„Junge Start-up-Firmen mit einem hohen Frauenanteil bestehen länger“
Matthias Sutter vom Max-Planck-Institut für Gemeinschaftsgüter hat in einem neuen Buch die „menschlichen Faktoren“ zusammengetragen, die für den beruflichen Erfolg und Misserfolg verantwortlich sind. Im Interview erklärt er, warum das Homeoffice einen Karriereknick verursachen kann, was die Körpergröße mit Geldverdienen zu tun hat, inwiefern manche Branchen vertrauensunwürdige Typen anzieht, warum Boni-Zahlungen immer transparent sein müssen und warum die Frauenquote letztlich doch sinnvoll ist.
Herr Sutter, viele Menschen sitzen wegen der Coronapandemie im Homeoffice. Das hat Vorteile, aber laut einer Studie, die Sie in Ihrem neuen Buch „Der menschliche Faktor oder worauf es im Berufsleben ankommt“ beschreiben, einen entscheidenden Nachteil: Die Wahrscheinlichkeit einer Beförderung wird kleiner. Warum?
Matthias Sutter: Die Erklärung dürfte mit dem bekannten Spruch „Aus den Augen, aus dem Sinn“ zusammenhängen. Für beruflichen Aufstieg braucht man nicht nur passende Fähigkeiten und Berufserfahrung, sondern auch ein gutes Netzwerk innerhalb einer Firma. Und dieses zu pflegen, geht ganz offensichtlich leichter im Büro als virtuell von zuhause im Homeoffice.
Es gibt ein Erfolgskriterium, das in Zoom-Meetings und im virtuellen Berufsleben keine Rolle spielt, dafür aber im echten: die Körpergröße. Es gilt: Je größer, desto erfolgreicher und desto mehr Gehalt. Stimmt das? Bundeskanzler Scholz ist wie Angela Merkel und Gerhard Schröder alles andere als groß.
Statistisch betrachtet zeigen mehrere Studien, dass größere Männer im Schnitt mehr verdienen. Als Faustregel kann man nehmen: Zehn Zentimeter machen etwa zehn Prozent mehr Gehalt aus. Tatsächlich spielt aber die Körpergröße im Jugendlichenalter die entscheidende Rolle, die späteren Arbeitgebern in der Regel nicht bekannt ist. Größere Jugendliche haben im Schnitt größere Freundeskreise und engagieren sich mehr in Vereinen oder ehrenamtlich. Dabei werden Fähigkeiten geschult, die für den Beruf wichtig sind und sich später auszahlen: etwa Verlässlichkeit, Führungsfähigkeit, Kooperation oder die Fähigkeit zu Delegieren. Dass die letzten Kanzler Deutschlands nicht sehr groß waren, zeigt nur, dass sie weit überdurchschnittliche Fähigkeiten in anderen Bereichen haben mussten.
Gilt das auch für große Frauen?
Grundsätzlich ja, aber die Datenlage ist bei Frauen weniger klar als bei Männern. Das liegt möglicherweise auch an den häufigeren Erwerbsunterbrechungen, die den Zusammenhang weniger stark machen.
Männer und Frauen unterscheiden sich oft in ihrer Bereitschaft, sich dem beruflichen Wettkampf auszusetzen. Und das ist nicht unbedingt genetisch bedingt. Woran liegt es also?
In eigenen Arbeiten habe ich herausgefunden, dass sich bereits im Kindergartenalter Jungen deutlich lieber einer Wettbewerbssituation stellen als Mädchen. Das dürfte mit Rollenvorbildern und Rollenerwartungen zu tun haben. Im Berufsleben ist es oft unabdingbar, sich einem Wettbewerb – etwa für eine attraktive Position – zu stellen. Wenn Frauen sich in solchen Situationen weniger wohl fühlen und sie darum häufiger meiden, gehen sehr gut qualifizierte Frauen als Kandidatinnen für solche Positionen verloren. Das ist für die Firmen im Speziellen und die Gesellschaft im Allgemeinen sehr schade.
Muss sich also in der Erziehung junger Mädchen etwas ändern?
Es gibt einige Studien, die zeigen, dass Erfolg in Wettbewerbssituationen die Geschlechterunterschiede in der Bereitschaft, sich einem Wettbewerb auszusetzen, reduziert. Darum habe ich zum Beispiel meine Töchter früh ermuntert, auch mal etwas auszuprobieren, das eine Wettbewerbskomponente hat.
In Gesellschaften, in denen Frauen eine größere Rolle als Männer spielen wie zum Beispiel im Volk der Khasi in Nordosten Indiens, zeigt sich, dass die Kultur, in der man aufwächst, die Wettbewerbsbereitschaft beeinflusst. Was können wir davon lernen?
In sogenannten matrilinearen Gesellschaften dominieren die Frauen, weil etwa das Erbrecht ihnen mehr als den Männern zuspricht und Männer in der Regel zu den Frauen ziehen. Offenbar führt das dazu, dass Frauen in solchen Gesellschaften kompetitiver als Männer sind. In erster Linie können wir davon lernen, dass die Organisation einer Gesellschaft einen sehr starken Einfluss auf ökonomisch relevantes Verhalten hat.
Ein Ergebnis Ihres Buches ist auch, dass bei uns junge Start-up-Firmen länger bestehen, wenn der Frauenanteil in der Belegschaft höher ist. Auch Frauen im Vorstand und als Vorstandsvorsitzende haben einen Einfluss auf die Gehaltsverteilung und die Produktivität in Unternehmen. Das klingt alles politisch sehr korrekt. Aber was ist wirklich dran?
So habe ich es noch gar nicht gesehen, aber ja, so kann man es interpretieren, obwohl es darum gar nicht geht. Wenn Start-ups deutlich unterdurchschnittliche Frauenanteile in ihrer Belegschaft haben – unterdurchschnittlich im Vergleich zum Schnitt in der jeweiligen Branche – dann lässt das auf eine Verzerrung in den Einstellungsverfahren zurückschließen. Das bedeutet, dass gut qualifizierte Frauen bewusst oder unbewusst gegenüber Männern benachteiligt werden. Solche Verzerrungen sind ein klares Indiz, dass Firmen keine optimale Personalpolitik haben. Wenn mehr Frauen im Vorstand sitzen, dann wird die Gehaltsschere zwischen Männern und Frauen insbesondere in den Ebenen unter der Vorstandsetage kleiner.
Sie waren früher ein Gegner der Frauenquote. Mittlerweile nicht mehr. Warum ist die Frauenquote aus Ihrer Sicht doch sinnvoll?
In meinen Forschungen gemeinsam mit Loukas Balafoutas zeigt sich, dass Quotenregelungen insbesondere die fähigsten Frauen motiviert, sich einem Wettbewerb zu stellen. Und das ist etwas, was sie ohne Quotenregelungen in unseren Studien häufig eben nicht tun. Ich finde diesen Effekt heute sehr sinnvoll, weil wir doch wollen, dass die besten Leute unabhängig vom Geschlecht erfolgreich sind.
Wer ganz nach oben auf den Chefsessel will, muss einen ziemlich starken Willen haben, sagen Sie. Und gut kommunizieren können. Warum ist das so?
Mit starkem Willen meine ich vor allem: Man muss Ausdauer und Geduld haben, denn der Weg nach oben ist ein langer. Dabei helfen Kommunikationsfähigkeit, soziale Kompetenzen und ganz allgemein die Fähigkeit, mit Menschen zu „können“. Das ist das, was ich mit dem „menschlichen Faktor“ meine: Mit Menschen umgehen zu können, zu kooperieren, sie auch zu managen, zahlt sich immer aus, sowohl in den Aufstiegschancen als auch auf dem Lohnzettel.
Der „menschliche Faktor“ spielt auch für die Wahl der Branche eine Rolle. Sie haben festgestellt, dass in manchen Branchen Mitarbeiter tätig sind, die weniger vertrauenswürdig sind. Wie lässt sich das messen?
Wir Verhaltensökonomen verwenden gern ein sogenanntes Vertrauensspiel, ursprünglich von Joyce Berg und Koautoren erfunden. Darin hat eine Person A eine Ausstattung – sagen wir 100 Euro. Davon kann Person A etwas an eine Person B schicken. Dieser Betrag wird verdreifacht. Wenn also etwa Person A die gesamten 100 Euro weitergibt, dann bekommt Person B 300 Euro. Danach kann Person B etwas an Person A zurücksenden, was aber nicht mehr verdreifacht wird. Zum Beispiel könnte Person B ihre 300 Euro dann gleichmäßig aufteilen, womit beide 150 Euro bekämen. In diesem Beispiel hätte sich das Vertrauen von Person A – die nur hoffen kann, dass Person B etwas zurückgibt – ausgezahlt, weil Person B vertrauenswürdig war, indem sie einen großen Teil wieder zurückgeschickt hat.
Haben Sie dieses Experiment auch schon mal für die Finanzbranche durchgespielt?
Ja, und zwar mit Studierenden der Universität Frankfurt am Main, von denen erfahrungsgemäß sehr viele in der Finanzbranche ihre erste Anstellung finden. Wir haben herausgefunden, dass Studierende, die später in der Finanzbranche arbeiten wollen, als Person B deutlich weniger zurückgeben als Studierende, die später in anderen Branchen arbeiten wollen. Um dieses Ergebnis hieb- und stichfest zu machen, haben wir diese Studierenden über sechs Jahre hinweg immer wieder kontaktiert. Letztlich haben wir tatsächlich festgestellt, dass jene, die in der Finanzbranche ihre Berufslaufbahn beginnen, im Experiment in der Rolle der Person B signifikant weniger zurückgaben als andere ehemalige Studierende in anderen Branchen.
Viele von uns lockt das Geld, nicht nur in der Finanzbranche. Und damit Mitarbeiter produktiver werden, zahlen Unternehmen auch gerne Boni. Nun wurde festgestellt, dass leistungsbezogene Vergütung ziemlich kontraproduktiv sein kann – und zwar dann, wenn sie die Fairness verletzt. Was heißt das?
Axel Ockenfels und Kollegen haben herausgefunden, dass Bonuszahlungen demotivierend sein und die Arbeitsplatzzufriedenheit senken können – und zwar immer dann, wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre Bonuszahlungen mit jenen anderer genau vergleichen können und sich als unfair eingestuft fühlen. Das hatte im konkreten Fall eines multinationalen Konzerns in erster Linie damit zu tun, dass ein Teil der Mitarbeitenden als „durchschnittlich – erfüllt die Erwartungen“ eingestuft wurden. Wenn diese Mitarbeitenden aber weniger – und sei es auch nur minimal weniger – als die durchschnittliche Bonuszahlung in ihrer Abteilung bekamen, dann empfanden sie das als eklatante Verletzung von Fairnessprinzipien. Und das hat zu Unzufriedenheit und geringerer Leistung geführt. Transparenz und Kongruenz – was man tut, muss mit dem zusammenstimmen, was man sagt – sind für die Akzeptanz von Bonuszahlungen enorm wichtig.
Wenn man Ihr Buch liest, stellt man schnell fest, dass im heutigen Berufsleben ziemlich viel noch nicht richtig läuft. Was kann der Einzelne zur Verbesserung tun?
Das beantworte ich am liebsten mit einem von mir sehr geschätzten Zitat von Mahatma Gandhi: „Wir selbst müssen den Wandel vorleben, den wir von der Welt erwarten.“ So kann jeder etwas beitragen.
Interview: Martin Roos
Matthias Sutter ist seit Mitte 2017 Direktor am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern in Bonn. Er gehört zu den forschungsstärksten Verhaltensökonomen im deutschsprachigen Raum. Ihm geht es vor allem darum, wie und aus welchen Gründen Menschen bestimmte ökonomische Entscheidungen treffen. Zuletzt ist ein Buch „Der menschliche Faktor oder worauf es im Berufsleben ankommt“ (Hardcover, Carl-Hanser-Verlag 2022, 288 Seiten) erschienen. Dort beschreibt er fünfzig verhaltensökonomische Erkenntnisse, um den „menschlichen Faktor“ im Berufsleben besser zu verstehen und um ein erfolgreiches Miteinander zu ermöglichen. Das Buch stand kurz nach dem Erscheinen in Österreich auf der Bestsellerliste.