass diese und weitere Metallisotope im frühen Sonnensystem nicht gleichmäßig verteilt waren. Vielmehr hing ihre Häufigkeit vom Abstand von der Sonne ab. Die Isotopenhäufigkeiten geben somit Aufschluss darüber, wo im frühen Sonnensystem das Baumaterial eines Körpers entstand.
Als Referenz für das ursprüngliche Isotopen-Inventar im äußeren und inneren Sonnensystem dienen den Forschern zwei Arten von Meteoriten. Diese Gesteinsbrocken haben ihren Weg in aller Regel aus dem Asteroidengürtel, dem Bereich zwischen den Umlaufbahnen von Mars und Jupiter, zur Erde gefunden. Sie gelten als weitgehend unverändertes Material aus den Anfängen des Sonnensystems. Während sogenannte kohlige Chondrite, die bis zu einigen Prozent Kohlenstoff enthalten können, jenseits der Jupiterbahn entstanden sind und erst später durch den Einfluss des wachsenden Gasriesen in den Asteroidengürtel umsiedelten, sind ihre kohlenstoff-ärmeren Cousins, die nicht-kohligen Chondrite, echte Kinder des inneren Sonnensystems.

Die genaue Isotopen-Zusammensetzung der zugänglichen, äußeren Gesteinsschichten der Erde und die beider Meteoriten-Arten sind bereits seit einiger Zeit erforscht; vergleichbar umfassende Analysen von Marsgestein gab es bisher nicht. In ihrer aktuellen Studie untersuchten die Forscher nun Proben von insgesamt 17 Marsmeteoriten, die sich sechs typischen Arten von Marsgestein zuordnen lassen. Zudem gehen die Wissenschaftler erstmals den Spuren gleich drei verschiedener Metallisotope nach.

Die Proben der Marsmeteoriten wurden zunächst pulverisiert und aufwändig chemisch vorbehandelt. Mit Hilfe eines Multikollektor-Plasma-Massenspektrometers am Institut für Planetologie der WWU konnten die Forscher dann die winzigen Mengen von Titan-, Zirkonium- und Molybdän-Isotopen aufspüren. Am Computer simulierten die Wissenschaftler zudem, in welchem Verhältnis Baumaterial, das sich heute in kohligen und nicht-kohligen Chondriten findet, eingetragen worden sein muss, um die gemessenen Werte zu reproduzieren. Dabei berücksichtigten sie auch zwei verschiedene Phasen des Materialeintrags. Denn anders als Titan und Zirkonium reichert sich Molybdän hauptsächlich im metallischen Planetenkern an. Die winzigen Mengen, die sich noch heute in den silikatreichen äußeren Schichten finden, können erst in der letzten Phase des Planetenwachstums dazu gestoßen sein.

Die Ergebnisse der Forscher zeigen, dass die äußeren Gesteinsschichten von Erde und Mars nur wenig mit den kohligen Chondriten des äußeren Sonnensystems gemein haben. Ihr Anteil am ursprünglichen Baumaterial beider Planeten beträgt nur ungefähr vier Prozent. „Hätten die Vorgänger-Planeten von Erde und Mars hauptsächlich Staubkörnchen aus dem äußeren Sonnensystem angesammelt, müsste diese Wert um fast das Zehnfache höher liegen“, so Prof. Dr. Thorsten Kleine von der WWU, der zudem Direktor am Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung in Göttingen ist. „Diese Theorie von der Entstehung der inneren Planeten können wir somit nicht bestätigen“, fügt er hinzu. 

Doch auch zu dem Material der nicht-kohligen Chondrite passt die Zusammensetzung von Erde und Mars nicht genau. Die Modellrechnungen legen nahe, dass weiteres, anders geartetes Baumaterial im Spiel gewesen sein muss. „Diese dritte Art von Baumaterial muss ihren Ursprung im innersten Bereich des Sonnensystems haben. Das lässt sich aus der Isotopenzusammensetzung schließen, die unseren Rechnungen zur Folge vorliegen muss“, erklärt Christoph Burkhardt. Da Gesteinsklümpchen aus solch großer Sonnennähe so gut wie nie in den Asteroidengürtel gestreut wurden, gingen sie fast vollständig in den inneren Planeten auf. In Meteoriten kommen sie nicht vor. „Es handelt sich sozusagen um ,verlorenes Baumaterial‘, auf das wir heute keinen direkten Zugriff mehr haben“, so Thorsten Kleine.

Der überraschende Fund ändert nichts an den Konsequenzen der Studie für die Theorien zur Planetenentstehung. „Dass Erde und Mars offenbar hauptsächlich Material aus dem inneren Sonnensystem enthalten, passt gut zur Planetenentstehung aus den Zusammenstößen großer Körper im inneren Sonnensystem“, schlussfolgert Christoph Burkhardt.

 

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