Bundesverfassungsgericht stärkt Forschungsfreiheit
Das Gericht hat die Bedeutung vertraulicher Datenerhebungen zu strafbarem Verhalten betont
In dem Fall der Beschlagnahme von vertraulichen Interviewdaten im Rahmen eines kriminologischen Forschungsprojekts durch die bayerischen Strafverfolgungsbehörden hat das Bundesverfassungsgericht die Forschungsfreiheit gestärkt. Dass das Gericht die Bedeutung vertraulicher Datenerhebungen zu strafbarem Verhalten unterstrichen hat, wird nach Ansicht des Max-Planck-Instituts zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht zu mehr Sicherheit in der kriminologischen Forschung führen. Der am Institut tätige Kriminologe Dietrich Oberwittler hatte in einer Stellungnahme zu der Verfassungsbeschwerde auf die drohenden negativen Konsequenzen der Beschlagnahme von Forschungsdaten hingewiesen.
Im Rahmen des DFG-geförderten Forschungsprojekts „Islamistische Radikalisierung im Justizvollzug“ hatte ein Psychologie-Professor an der Universität Erlangen-Nürnberg Strafgefangene befragt mit dem Ziel herauszufinden, warum sich Häftlinge extremistischem Gedankengut zuwenden; auch sollte untersucht werden, ob sie sich im Gefängnis verstärkt radikalisieren. Allen Befragten wurde Vertraulichkeit zugesichert.
Nachdem ein Strafgefangener, der an den Interviews teilgenommen hatte, von einem Mithäftling denunziert wurde, ließ die Staatsanwaltschaft jedoch die Audiodateien und Transkripte des – eigentlich vertraulichen – Interviews beschlagnahmen. Wenig später ermittelte die Generalstaatsanwaltschaft München gegen den Häftling wegen Mitgliedschaft einer terroristischen Vereinigung.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind keine Geistlichen
Eine Beschwerde des Forschers gegen das Vorgehen der Münchner Strafverfolgungsbehörde wurde vom Oberlandesgericht München abgewiesen. Nach deutschem Recht genießen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Gegensatz zu einigen anderen Berufsgruppen (z. B. Geistliche) kein Zeugnisverweigerungsrecht in Strafverfahren, so die Begründung. Für den Professor gelte daher auch kein Durchsuchungs- und Beschlagnahmeverbot.
Der Psychologie-Professor wandte sich daraufhin an das Bundesverfassungsgericht. Dieses nahm die Verfassungsbeschwerde zwar aus formellen Gründen – wegen Fristüberschreitung – nicht zur Entscheidung an. In seiner Begründung, in der das Verfassungsgericht eine Bewertung der Beschlagnahme vornimmt, wurde die Position der Wissenschaft dennoch klar gestärkt. Denn in der Begründung heißt es: „Gerade empirische Forschung ist regelmäßig auf die Erhebung von Daten angewiesen und insbesondere aussagefähige sensible Daten können von den Betroffenen oftmals nur unter der Bedingung von Vertraulichkeit erhoben werden. [...] Die staatlich erzwungene Preisgabe von Forschungsdaten hebt die Vertraulichkeit auf und erschwert oder verunmöglicht insbesondere Forschungen, die [...] auf vertrauliche Datenerhebungen angewiesen sind.“
Das Bundesverfassungsgericht hebt zudem die wichtige Rolle der Forschung für eine rationale Kriminalprävention hervor: Diese sei „in hohem Maße auf Erkenntnisse über Dunkelfelder und kriminalitätsfördernde Dynamiken angewiesen. Eine effektive Verhinderung von Straftaten setzt deshalb genau jene Forschung voraus, die durch den Zugriff auf ihre Daten zum Zwecke der konkreten Strafverfolgung erheblich erschwert oder verunmöglicht wird.“
Da das Bundesverfassungsgericht die Beschwerde aus formellen Gründen abgewiesen hat, hatte der Fall keine rechtlichen Konsequenzen. Das Material konnte deshalb für die Strafverfolgung verwendet werden. „Allerdings ist stark anzunehmen, dass sich Staatsanwaltschaften in Zukunft sehr zurückhalten werden, weil das Bundesverfassungsgericht sonst wahrscheinlich noch mal dagegen entscheiden würde. „Leider gibt noch keinen „Auftrag“ an die Regierung, das gesetzlich klar zu regeln“, sagt Dietrich Oberwittler vom Max-Planck-Institut für Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht.