Wolken aus heißem Sand
Ein neuer Standard ist gesetzt: Das James Webb Weltraumteleskop demonstriert sein Können und lässt tief in die Atmosphäre eines fernen Planeten blicken
Die Planeten unseres Sonnensystems sind nah genug, um ihre Atmosphären von der Erde aus bis ins Detail zu studieren. Anders verhält es sich mit Exoplaneten, ferne und bisher nur in groben Zügen verstandene Welten, die Sterne jenseits unseres Heimatsterns umkreisen. Die Daten des James Webb Weltraumteleskops zeigen am Beispiel des heißen Gasriesen VHS 1256 b: unser Wissen ist nicht erschöpft.
Beobachtungen des heißen Gasriesen VHS 1256 b mit dem James Webb Weltraumteleskop setzen neue Maßstäbe für das Verständnis der Atmosphären ferner Planeten. Der Planet umkreist ein Doppelsternsystem in 40 Lichtjahren Entfernung. Seine hohe Temperatur zeugt noch von seiner Entstehung, die noch nicht lange zurück liegt. Das internationale Team, zu dem auch Forschende des Max-Planck-Instituts für Astronomie gehören, leitet aus den qualitativ hochwertigen Daten ab, wie die Atmosphäre des Planeten beschaffen ist. Die Astronominnen und Astronomen finden klare Hinweise auf gasförmiges Wasser, Methan und Kohlenmonoxid. Die Atmosphäre erweist sich als veränderlich. Während des 22-Stunden-Tages vermischt sich diese, heißes Material steigt auf und kaltes sinkt ab.
In der Fülle der Daten des Weltraumteleskops finden sich auch Spuren von Silikaten. Während Silikate auf der Erde in Gesteinen vorkommen, bilden sie in der dicken Atmosphäre des Gasriesen VHS 1256 b bei Temperaturen von 830 Grad Celsius brodelnde Wolken. Anders als die auf der Erde geläufigen Wolken, jedoch, bestehen diese nicht aus flüssigen Tröpfchen, sondern aus einer Art Staub. „Die kleineren Silikatkörner könnten winzige Partikel sein, wie sie in Rauch vorkommen“, sagt die Wissenschaftlerin Beth Biller von der Universität Edinburgh in Schottland. „Die größeren Körner dürften eher wie heiße Sandpartikel aussehen.“
Insgesamt handelt es sich um die größte Anzahl von Molekülen und atmosphärischen Merkmalen, die jemals auf einem Planeten außerhalb des Sonnensystems gleichzeitig identifiziert wurden. Ein günstiger Umstand erleichterte diese Messung bei VHS 1256 b. Der Planet ist etwa viermal so weit von seinen Sternen entfernt wie Pluto von unserer Sonne. Die Forschenden können das Licht des Planeten allein studieren, ohne dass störendes Sternenlicht in die Messinstrumente eindringt. Als Gasriese ist er zudem heller als kleine Gesteinsplaneten, während er das Licht der Zentralsterne aufnimmt und wieder abstrahlt.
Der Planet strahlt dabei fast den gesamten Teil seines Lichts im Infrarotbereich ab. Darin enthalten: Informationen über die Vorgänge in seiner Atmosphäre. Das Team entschlüsselte diese Informationen, indem es einen Datentyp analysierte, der als Spektrum bekannt ist. Ein Spektrum ist eine regenbogenartige Aufteilung von Licht nach seinen Farben beziehungsweise Wellenlängen. Der Planet ist nicht bei jeder Wellenlänge gleich hell, so wie auch die Farben eines Regenbogens nicht alle gleich kräftig wirken. Der Grund im Fall der Planetenspektren: Atome und Moleküle, wie sie in Planetenatmosphären vorkommen, strahlen Infrarotlicht nur bei ganz bestimmten Wellenlängen ab. Mit den beiden Instrumenten, dem Near-Infrared Spectrograph (NIRSpec) und dem Mid-Infrared Instrument (MIRI) an Bord des James Webb Weltraumteleskops, ist es erstmals gelungen, das gesamte Infrarotspektrum eines Exoplaneten auf einmal zu vermessen. Die Forschenden erfassten damit eine Fülle an Molekülen, die die dynamischen Wolken- und Wettersysteme des Planeten detailliert beschreiben. „Kein anderes Teleskop hat so viele Merkmale auf einmal für ein einziges Ziel nachgewiesen“, sagt Paul Mollière, ein an der Studie beteiligter Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Astronomie.
Das Team sieht in dem gemessenen Spektrum von VHS 1256 b ein Schatz an Informationen, der noch lange nicht gehoben ist. „Wir stehen erst am Anfang einer groß angelegten Modellierungsarbeit, um die komplexen Daten zu verstehen“, sagt Elisabeth Matthews vom Max-Planck-Institut für Astronomie. Das gemessene Spektrum ist detaillierter als viele der Modelle, die üblicherweise zur Beschreibung von Exoplanetenatmosphären verwendet werden. Der nächste Schritt wird sein, die Modelle so weit zu verfeinern, um auch die Größe der Silikatkörner und die genaue Zusammensetzung der Silikatwolken aus den Daten abzuleiten.
Diese Messungen und Analysen sind kein glücklicher Einzelfall. Sie dienen als Vorlage für die Analyse anderer Planetenatmosphären. Planetenspektren versetzen Forschende in die Lage, auch ferne Planeten jenseits unseres Sonnensystems bis ins Detail zu studieren. Denn diese Planeten sind selbst für die größten Teleskope zu weit entfernt, um hochaufgelöste Aufnahmen ihrer Oberfläche zu machen. „Ergebnisse wie diese zeigen die fantastische Qualität der Instrumente, und sie werden unser Wissen über den Kosmos revolutionieren“ sagt Thomas Henning, Direktor am Max-Planck-Institut für Astronomie.
MN, TB für die Wissenschaftsredaktion der MPG