Turbo-Reis und Super-Tomaten

Forschende entwickeln eine Technik, mit der sie genetisch identische Hybridpflanzen züchten können

27. September 2024

Kreuzen sich verschiedene Hybride einer Pflanzenart miteinander, sind ihre Nachkommen häufig widerstandsfähiger und wachsen schneller als ihre Eltern. In der nächsten Generation verschwindet dieser Effekt jedoch wieder. Mit neuen Methoden lassen sich die vorteilhaften Eigenschaften solcher Hybridpflanzen dauerhaft erhalten und Pflanzen mit vier statt mit zwei Chromosomensätzen züchten. Die Techniken sollen die Zucht besonders ertragreicher und widerstandsfähiger Nutzpflanzen erleichtern, die eine wachsende Erdbevölkerung auch in Zeiten der Klimakrise ernähren können.

Text: Andreas Lorenz-Meyer

Im Jahr 1759, mehr als einhundert Jahre bevor der österreichische Augustinermönch Gregor Johann Mendel seine Studien zur Vererbung bei Erbsenpflanzen veröffent­lichen wird, brüten Wissenschaftler über der Frage, wie Pflanzen ihre Eigenschaften an die Nachkommen ­weitergeben. In St. Petersburg findet dazu in jenem Jahr ein von der Russischen Akademie der Wissenschaften ausgeschriebener Wettbewerb statt. Die Aufgabe: zu beweisen, dass auch Pflanzen Sexualität besitzen.

Der Gewinner ist Joseph Gottlieb Kölreuter, Apothekersohn aus Sulz am Neckar. Der spätere Professor der Naturgeschichte in Karlsruhe hat zwei genetisch homogene Tabakpflanzen gekreuzt und festgestellt, dass die nächste Generation nach der Kreuzung Merkmale beider Eltern besaß. Er schloss daraus, dass die Eigenschaften von den Elternpflanzen zu gleichen Teilen weitergegeben worden waren. Zudem sahen die Pflanzen der ersten Generation der Kreuzung gleich aus – eine Erkenntnis, die auch Mendel in seiner Uniformitätsregel formuliert. Und noch etwas fiel dem Botaniker auf: Die Nachkommen gediehen besser als ihre Eltern.

Damit hat Kölreuter vor über zweihundertfünfzig Jahren den sogenannten Heterosis-Effekt entdeckt. Davon spricht man, wenn mischerbige Organismen – sogenannte Hybride – der ersten Generation, die aus der gezielten Kreuzung zweier Sorten derselben Art oder nah verwandter Spezies hervorgehen, den ­Eltern in puncto Vitalität und Wachstum überlegen sind. Wie es zu diesem Phänomen kommt, ist zwar noch nicht abschließend geklärt, die moderne Landwirtschaft verdankt ihm aber den Anbau von Hochleistungshybridsorten wie Mais, Raps, Reis, Roggen und vieler anderer Feldfrüchte.

Heterosis-­Effekt hält nicht lange an

Hybride Nutzpflanzen wachsen schneller als reinerbige und sind auch widerstandsfähiger gegen schädliche Umweltein­flüsse wie Trockenheit, Hitze oder Schädlinge. Hybridmais etwa ermöglicht 30 Prozent höhere Ernten. Es gibt jedoch ein Problem: Der Heterosis-­Effekt hält nicht lange an. Die durch Kreuzung erreichte Ertragssteigerung der ersten Folgegeneration ist bei der zweiten schon wieder verloren. Außerdem variieren die Pflanzen wieder stärker voneinander.

Schuld daran sind Vorgänge bei der sexuellen Vermehrung: Bei der sogenannten Meiose, der Bildung von Keimzellen – also Ei- und Spermazellen –, wird das Erbgut gemischt, sodass in der nächsten Generation keine Pflanze exakt den Eltern gleicht. Auf diese Weise sorgt die Meiose für genetische Vielfalt. Ließen sich die Hybriden dagegen mit Samen ungeschlechtlich vermehren, also klonen, so könnten sie ihr gesamtes Erbgut und damit ihre vorteilhaften Eigenschaften eins zu eins an die nächste Generation weitergeben. Dies würde die mit der Erzeugung von Hybridsaatgut verbundenen Kosten massiv senken und könnte zur Entwicklung von wesentlich mehr Hybridsorten führen, als derzeit verfügbar sind.

Raphaël Mercier, Leiter der Abteilung für Chromosomenbiologie am Max-Planck-Institut für Pflanzenzüchtungsforschung, und Charles Underwood, Forschungsgruppenleiter in Merciers Abteilung, wollen das möglich machen. In den Gewächshäusern des In­stituts, in denen neben der Ackerschmalwand – einem unscheinbaren Wildkraut, an dem die Forschenden grundlegende Erkenntnisse gewonnen haben – auch Gerste, Kartoffeln und Tomaten wachsen, präsentieren die beiden ihre Fortschritte bei der Produktion von Hybridsamen.

Zwei Voraussetzungen müssen erfüllt sein: Zunächst muss das gesamte mütterliche Erbgut in der Eizelle erhalten bleiben. Das geht nur, wenn diese ohne Meiose entsteht, bei der ja das Erbgut durchmischt wird. Außerdem muss sich die neue Pflanze aus einer Zelle entwickeln, die nicht von einer Spermazelle befruchtet wurde, denn ohne die Meiose wird die Zahl der Chromosomen nicht halbiert. Würde eine Spermazelle eine solche Eizelle befruchten, hätte diese dann zu viele Chromosomen. „Wir müssen also zwei Hindernisse aus dem Weg räumen: Meiose und Befruchtung. Nur so entstehen Samen, die untereinander und mit der Mutterpflanze genetisch identisch sind. Mit einem solchen klonalen Hybridsaatgut lässt sich der Hybridzustand quasi unendlich verlängern“, erklärt Mercier.

Gene für die Meiose

Angefangen hat Mercier mit seinen Untersuchungen 2009 am INRA Jean-Pierre Bourgin Institut in Frankreich. „Seit damals möchte ich herausfinden, welche Gene an der Meiose und der Entwicklung von Ei- und Spermazellen ­beteiligt sind. Ich möchte verstehen, wie diese Vorgänge ablaufen.“ In der Ackerschmalwand identifizierte er drei Gene, welche für die Meiose wichtige Abläufe steuern. Wenn Mercier diese drei Gene gleichzeitig stilllegte, wurde aus einer Meiose eine Mitose, und die Pflanze bildete genetisch identische Keimzellen. Bei dieser Form der Zellteilung wird das Erbgut verdoppelt, aber nicht durchmischt, und auf zwei Tochterzellen verteilt. Das Erbgut der Ei­zellen und die Zahl der Chromosomen waren deshalb identisch mit denen ihrer Mutterpflanze. Mercier hatte also ein Verfahren entdeckt, das die Meiose umschifft.

2016 wandten Mercier und sein Kollege Emmanuel Guiderdoni vom französischen Agrarforschungsinstitut Cirad das MiMe (Mitose statt Meiose) genannte Verfahren auf Reis an und damit zum ersten Mal auf eine Nutzpflanze. Reis gehört neben Mais und Weizen zu den wichtigsten Getreidearten weltweit und ist für 90 Prozent der Erd­bevölkerung ein Grundnahrungsmittel. Die drei Gene haben sich im Laufe der Evolution kaum verändert und steuern sowohl bei der Ackerschmalwand als auch beim Reis die Meiose. Es stellte sich heraus, dass ohne diese Gene auch beim Reis eine mit der Mutterpflanze genetisch identische Eizelle entsteht.

2019 nahm Mercier dann auch die zweite Hürde: Durch ­Aktivierung des Gens BBM1 in der Eizelle ließ sich die Entwicklung des Keimlings ohne Befruchtung anstoßen. BBM1 ist ein Transkriptionsfaktor, der die Entwicklung des Keimlings auslöst. Normalerweise wird er erst in der Zelle aktiv, die durch die Befruchtung mit einer Spermazelle entstanden ist.

Damit war der Machbarkeitsnachweis von klonaler Vermehrung durch Samen bei einer Nutzpflanze erbracht. Einsatztauglich ist das Verfahren allerdings noch nicht. „Im Vergleich zu sexuell vermehrtem Reis produzieren diese Pflanzen 30 Prozent weniger Samen. Das ist natürlich ein Problem, denn das bedeutet 30 Prozent weniger Ertrag bei Feldfrüchten, von denen wir die Samen ernten. Aber ich bin sicher, dass dieses Problem bald gelöst werden kann.“

Tomate mit vierfachem Chromosomensatz

Eine andere Nutzpflanze, bei der die Forschenden die MiMe-Technik inzwischen angewandt haben, ist die Tomate – die weltweit wichtigste Gemüsepflanze. Sie verwendeten dafür unter anderem Dattel- und Strauchtomaten – Hybridsorten, die auch im Supermarkt erhältlich sind. Charles Underwood und sein Team haben nicht nur eine MiMe-Technik dafür entwickelt, sie haben diese außerdem auch anders ­eingesetzt. Die Forschenden wandten das MiMe-Verfahren zunächst an unterschiedlichen Hybridtomaten an und erzeugten klonale Geschlechtszellen. Durch die Befruchtung einer klonalen Eizelle einer Pflanze durch eine klonale Spermazelle einer anderen entwickelten sich Pflanzen, welche die vollständige genetische Information beider Elternteile enthielten.

Durch diesen Ansatz, der als „polyploides Genomdesign“ bezeichnet wird, entstanden Pflanzen mit einem vierfachen Chromosomensatz statt eines zweifachen. Diese Polyploidie ähnelt derjenigen anderer Kulturpflanzen wie etwa Weizen, Raps, Bananen und Kartoffeln. Der Unterschied besteht darin, dass die Polyploidie hier durch das MiMe-Verfahren induziert wurde. „Dadurch entsteht eine Art Superhybrid“, erläutert Charles Underwood.

Der Wissenschaftler steht vor einem Gewächshaus mit Tomatenpflanzen und deutet auf die Pflanze rechts vorne mit besonders großen Früchten. „Diese Pflanze hat einen vierfachen Chromosomensatz, trägt also das komplette Erbgut beider Elternpflanzen. Damit haben wir, soweit wir wissen, erstmals klonale Geschlechtszellen zweier Elternteile mit­einander verschmolzen und das gesamte Erbgut der beiden auf die Nachkommen übertragen.“

Neben diesem „Super­hybrid“ steht eine Pflanze, die deutlich kleinere Früchte trägt, aber sehr widerstandsfähig ist. „Sie ist das Ergebnis der Kreuzung einer MiMe-Tomatenhybriden mit Solanum pennellii. Diese Wildform stammt aus einem unwirtlichen Gebiet in Südamerika und ist besonders unempfindlich gegen Hitze, Dürre und salzige Böden. Die Gene für diese Stresstoleranz stecken nun auch in dieser Hybridpflanze“, sagt Underwood. Das erklärt auch, warum die Früchte kleiner sind: Große Früchte kommen in der Natur eigentlich gar nicht vor, vielmehr sind sie das Ergebnis jahrtausendelanger Selektion durch den Menschen. Das Beispiel zeigt, wie Underwood und sein Team die MiMe-Technik einsetzen wollen, um die Widerstandsfähigkeit von Wildformen auf ihre domestizierten Verwandten zu übertragen.

Krankheitsresistente Kartoffelsorten

Eine weitere Kandidatin für die MiMe-Methode ist die Kartoffel. Kartoffeln und Tomaten mögen sehr unterschiedlich aussehen, aber die Pflanzen sind eng mit­einander verwandt. Sie gehören beide zur Familie der Nachtschattengewächse und sogar zur gleichen Gattung. „Viele der heutigen Sorten sind schon sehr alt. Die Sorte Russet Burbank zum Beispiel wird in den USA seit mehr als einem Jahrhundert angebaut. Es ist dringend notwendig, die Entwicklung krank­heits­resistenter Kartoffelsorten zu beschleunigen, die mit dem zunehmend wechselhaften Sommerklima zurechtkommen“, sagt Underwood.

Ein Problem, das dem Kartoffelanbau zu schaffen macht, sind Krankheiten. Der Erreger der Kartoffelfäule beispielsweise schädigt sowohl die oberirdischen Teile der Pflanze als auch die unterirdischen Knollen. Befällt er die Kartoffelpflanzen während der Wachstumsphase, dann sind hohe Ertragsverluste die Folge. Mitte des 19. Jahrhunderts führte die Pilz­erkrankung in Irland zu einer verheerenden Hungersnot. Ähnlich wie bei der Wildtomate könnte das Erbgut ­einer wilden Kartoffel ihre domestizierten Verwandten resistenter machen. „Mit MiMe könnten sich Sorten züchten lassen, die widerstandsfähiger gegen die Kartoffelfäule sind. Dies könnte dazu beitragen, dass die Pflanzen nicht mehr so stark mit Pflanzenschutzmitteln besprüht werden müssten.“

Für Raphaël Mercier haben MiMe-Hybridkartoffeln großes Potenzial. Auch weil nicht die ­Samen oder Früchte geerntet werden, sondern die in der Erde liegenden Knollen. „Dass MiMe-Hybridkartof­feln nicht so viele Samen bilden, ist aus diesem Grund auch nicht so relevant wie beim Reis, denn dies wirkt sich nicht negativ auf den Ertrag aus.“

Strenges Gentechnikgesetz behindert MiMe-Technik

Dem Einsatz der Technik steht aber die strenge Regulierung genetisch veränderter Nutzpflanzen in der EU im Wege. Diese behindert Techniken wie MiMe, die auf Genom-Editierung basieren, also dem gezielten Verändern oder Ausschalten von Genen. „Die EU sollte sich ein Beispiel an den USA und an Großbritannien nehmen und den Anbau Genom-editierter Pflanzen erleichtern. Schließlich müssen wir die künftige Lebensmittelproduktion effizienter machen, damit wir eine wachsende Weltbevölkerung in Zeiten immer häufigerer Klimaextreme ernähren können. Und da könnten Hybride, die mittels der Genschere Crispr/Cas ertragsstärker sowie robuster gemacht wurden, ­einen wichtigen Beitrag leisten“, sagt Mercier.

Auch andere Forschende fordern deshalb ein modernisiertes Gentechnikgesetz in der EU, das neue Techniken und Erkenntnisse berücksichtigt. Das bestehende Gesetz ist schließlich schon über zwanzig Jahre alt. Einem Gesetzesvorschlag der EU-Kommission, der die Zulassung Genom-editierter Produkte erleichtern würde, hat das EU-Parlament Anfang des Jahres zugestimmt. Nun müssen sich die EU-Staaten noch auf einen endgültigen Gesetzestext einigen.

Die Politik wird also entscheiden, ob solche Pflanzen ­eines Tages auf Europas Feldern wachsen werden. Letztlich hängt es aber von den Verbraucherinnen und Verbrauchern ab, ob sie Genom-editierte Produkte auf dem Teller haben möchten. Vielleicht wird bei der Entscheidung darüber auch eine Rolle spielen, dass die MiMe-Technik nicht so unnatürlich ist, wie sie auf den ersten Blick scheint. Der Löwenzahn und andere Pflanzen, etwa verschiedene Brombeeren und Gräser, können sich von Natur aus ganz ohne Meiose und Befruchtung der Eizelle vermehren. Wie gut diese Art der Fortpflanzung funktioniert, davon zeugen jeden Frühling die gelben Teppiche aus Löwenzahnblüten auf den Wiesen.

 

Auf den Punkt gebracht

  • Die Kreuzung zweier Sorten kann Hybrid-Tochterpflanzen mit besonders vorteilhaften Merkmalen hervorbringen, die aber in der folgenden Generation wieder verloren gehen.
  • Mit der MiMe-Technik können Hybridpflanzen ohne Meiose genetisch identische Geschlechtszellen bilden. Aus klonalen Eizellen lassen sich ohne Befruchtung klonale Pflanzen entwickeln. Das Erbgut dieser Pflanzen ist mit dem der Mutterpflanze identisch, wodurch die hohe Leistungsfähigkeit der Hybridpflanzen langfristig erhalten bleibt.
  • Die MiMe-Technik kann auch beim polyploiden Genomdesign eingesetzt werden. Sie bietet die Möglichkeit, die genetische Vielfalt innerhalb einer einzigen Pflanze zu erhöhen, indem beispielsweise Pflanzen mit vier statt zwei Chromosomensätzen entwickelt werden.

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