Die Wiege schwarzer Löcher

Computersimulationen zeigen, wie sich mysteriöse schwarze Löcher mittlerer Masse in Sternhaufen bilden könnten.

Einer internationalen Forschungsgruppe, darunter Mitarbeitende des Max-Planck-Instituts für Astronomie, gelang die Entschlüsselung der vielschichtigen Entstehungsmechanismen der geheimnisvollen schwarzen Löcher mittlerer Masse. Sie könnten das Bindeglied zwischen ihren kleineren Verwandten, den stellaren schwarzen Löchern, und den supermassereichen Riesen darstellen, die die Zentren der Galaxien bevölkern. Dieser Erfolg ist das Ergebnis des DRAGON-II-Simulationsprojekts unter der Leitung des Gran Sasso Science Institute. Es beruht auf Berechnungen der komplexen Wechselwirkungen zwischen Sternen, stellaren schwarzen Löchern und physikalischen Prozessen in dichten Sternhaufen und zeigten, dass schwarze Löcher von bis zu einigen hundert Sonnenmassen in diesen Umgebungen entstehen können.

Die Suche nach dem Ursprung von schwarzen Löchern mittlerer Masse (engl. intermediate-mass black holes, IMBHs) ist nach wie vor ein Rätsel. Sollten sie existieren, könnten sie das Bindeglied zwischen den beiden Extremen der schwarzen Löcher sein. Am massearmen Ende beobachten wir stellare schwarze Löcher, Überbleibsel von Supernova-Explosionen massereicher Sterne am Ende ihrer Lebenszeit. Auf der anderen Seite finden wir schwarze Löcher in den Zentren von Galaxien, die millionen- oder sogar milliardenfach massereicher sind als unsere Sonne. Die Entstehung und das Wachstum dieser Objekte stellen für die moderne Astronomie immer noch ein faszinierendes Rätsel dar, vor allem, weil es keinen eindeutigen Beweis für die Existenz von IMBHs gibt. Fachkundige der Astronomie vermuten, dass sie in dichten und eng gedrängten Sternhaufen zu finden sind.

„Schwarze Löcher mittlerer Masse sind schwer zu beobachten“, erklärt Manuel Arca Sedda vom Gran Sasso Science Institute (GSSI) in L'Aquila, Italien, und Hauptautor des zugrunde liegenden Forschungsartikels. „Die derzeitigen Grenzen der Beobachtungsmethoden erlauben es uns nicht, die Gruppe dieser schwarzen Löcher mit Massen zwischen 1.000 und 10.000 Sonnenmassen auf diese Weise zu erforschen. Außerdem bereiten sie den Forschenden hinsichtlich der möglichen Mechanismen, die zu ihrer Entstehung führen, Kopfzerbrechen.“

Um diesen Nachteil zu überwinden, hat ein internationales Team unter der Leitung von Arca Sedda und Albrecht Kamlah vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg eine einzigartige Serie von hochauflösenden numerischen Simulationen von Sternhaufen durchgeführt, die als DRAGON-II Cluster-Datenbank bekannt ist. Dabei entdeckten die Astronominnen und Astronomen einen möglichen Mechanismus zur Bildung von mittelschweren schwarzen Löchern in jungen, dicht besiedelten und massereichen Sternhaufen.

Diese Simulationen mussten eine Abfolge komplexer Wechselwirkungen zwischen typischen Einzel- und Doppelsternen berechnen, die zu Kollisionen führen und immer massereichere Sterne bilden, die sich schließlich zu schwarzen Löchern entwickeln. In diesem Stadium können sie weitere massereiche Sterne und schwarze Löcher in sich aufnehmen, was zu schwarzen Löchern von mehreren hundert Sonnenmassen führt. Wie sich herausstellt, führt kein einzelner Weg zu solch einem Objekt. Stattdessen finden die Astronomen eine komplexe Palette von Wechselwirkungen und Verschmelzungsereignissen.

Bis zu einer Million Sterne bevölkerten die simulierten Sternhaufen, die einen Anteil an Doppelsternhaufen zwischen 10 Prozent und 30 Prozent aufweisen. „Die simulierten Sternhaufen spiegeln die realen Exemplare, die in der Milchstraße, den Magellanschen Wolken und verschiedenen Galaxien in unserem lokalen Universum beobachtet wurden, sehr gut wider“, erklärt Kamlah.

Das Team hat das weitere Schicksal eines solchen schwarzen Lochs in diesen Simulationen nachvollzogen und so eine turbulente Periode identifiziert, die durch heftige Austauschprozesse mit anderen Sternen und stellaren schwarzen Löchern gekennzeichnet ist und zu seinem schnellen Ausstoß aus dem elterlichen Sternhaufen innerhalb von ein paar hundert Millionen Jahren führen kann. Dieses Ereignis begrenzt effektiv sein weiteres Wachstum. Die Berechnungsmodelle zeigen, dass kleinere schwarze Löcher mittlerer Masse auf natürliche Weise aus energiereichen Wechselwirkungen zwischen Sternen innerhalb von Sternhaufen entstehen. Ihre Tendenz, größere Massen als einige hundert Sonnenmassen zu erreichen, hängt jedoch von der Dichte oder dem Massereichtum der Umgebung ab.

Dennoch bleibt ein zentrales wissenschaftliches Rätsel ungelöst: ob diese mittelschweren schwarzen Löcher als Bindeglied zwischen ihren kleineren stellaren Verwandten und den kolossalen supermassereichen schwarzen Löchern dienen. Diese Frage bleibt vorerst unbeantwortet, aber die Studie eröffnet einen Raum für konkrete Vermutungen.

„Wir brauchen zwei Zutaten für eine genauere Ergebnisse", erklärt Arca Sedda. „Einerseits einen oder mehrere Prozesse, die in der Lage sind, schwarze Löcher im mittleren Massenbereich zu bilden und andererseits die Fähigkeit, sie in der ursprünglichen Umgebung zu halten.“ Die Studie stellt strenge Anforderungen an die erste Komponente und gibt einen klaren Überblick darüber, welche Prozesse zur Bildung von schwarzen Löchern beitragen können. Die Berücksichtigung massereicherer Sternhaufen, die mehr Doppelsterne enthalten, könnte in Zukunft helfen, die zweite Zutat zu erhalten, was wiederum hohe Anforderungen an die zukünftigen Simulationen stellt.

Interessanterweise könnten Sternhaufen, die in der Frühzeit des Universums entstanden sind, die geeigneten Eigenschaften besitzen, um das Wachstum von schwarzen Löchern über mittlere Massen hinaus aufrechtzuerhalten. Zukünftige Beobachtungen solch alter Sternhaufen, zum Beispiel mit Hilfe des James Webb Weltraumteleskops und der Entwicklung neuer theoretischer Modelle, könnten dabei helfen, die Beziehung zwischen mittelschweren und supermassereichen schwarzen Löchern zu entschlüsseln. 

Hintergrundinformationen

Der an dieser Forschung beteiligte MPIA-Wissenschaftler ist Albrecht Kamlah (ebenfalls Astronomisches Rechen-Institut, Zentrum für Astronomie der Universität Heidelberg).

Die Publikation über die DRAGON-II-Simulationen ist Teil einer Serie von drei Veröffentlichungen (die beiden verbleibenden befinden sich in der Begutachtung), die wiederum zum langfristigen DRAGON-Simulationsprojekt gehören, das von Rainer Spurzem (Astronomisches Rechen-Institut, Zentrum für Astronomie der Universität Heidelberg, und Kavli-Institut für Astronomie und Astrophysik, Universität Peking; Nationale Astronomische Observatorien, Chinesische Akademie der Wissenschaften, Peking) und Teams hauptsächlich in Deutschland, China, Polen und Italien geleitet wird. Ziel dieses Projekts ist es, die dynamische Entwicklung massereicher Sternhaufen über kosmische Zeiträume hinweg mit den genauesten verfügbaren Methoden zu erforschen.

Die erfolgreiche Durchführung des Projekts erfordert den umfassenden Einsatz von GPU-beschleunigten massiv-parallelen Rechensystemen, wie dem High-Performance Computing (HPC) System Raven und dem JUWELS-Booster-System des Jülich Supercomputing Center (JSC). Die Simulationen des DRAGON-II-Projekts, die in den Veröffentlichungen vorgestellt werden, wurden alle auf dem JUWELS-Booster durchgeführt. Die umfassende Nutzung der Rechenressourcen von Raven, die in der Max Planck Computing and Data Facility (MPCDF) zur Verfügung stehen, war ebenfalls von entscheidender Bedeutung für die gründliche Evaluierung und das Benchmarking der Millionen-Körper-Simulationen, die in dieser Reihe vorgestellt werden, und bot gleichzeitig eine Testumgebung für viele der notwendigen Code-Aktualisierungen.

Diese Pressemitteilung beruht zum Teil auf der Originalversion des Gran Sasso Science Institue (GSSI).

MN

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