Das Universum in einer neuen Dimension

Auf den ersten Bildern des James-Webb-Teleskops erscheinen astronomische Objekte mit nie gekannten Details

Ein halbes Jahr nach dem Start hat das James-Webb-Teleskop erste Bilder geliefert. Sie zeigen faszinierende Einblicke in ferne Galaxien ebenso wie turbulente Szenarien von Geburt und Tod der Sterne. Zudem hat die Weltraumsternwarte das Spektrum eines Exoplaneten aufgenommen. „Das alles sieht fantastisch aus und übertrifft sogar noch unsere hohen Erwartungen“, sagt Oliver Krause vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg. Dort hatte sein Team in den vergangenen Jahren wichtige Komponenten für die Hardware entwickelt und gebaut.

Eines der Bilder zeigt das Spektrum von WASP-96b. Dieser 1150 Lichtjahre entfernte Gasplanet ist halb so groß wie Jupiter und umläuft seinen Mutterstern einmal alle dreieinhalb Tage. „Man sieht, um wie viel besser die Messgenauigkeit des Teleskops ist, wenn man es mit seinen Vorgängern wie Spitzer oder Hubble vergleicht“, sagt Maria Steinrück. Die Wissenschaftlerin beschäftigt sich am Max-Planck-Institut für Astronomie mit den Atmosphären von Exoplaneten – ein Forschungsfeld, dem das Weltraumteleskop ganz neue Impulse verleihen soll. Abteilungsdirektorin Laura Kreidberg hat gleich zwei Beobachtungsanträge erfolgreich eingereicht. Und Maria Steinrück ist überzeugt, „dass das James-Webb-Teleskop es in Zukunft ermöglichen wird, die Zusammensetzung der Atmosphären von Exoplaneten zu bestimmen, die bisher zu klein oder zu kühl waren.“

So scharf wie nie zuvor

Galaxien sind das Hauptmotiv im Bild von Stephans Quintett, ein Ensemble aus fünf Milchstraßensystemen, die der französische Astronom Edouard Stephan 1877 im Sternbild Pegasus entdeckt hat. Die Fünfergruppe in 290 Millionen Lichtjahren Distanz steht recht nah beisammen, die Mitglieder beeinflussen sich aufgrund ihrer Schwerkraft gegenseitig. Gas wirbelt umher, zuhauf werden neue Sterne geboren. „Das Besondere ist nicht nur die Klarheit und Schärfe der Aufnahme“, sagt Max-Planck-Forscher Oliver Krause. Auf dem Foto erscheine die Umgebung von Stephans Quintett in einer dramatischen Ansicht. „Da spiegeln sich viele astrophysikalische Prozesse wider, die sich nun in bisher unerreichter Genauigkeit untersuchen lassen.“

Vorher nicht gekannten Detailreichtum und einzigartige Dynamik offenbaren auch die Bilder des Südlichen Ringnebels und des Carina-Nebels. Während Ersterer vom Tod eines Sterns kündet, gleicht Letzterer einem kosmischen Kreißsaal, in dem Hunderte Sonnen zur Welt kommen. Beide Himmelsobjekte gehören zu unserer Milchstraße und sind 2000 beziehungsweise 7500 Lichtjahre von uns entfernt.

Die Stärken des neuen, zehn Milliarden Dollar teuren Observatoriums liegen aber auch  in den Tiefen des Weltraums. So hat es den Galaxienhaufen SMACS 0723 ins Visier genommen, der wie eine Gravitationslinse wirkt. Dabei fokussiert und verzerrt die Masseansammlung von Galaxien im Vordergrund das Licht der dahinter liegenden, noch viel weiter entfernten Objekte. Diese erscheinen wie durch eine Lupe. Weil das Licht eine Zeit braucht, um durch den Kosmos zu eilen, wirken Teleskope wie Zeitmaschinen: Die Beobachtung von Himmelskörpern in großer Distanz bedeutet daher immer auch einen Blick in die Vergangenheit. Auf diese Weise erhellt „James Webb“ die Frühzeit des Universums.

Ein Teleskop mit Baukasten-System

Es hätte viel schiefgehen können in den vergangenen sechs Monaten: Nicht weniger als 344 entscheidende Fehlerquellen hatten die Experten vor dem Start an Weihnachten 2021 identifiziert. „Single point failures“ nennt sie Oliver Krause. Er und seine Heidelberger Gruppe haben nicht nur Komponenten für das Weltraumteleskop geliefert, sondern im vergangenen halben Jahr die vorbereitenden Arbeiten intensiv verfolgt und begleitet.

Denn der Weg vom Start zu einem einsatzfertigen Teleskop war äußerst komplex. Das James-Webb-Weltraumteleskop war praktisch als Baukasten ins Weltall geschickt worden. Die beiden wichtigsten Strukturen sollten sich buchstäblich erst entfalten: der fünflagige Sonnenschutzschild von der Größe eines Tennisplatzes und der aus 18 Waben bestehende Hauptspiegel mit einem Durchmesser von sechseinhalb Metern.

Beim Entpacken mussten sich die Ingenieure und Techniker darauf verlassen, dass alle mechanischen Prozesse perfekt und fehlerfrei abliefen. So etwa kamen beim Sonnenschutzschild 107 Bolzen und Federn zum Einsatz, und die sechseckigen Berylliumsegmente des Hauptspiegels wurden durch insgesamt mehr als hundert kleine Motoren auf Millionstel Millimeter genau in die richtigen Positionen geschoben. Hätte sich ein Teil verhakt, niemand hätte direkt eingreifen können.

Während dieser rund drei Monate dauernden ersten Phase kühlte das 21 Meter lange Teleskop auf seine Betriebstemperatur von minus 230 Grad Celsius ab. Seine vier wissenschaftlichen Instrumente sind sogar noch kälter, bis zu 267 Grad Celsius unter Null. Zudem wurde „James Webb“ behutsam zu seinem Beobachtungsposten bugsiert, dem Lagrangepunkt L2. „Dieser Ort ermöglicht es, Sonne, Erde und Teleskop wie auf einer Perlenschnur aufgereiht zu positionieren und dadurch das Teleskop immer im Schatten des Schutzschildes ins All blicken zu lassen“, sagt Oliver Krause.

Eine präzise Choreografie

Das Weltraumobservatorium steht aber nicht fest an jenem eineinhalb Millionen Kilometer von der Erde entfernten Lagrangepunkt, sondern umläuft ihn auf einer Bahn, deren Durchmesser größer ist als der Abstand zwischen Erde und Mond. Ein halbes Jahr dauert ein solcher Reigen jeweils, wobei die Steuerdüsen des Teleskops für eine präzise Choreografie sorgen müssen.

In den vergangenen drei Monaten wurden die vier Beobachtungsinstrumente in Betrieb genommen und unentwegt Kommandos aus dem Kontrollzentrum im US-amerikanischen Baltimore an das Teleskop geschickt. Die Tests, Daten und ersten Aufnahmen der vergangenen Wochen sahen bereits hervorragend aus. Während bei Oliver Krause und allen seinen Kolleginnen und Kollegen die Spannung stieg, schärfte das James-Webb-Teleskop schließlich seine „Augen“ und blickte mit voller Sehschärfe ins Universum.

Heute wurden die ersten Bilder von Galaxien und kosmischen Nebeln sowie das Spektrum eines Exoplaneten veröffentlicht. „Ich kann es nicht glauben, dass dieser Tag tatsächlich da ist! Schon bevor ich 2016 mit meiner Promotion begann, redeten alle davon, dass sie es kaum erwarten können, die ersten Daten von James Webb zu sehen“, sagt Maria Steinrück. Das amerikanisch-europäische Observatorium im All soll bis zu zwanzig Jahre lang arbeiten – Zeit genug für jede Menge überraschende Entdeckungen.

HOR

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