Forschungsbericht 2021 - Max-Planck-Institut für chemische Ökologie
Eine Dreiecksbeziehung zwischen Bäumen, pflanzenfressenden Insekten und Pilzen
Der Wald als Ökosystem: eine beständige und ausdauernde Lebensgemeinschaft
Bäume sind äußerst langlebige Organismen, die Zeit ihres Lebens von einer großen Vielfalt an pflanzenfressenden Insekten und Mikroorganismen attackiert werden. Um sich gegen die Armada natürlicher Feinde zur Wehr setzen zu können, haben Bäume oft mechanische Barrieren wie Stacheln und Dornen oder feste Blätter und verholzte Triebe entwickelt und produzieren darüber hinaus eine enorme Fülle kleiner chemischer Substanzen wie Phenole und Terpenoide zur Verteidigung gegen ihre Angreifer. Dennoch ist unser Wissen über die Verteidigungsstrategien langlebiger Gehölzpflanzen und die Wechselbeziehungen zwischen Bäumen, Mikroorganismen und Insekten noch äußerst unzureichend, obwohl Bäume die terrestrischen Ökosysteme bestimmen [1].
Unsere Forschungsgruppe Pflanzen-Umwelt Interaktionen untersucht die Vielfalt der chemischen Substanzen in Gehölzpflanzen und deren Bedeutung für die Wechselwirkung der Bäume mit pflanzenfressenden Insekten und Mikroben. Als Modellorganismus dient die Schwarzpappel (Populus nigra), eine in Deutschland heimische Baumart, sowie andere Vertreter der Weidengewächse.
Die Raupen des Schwammspinners werden durch den Duft des Pappelblattrosts angelockt
In den vergangenen Jahren gab es in deutschen Wäldern immer wieder Massenvermehrungen des Schwammspinners (Lymantria dispar). Seine Raupen sind Generalisten und haben daher keine besonderen Vorlieben für bestimmte Pflanzen, sondern fressen an den Blättern vieler Laubbäume und Sträucher, unter anderem auch an der Schwarzpappel.
Wenn Schwammspinnerraupen Schwarzpappeln befallen, geben die Blätter eine erstaunliche Vielfalt flüchtiger Verbindungen, sogenannte Pflanzenduftstoffe, ab. Über 70 dieser kleinen Duftstoffmoleküle konnten bislang identifiziert werden. Sogenannte Mono- und Sesquiterpene machen dabei den größten Anteil des Pappelduftbouquets aus. Sind die Schwarzpappeln gleichzeitig vom Pappelblattrost (Melampsora larici populina), einem pilzlichen Schaderreger, befallen, verringert sich die Abgabe dieser Duftstoffe deutlich. Gleichzeitig geben die Bäume bei Pilzbefall jedoch pilzspezifische Düfte in Form von C-8 Molekülen ab [2]. In Verhaltensexperimenten im Olfaktometer, einer Art Testarena, in der die Verhaltensreaktion der Raupen auf bestimmte Düfte untersucht werden kann, zeigte sich, dass sie stark vom Duft rostpilzbefallener Schwarzpappeln angelockt werden (Abb. 1). Die Raupen wurden sogar auch durch den Geruch der Rostpilzsporen allein angelockt [2].
Schwammspinnerraupen fressen am liebsten Pilzsporen und Blätter, die vom Pappelblattrost befallen sind, und verbessern damit ihre Fitness
Nun stellte sich die Frage, ob die Anziehungskraft des Pilzduftes auch zu einer Vorliebe der Raupen für rostpilzbefallene Blättern führt. In einem sehr einfach gestaltetem Wahlfraßversuch in Petrischalen (Abb. 2) wurden jungen Raupen Blattscheiben von Kontrollblättern sowie Blättern mit Rostpilzbefall angeboten. Die Raupen bevorzugten eindeutig die Blätter, die mit dem Pilz befallen waren (Abb. 2B). Verhaltensbeobachtungen ergaben sogar, dass die jungen Raupen zunächst nur die Sporen des Rostpilzes fraßen und erst dann mit dem eigentlichen Blattfraß, also der Herbivorie, begannen, sobald alle Pilzsporen verzehrt worden waren (Abb. 2C). Dieses Verhalten, das man auch als opportunistische Fungivorie bezeichnen kann, wurde bei Raupen des Schwammspinners zum ersten Mal beobachtet [3].
Berechtigterweise stellt sich an dieser Stelle die Frage nach dem Fitnessvorteil, der sich aus dem selektiven Raupenfraß an Pilzsporen und Pappelblättern, die mit Rostpilz befallen sind, ergibt. Frisch geschlüpfte Raupen wurden für die Beantwortung dieser Frage in zwei Gruppen unterteilt, wobei eine Gruppe bis zur Verpuppung rostpilzbefallene Blätter zu Fressen bekam und die andere Gruppe Kontrollblätter ohne Pilz. Die Ergebnisse zeigen eindeutig, dass Raupen schneller an Gewicht zunehmen und sich auch schneller verpuppen, wenn sie an Pappelblättern mit Rostpilzbefall fressen.
Grund für die bessere Fitness bei den Raupen, die Pilzsporen mit ihrer Nahrung aufgenommen hatten, ist sicherlich die bessere Nährstoffversorgung. Insbesondere die Sporen des Pappelblattrosts haben beispielsweise einen höheren Stickstoffgehalt. Blätter mit Pilzsporen enthalten darüber hinaus mehr essenzielle Aminosäuren und eine höhere Konzentration an Vitaminen und Mannitol, einem Zucker, der höchstwahrscheinlich das Fressverhalten der Raupen anregt und verstärkt.
Viele als Pflanzenfresser klassifizierte Insekten sind möglicherweise auch Pilzfresser
Die Beobachtung, dass ein als Pflanzenfresser klassifiziertes Insekt zumindest im frühen Raupenstadium ein Pilzfresser ist, war eine Überraschung und legt die Vermutung nahe, dass auf Pflanzen lebende Mikroorganismen eine viel größere Rolle bei der Koevolution von Pflanzen und Insekten einnehmen könnten, als bislang angenommen. Insbesondere angesichts der Langlebigkeit von Bäumen erscheint eine evolutionäre Anpassung an eine Ernährung aus Blättern und Pilzen bei generalistischen Insekten wie dem Schwammspinner, der ein breites Nahrungsspektrum hat, durchaus einleuchtend.
Weitere Untersuchungen sollen jetzt klären, wie weit verbreitet die pilzliche Nahrung bei anderen pflanzenfressenden Insektenarten ist und welchen Einfluss die Ernährung mit Blättern und Pilzen auf das Immunsystem von Insekten hat. Möglicherweise hat diese Nahrungsnische nämlich auch Auswirkungen auf die Abwehr der Schwammspinnerraupen gegenüber ihren eigenen Feinden, wie etwa parasitoide Wespen, denen sie als Nahrung für ihre Nachkommen dienen.