„Wir brauchen einen Kulturwandel, um wettbewerbsfähig zu bleiben“

Asifa Akhtar ist Vizepräsidentin der Max-Planck-Gesellschaft und Leiterin der Max-Planck-Präsidialkommission Chancen. Im Interview erklärt sie, wie und warum sie sich für einen kulturellen Wandel in der Max-Planck-Gesellschaft einsetzt. Ein Plädoyer dafür, mehr Diversität und Inklusion zu wagen.

Frau Akhtar, worin besteht die Aufgabe der Präsidialkommission Chancen?

Unser Ziel ist es, die Strategie der Max-Planck-Gesellschaft für Chancengleichheit und Diversität zu gestalten. Wir legen neue Schwerpunkte und Prioritäten fest, und wir helfen auch dabei, bestehende Programme zu beobachten und bei Bedarf anzupassen. In diesem großen Sondierungsgremium sind viele Ebenen vertreten – unsere Promovierenden, Postdocs, Direktorinnen und Direktoren, Mitarbeitende und auch Mitglieder der Verwaltung. Hier treffen viele verschiedene Meinungen aufeinander, die wir bei der weiteren Entwicklung berücksichtigen können.

Mit welchen Programmen bzw. Initiativen hat sich die Kommission bislang beispielsweise befasst?

Da gibt es mehrere: Zunächst arbeiten wir sehr eng mit der Planck-Akademie zusammen. Frauke Logermann, Lead Talent, Gender & Diversity Affairs, und Kerstin Dübner-Gee, Leiterin Human Resources Development & Opportunities, sind die treibenden Kräfte hinter vielen Aktivitäten. Sie haben beispielsweise im Dezember 2021 die digitale Konferenz „Ethnische Diversität, Respekt und Akzeptanz“ organisiert – die erste Konferenz zu diesem Thema. Das war absolut fantastisch! 82 unserer 86 Institute nahmen daran teil und diskutierten viele interessante Themen, wie ethnische Vielfalt, Antidiskriminierung, Mikroaggressionen, unbewusste Vorurteile und psychische Gesundheit.

Warum sind solche Veranstaltungen so wichtig? Was war Ihre wichtigste Erkenntnis?

Der Tenor der Konferenz war, dass es höchste Zeit ist, sich in der MPG mit Diversität und Inklusion zu befassen und darauf aufmerksam zu machen. In den letzten anderthalb Jahren, seitdem ich den Vorsitz innehabe und diese Kommission erweiterte, haben wir zunächst die Diskrepanz hinsichtlich der Geschlechterverhältnisse untersucht, die es auf allen Ebenen der MPG gibt. Aber natürlich bedeutet Diversität mehr als Geschlechterparität! In den kommenden Sitzungen der Präsidialkommission werden wir unseren Aktionsradius entsprechend erweitern.

Apropos Geschlechterverhältnis: 2021 beschloss die MPG, sich weiter dafür zu engagieren, den Anteil von Wissenschaftlerinnen in Führungspositionen von 2021 bis 2030 jährlich um einen Prozentpunkt zu erhöhen. Auch der Gesamtanteil von Wissenschaftlerinnen im TVöD und der Nachwuchswissenschaftlerinnen soll erhöht werden. Leider konnte die MPG trotz großer Anstrengungen die selbst gesteckten Ziele im Jahr 2021 nicht erreichen …

Ich habe schon Kommentare gehört wie „Frauen einzustellen gefährdet die Exzellenz“ … solange diese Denkweise vorhanden ist, können wir uns nicht weiterentwickeln. Zum Glück teilt die Mehrheit diese Haltung nicht, daher bin ich für die Zukunft sehr optimistisch! In bestimmten Bereichen sind Frauen noch immer unterrepräsentiert. Aber das Harnack-Prinzip versetzt uns in die Lage, unsere Ziele zu erreichen, indem wir den Blickwinkel erweitern. Bei der MPG geht es um Menschen und nicht um Programme! Es gibt definitiv herausragende Frauen da draußen. Wir sollten alles tun, um sie einzustellen. Außerdem geht es nicht nur darum, die MPG mit hochkarätigen internationalen Forschenden zu bereichern. Wir wollen ihnen auch das Gefühl geben, willkommen zu sein, wenn sie zu uns kommen. Wir brauchen innerhalb der MPG einen kulturellen Wandel, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Ich weiß, dass dies kein triviales Thema ist, da noch viele komplexe Probleme angegangen werden müssen. Wir müssen uns dieser Herausforderung definitiv jetzt stellen!

Wie versucht die Kommission, damit umzugehen?

Ich habe eine Serie mit dem Titel „Dialog mit Asifa“ gestartet. Dazu habe ich mich mit Direktorinnen aller drei Sektionen getroffen, um ihre Sichtweisen kennenzulernen. Wer könnte besser geeignet sein, uns Einblicke zu geben, Ideen zu entwickeln und den Modernisierungsprozess innerhalb der MPG voranzutreiben, als die Spitzenwissenschaftlerinnen, die wir eingestellt haben?

Was war das wichtigste Ergebnis dieser Dialoge?

Dass sich die Frauen, mit denen ich gesprochen habe, in der MPG isoliert fühlen – nicht nur auf Direktorinnen-Ebene, sondern in der gesamten MPG. Ich denke, dieses Gefühl hat eine tiefere Bedeutung – verbunden damit, dass die MPG sehr international ausgerichtet ist. Es geht also nicht nur darum, ob unsere Mitarbeitenden männlich oder weiblich sind. Ein wichtiger Punkt ist, dass viele von ihnen aus dem Ausland an ein Institut kommen, was nicht immer einfach ist. Das Gefühl der Isolation entsteht auch dadurch, dass die Institute getrennt voneinander arbeiten und auch die Sektionen getrennt sind.

Als Ergebnis einiger der Gespräche, die ich in den Dialogen sowie in der Präsidialkommission geführt habe, wurde das „Athena“-Netzwerk gegründet. Zumindest zu Beginn wird das Netzwerk aus Männern und Frauen in Direktorenpositionen bestehen, die ihre Kollegen und Kolleginnen in der Gesellschaft als „Athena“-Beauftragte sektionsübergreifend unterstützen möchten. Wir haben Vertretungen in allen drei Sektionen. Ich hoffe, dass sich die Sektionen dadurch näherkommen und sich gegenseitig stärken! Hoffentlich können wir langfristig auch Junior Group Leader in dieses Netzwerk integrieren.

Sie sprechen mit Menschen verschiedener Ebenen. Haben Sie eine Fokusgruppe in Ihrer Strategie?

Nein. Ich glaube, man sollte einen vernetzten Ansatz verfolgen. Man kann die Probleme der Promotionsstudierenden nicht einfach angehen, ohne die Direktoren und Direktorinnen auf die Probleme aufmerksam zu machen. Diese, genau wie die Forschungsgruppenleitungen haben außerdem ihren eigenen Druck. Wir müssen einfach alle Beteiligten zum Nachdenken anregen. Und genau das bezwecken solche Diskussionen. Kommunikation ist hier der Schlüssel. Meine Aufgabe in dieser Kommission besteht nicht nur darin, sie zu leiten. Ich möchte die Menschen auch ermutigen, sich aktiv einzubringen, und sie erkennen lassen, dass ihre Stimme etwas bewirken kann. In jeder Karrierephase ergeben sich andere Bedürfnisse. Deshalb habe ich in den letzten eineinhalb Jahren in dieser Rolle mit verschiedenen Gruppen gesprochen: Promotionsstudierenden, Postdocs, Forschungsgruppenleitungen, Direktoren- und Direktorinnen. Im nächsten Schritt werde ich mit den Verwaltungsleitungen sprechen. Denn die Kommunikation zwischen Verwaltung und Wissenschaft ist ebenfalls sehr wichtig. Auch hier muss man alle Seiten hören, um Fortschritte zu machen.

 

Die Max-Planck-weite Umfrage zur Arbeitskultur von 2019 ergab, dass fast die Hälfte unserer Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus EU-Ländern sich von Zeit zu Zeit ignoriert oder ausgeschlossen fühlte. Ein Drittel der Forschenden aus Nicht-EU-Ländern teilte dieses Gefühl. Darüber hinaus haben die Ergebnisse der letztjährigen PhDnet-Umfrage gezeigt, dass ein Viertel der Promovierenden eine Art der Diskriminierung erlebte. Die Nationalität wird als größter Diskriminierungspunkt angeführt, dicht gefolgt von der Geschlechtsidentität und der ethnischen Zugehörigkeit …

Ja, diese Unzufriedenheit hat sich auch in vielen meiner persönlichen Gespräche mit unseren Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen gezeigt. Die MPG ist äußerst erfolgreich, und ihre Mitglieder repräsentieren die weltweite wissenschaftliche Elite. Trotz der anhaltenden Bestätigung unseres wissenschaftlichen Erfolgs von außen mangelt es intern in jeder Sektion an Wertschätzung. Das macht mich wirklich traurig. Und es zeigt mir auch, dass man Glück nicht kaufen kann. Dazu gehört so viel mehr. Deshalb muss unsere Führungsebene zugänglich sein. Es geht hier um sehr wichtige Emotionen, und wir müssen sie ernst nehmen, wenn wir eine gesunde, vitale und energiegeladene MPG verwirklichen möchten.

Wie könnte eine Willkommenskultur aussehen?

Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass ich dann am kreativsten bin, wenn ich glücklich bin. Hat man das Gefühl, nicht geschätzt zu werden, kann man sein volles Potenzial nicht erreichen. Wenn Mitarbeitende unglücklich sind, hat das in der Regel nicht nur einen Grund. Das können durchaus auch Kleinigkeiten sein. Es gibt dieses englische Sprichwort „The straw that broke the camel’s back” (deutsch sinngemäß: „der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt“). Das Problem ist, dass oft das Umfeld fehlt, in dem dich jemand auffängt, wenn du fällst, und sagt: „Keine Sorge, ich unterstütze dich, mach weiter so.“ Nur sehr wenige Menschen tun das. Das braucht man aber in dem Moment, in dem man schwach ist. Viele junge Wissenschaftlerinnen bekommen diese Unterstützung leider nicht. Sie fühlen sich beispielsweise unsicher, ob sie eine Familie gründen können oder nicht. In einem konservativen Umfeld kann die Entscheidung zur Gründung einer Familie das Gefühl vermitteln, man würde Kompromisse eingehen. Aber eine Familie sollte niemals einen Kompromiss darstellen. Man sollte in der Lage sein, beides zu tun. Wichtig ist, dass man den Menschen ermöglicht, glücklich zu sein mit dem, was sie erreichen wollen. Häufig möchten Frauen zwar Karriere machen, aber sie zögern. Das ist der Zeitpunkt, zu dem wir sie ermutigen sollten und ihnen die Unterstützung, Infrastruktur und das Mentoring geben müssen, die sie für ihre weitere Entwicklung benötigen. Was wir in der MPG tun können, ist, eine Kultur zu schaffen, in der sich alle gehört und geschätzt fühlen. Das wäre für uns schon mal ein großer Schritt nach vorn.

Derzeit gibt es 14 lokale Diversitätsgruppen an verschiedenen Instituten. Warum sind sie so wichtig?

Die Präsidialkommission und somit auch ich können vor allem Prioritäten setzen, um die Mitarbeitenden zu motivieren und ihnen zu zeigen, dass wir ihre Anliegen ernst nehmen. Bei 86 Instituten gibt es jedoch eine große Heterogenität in der Art und Weise, wie Menschen behandelt werden und wie die Arbeitskultur aussieht. Wir können nur dann einen Wandel herbeiführen, wenn wir lokale Initiativen haben, die mit uns zusammenarbeiten. Sie machen den Unterschied aus.

Sie wurden 2020 Vizepräsidentin der Sektion Biologie und Medizin – als erste Frau aus dem Ausland in dieser Rolle und auch als jüngste. Haben Sie in Ihrer Karriere Diskriminierung erlebt?

Diskriminierung begegnet einem meist nicht mit einem Paukenschlag. Es geht um Kleinigkeiten, die einem passieren und über die man sich dann wundert. Obwohl ich in meiner wissenschaftlichen Karriere viel erreicht habe, sah es nicht immer rosig aus. Auf jedem Schritt des Weges muss man kämpfen. Ich empfinde es als Segen, dass ich beides haben konnte; also sowohl eine Familie als auch eine Karriere. Das gleicht die Schwierigkeiten aus, die einem bei der Arbeit begegnen. Ich weiß auch, dass ich eine große Verantwortung auf meinen Schultern trage. Als ich aufwuchs, hatte ich nicht viele Vorbilder wie diese. Die Zeiten waren anders. Am Ende eines anstrengenden Tages ist es wirklich toll zu wissen, dass einen die Kinder trotzdem lieben – ganz egal ob das Paper veröffentlicht wird oder nicht.

Wie sind Sie mit der Diskriminierung umgegangen, der Sie begegnet sind?

Eine meiner Stärken ist, dass ich mich nach Enttäuschungen schnell wieder aufraffe. Man muss einfach die Gunst der Stunde nutzen. Schon oft habe ich Rückschläge erlebt. Ich habe mich dann wieder aufgerafft, meine Stärken analysiert und weitergemacht. Jedes Mal, wenn mir eine neue Aufgabe oder eine neue Verantwortung übertragen wird, nehme ich die Herausforderung an. Ich gebe zu, dass ich oft das Gefühl habe, einen harten Kampf zu führen. Wenn ich über Internationalisierung oder Geschlechterdiversität spreche, kann sich das manchmal sehr ermüdend anfühlen. Nicht weil ich mich nicht für das Thema begeistere, sondern weil einige der Gespräche zeigen, dass wir ins Hintertreffen geraten sind. Wenn ich aber durch meine Energie einige Menschen motivieren kann, ist das immer noch besser, als gar nichts zu tun. Ich sage mir dann immer: Steter Tropfen höhlt den Stein. Wenn ich also ein wenig zum großen Ganzen der Max-Planck- Gesellschaft beitragen kann, sage ich mir: Gut gemacht. Auch hier gilt, dass das keine Aufgabe für eine einzelne Person

ist. Wir alle müssen zu diesem positiven Wandel beitragen, den wir gerade in der MPG erleben. Für mich ist eine von Diversität geprägte Max-Planck-Gesellschaft wettbewerbsfähiger und wertvoller – und auch zukunftsorientierter. Wir müssen die Gemeinschaft von innen heraus stärken. Ich bin überzeugt, dass wir das schaffen werden! Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg…

Interview: Petra Maaß

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