Whistleblowing mit abschreckender Wirkung
Geleakte Bankdaten stören die Geschäfte mit Steueroasen auch bei Banken ohne Datenleck
Whistleblower helfen nicht nur, unmoralische oder kriminelle Handlungen offenzulegen, sondern auch, Täter abzuschrecken. Dafür haben Niels Johannesen von der Universität Kopenhagen und Tim Stolper, ehemaliger wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen am Beispiel von Datenlecks rund um Bankgeschäfte in Steueroasen sehr deutliche Hinweise gefunden. Wie ihre Untersuchung ergab, mussten infolge des ersten öffentlich bekannt gewordenen Datenlecks bei der Liechtensteiner LGT-Bank auch Schweizer Banken, die in Geschäfte mit grenzüberschreitender Steuerhinterziehung involviert waren, signifikante Kursverluste hinnehmen. Zudem gingen die Bankeinlagen in Steueroasen im Vergleich zu Bankeinlagen in Hochsteuerländern um mehr als zehn Prozent zurück.
Whistleblower entwenden vertrauliche Informationen, um strafbare Handlungen wie Steuerhinterziehung zu enthüllen. Dafür gelten sie mitunter „als Helden unserer Zeit“, so etwa Alfred de Zayas, ehemaliger UN-Sonderberichterstatter für die Förderung einer demokratischen und gerechten internationalen Ordnung. Diese positive Sicht auf die Enthüller impliziert, dass Whistleblowing nicht nur Anstoß für Sanktionen gegen einzelne Kriminelle gibt, sondern dass das Offenlegen unerwünschten Verhaltens auch integres Verhalten fördert. Die empirischen Resultate von Niels Johannesen, Professor an der Universität Kopenhagen, und Tim Stolper, ehemaliger wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen, stützen diese Hypothese.
Für ihre Analyse untersuchten Johannesen und Stolper die Entwicklung in der Schweiz, dem weltweit größten Finanzplatz für die grenzüberschreitende Vermögensverwaltung. Die Ökonomen beobachteten, wie die Aktienkurse von Schweizer Banken, die in Offshore-Steuerhinterziehungsgeschäfte verstrickt waren, auf insgesamt 13 öffentlich bekanntgewordene Datenlecks reagierten. Die Haupterkenntnis der Ökonomen speist sich aus Analysen zur sogenannten Liechtensteiner Steueraffäre, dem ersten bekanntgewordenen Datenleck einer in Steueroasengeschäfte verstrickten Bank. Ein Mitarbeiter der Liechtensteiner LGT-Bank hatte Kundendaten kopiert und sie später an den deutschen Bundesnachrichtendienst verkauft. Die Liechtensteiner Steuer-CD brachte im Jahr 2008 den Skandal um den ehemaligen Postchef Klaus Zumwinkel ins Rollen und rückte in den folgenden Wochen rund 800 weitere Verdächtigte in das Visier der Behörden.
Datenleck senkte Gewinnerwartung
Die Untersuchung von Johannesen und Stolper ergab, dass sich die Aktienkurse von Schweizer „Steuerhinterziehungs-Banken“ in den zehn Handelstagen vor dem LGT-Leak unauffällig verhielten. In den ersten beiden Tagen nach den Enthüllungen fielen die Kurse jedoch marktbereinigt um 1,1 Prozent; in den vier darauffolgenden Tagen um insgesamt 2,2 Prozent und damit statistisch signifikant. Banken, die halfen, Geld vor den Finanzbehörden zu verheimlichen, mussten offensichtlich durch das Datenleck aus der LGT-Bank eine deutliche Senkung der Gewinnerwartungen hinnehmen.
Entsprechend der Theorie effizienter Finanzmärkte, wie sie Wirtschaftsnobelpreisträger Eugene Fama aufgestellt hat, reflektieren die Aktienkurse stets die verfügbaren Informationen und spiegeln den Nettobarwert der erwarteten zukünftigen Gewinne wider. Sie steigen, wenn es neue positive Informationen über zukünftige Gewinne gibt, und fallen, wenn neue negative Informationen auftauchen. Wendet man diese Theorie auf die Befunde von Johannesen und Stolper an, lässt sich also ein Rückgang der Aktienkurse genau zu dem Zeitpunkt des Datenlecks dahingehend interpretieren, dass die Finanzmärkte einen Rückgang der zukünftigen Gewinne aus kriminellen Offshore-Geschäften erwarteten.
Da es sich bei der Liechtensteiner Steueraffäre um das erste öffentlich gewordene Datenleck handelte, hatten Steuerhinterzieher und ihre Helfershelfer – so die Interpretation der Forscher – das Risiko, das von Datenlecks ausgeht, bis dato noch nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt. Die erstmalige Wahrnehmung des Risikos eines Datenlecks oder zumindest die Wahrnehmung eines gestiegenen Risikos beeinflusste demzufolge Angebot und Nachfrage nach Steueroasengeschäften und minderte die erwarteten Gewinne der Offshore-Dienstleister.
Diese Erkenntnis wird durch die Ergebnisse weiterer Analysen von Johannesen und Stolper gestützt. So erlitten Schweizer Banken, die in keinem Zusammenhang mit der Offshore-Steuerhinterziehung standen, keine Kursverluste. Außerdem ist anzunehmen, dass die US-Behörden zunächst gegen jene Banken ermittelten, bei denen sie die stärkste Verstrickung in Offshore-Steuerhinterziehungsgeschäfte vermuteten oder die deutlichsten Anzeichen dafür sahen, und dass die Anleger auf den Aktienmärkten ähnliche Vermutungen anstellten. Im Einklang damit steht die Erkenntnis, dass die Aktienkurse von Geldinstitutionen, gegen die später durch US-Behörden strafrechtlich ermittelt wurde, deutlicher sanken (6,1 Prozent in vier Tagen nach dem Datenleck) als die Aktienkurse der Banken, die sich infolge dessen selber anzeigten (1,2 Prozent in vier Tagen). Weiterhin stellten die beiden Ökonomen fest, dass Banken, die in der Folge überdurchschnittlich hohe Strafen bezahlen mussten, höhere Kursverluste hinnehmen mussten (3,2 Prozent in vier Tagen) als Banken, deren Strafzahlungen unter dem Median lagen (1,4 Prozent in vier Tagen).
Bankeinlagen in Steueroasen gingen weltweit zurück
Ferner stellten Johannesen und Stolper fest, dass später aufgedeckte Steueroasengeschäfte, etwa die Swiss Leaks im Jahr 2009 oder die Panama Papers im Jahr 2016, die Kursentwicklungen der Banken nicht mehr signifikant beeinflussten. Auch dieses Ergebnis stützt die Hauptthese der Wissenschaftler: Nach dem Bekanntwerden des ersten Datenlecks haben die Besitzer illegaler Konten und Briefkastenfirmen sowie ihre Helfer auf Bankenseite ihre Erwartungen angepasst, also das Risiko einkalkuliert, dass ihre kriminellen Machenschaften enthüllt werden. Die Aktienkurse fielen, weil neue negative Informationen zur Preisbildung beitrugen. Die im Anschluss bekannt gewordenen Datenlecks stellten keine neue Information in Bezug auf das Entdeckungsrisiko dar.
Schließlich untermauerten Johannesen und Stolper ihre Hypothese zum abschreckenden Effekt des Whistleblowings noch mit Statistiken der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich. So sanken unmittelbar nach dem Datenleck der LGT-Bank internationale Bankeinlagen in Steueroasen im Vergleich zu Bankeinlagen in Nicht-Steueroasen weltweit um mehr als zehn Prozent. Das lässt darauf schließen, dass es sich bei den von den Ökonomen identifizierten Effekten des Whistleblowing nicht um ein reines Finanzmarktphänomen handelt. Stattdessen hatten die Enthüllungen tatsächlich reale Konsequenzen, nämlich eine abschreckende Wirkung auf Steuerhinterzieher und deren Helfershelfer.