Proteinfaltung - Origami in der Zelle
Proteine sind kettenartige Eiweiß-Riesenmoleküle, die sich zu komplizierten dreidimensionalen Formen falten. Dieser Prozess durchläuft eine Qualitätskontrolle, kann aber dennoch fehlschlagen. Falsch gefaltete Proteine können sich zu Klumpen zusammenlagern, die für die Zelle gefährlich werden. Bei verschiedenen altersbedingten Krankheiten wie etwa der Alzheimerdemenz sammeln sich solche Aggregate an. Neue Therapieansätze zielen darauf ab, die Proteinablagerungen abzubauen oder ihre Entstehung zu verhindern.
Ohne Proteine läuft nichts. Jede unserer Körperzellen enthält Tausende dieser Eiweißstoffe, die ebenso vielfältige wie lebensnotwendige Aufgaben erfüllen: Sie ermöglichen unzählige chemische Reaktionen, geben den Zellen Halt und Form und vermitteln unterschiedlichste Signale. Jedes Protein besteht aus durchschnittlich 100 bis 500 Aminosäuren, die zu einer Kette verknüpft sind. Funktionsfähig wird eine neu hergestellte Aminosäurekette aber erst, wenn sie sich zu einer komplexen und hochspezifischen dreidimensionalen Gestalt gefaltet hat1 – auf den ersten Blick eine unlösbar scheinende Aufgabe, da jede Kette Abertausende verschiedener Formen bilden kann.
Ausgeklügelte Faltung
Die meisten Proteine nehmen dennoch schnell und effizient die richtige Gestalt an. Wie gelingt das? Des Rätsels Lösung liegt in den Eigenschaften der verschiedenen Aminosäuren eines Proteins: Einige von ihnen lagern sich gern an Wassermoleküle an, andere stoßen diese eher ab. Die beiden Grundtypen kommen in den einzelnen Abschnitten der Aminosäurekette unterschiedlich häufig vor. Sie bilden den Motor, der den Faltungsprozess antreibt: Wasser abweisende Aminosäuren haften aneinander und bilden einen kompakten Kern, während sich die anderen eher an der Proteinoberfläche anordnen. Das sorgt dafür, dass der Eiweißstoff im wasserhaltigen Körperinneren als stabiles und biologisch aktives Molekül seine Aufgabe erfüllen kann. Bei größeren Proteinen falten sich unterschiedliche Teile erst getrennt voneinander zu so genannten Domänen, die sich dann ihrerseits aneinanderlagern.
Für diese schwierige und komplexe Aufgabe hat die Zelle ein eigenes System zur Qualitätskontrolle entwickelt2,3. In den späten 1980er Jahren fanden Forscher spezialisierte Proteine, welche die falsche Faltung von Aminosäureketten vermeiden helfen. Diese molekularen Chaperone (»Anstandsdamen«) binden die Proteine und schützen sie, solange sie noch nicht fertig oder nicht richtig gefaltet sind.
Fehler trotz Kontrolle
Eine spezielle Gruppe solcher Helfermoleküle, die so genannten Chaperonine, erinnern an kleine Treteimer mit einem Loch im Boden. Sie nehmen ungefaltete Proteine auf, die darin ungestört ihre korrekte dreidimensionale Form einnehmen können. Danach öffnet sich der Deckel des Chaperonins, das fertige Molekül kommt heraus und kann seine Arbeit aufnehmen. Zusätzlich besitzt jede Zelle ein Proteasom: eine Art Recyclingzentrum, das nicht benötigte oder falsch gefaltete Eiweißstoffe in kleine Fragmente zerlegt, aus denen dann wieder neue Proteine entstehen können.
Trotz dieser höchst aufwändigen Qualitätskontrolle entstehen immer wieder auch falsch gefaltete Proteine – in der Regel aus einem von zwei Gründen: Entweder bildet sich bereits von vornherein eine fehlerhafte Aminosäurekette, oder ein normales Protein verliert später wieder seine korrekte Gestalt. Beispiele für die erste Möglichkeit sind Mutationen in dem Gen für den Tumorsuppressor p53, der beschädigte DNA-Abschnitte repariert. Sie führen zu falsch gefaltetem, funktionsunfähigem p53-Protein, wodurch möglicherweise Krebs entsteht. Auch der Mukoviszidose liegt ein fehlerhaft gefaltetes Eiweiß zu Grunde, das sich durch eine kritische Mutation bildet.
Falsch geformte Proteine können nicht nur ihre biologischen Aufgaben nicht mehr erfüllen, sondern klumpen oft auch zu unlöslichen Aggregaten zusammen, die sich in der Zelle oder ihrer unmittelbaren Umgebung ansammeln. Derartige Abfallprodukte dürften das reibungslose Funktionieren der Zelle beeinträchtigen und diese schädigen – unter Umständen mit dramatischen Folgen. Nach neuen Erkenntnissen spielt das vermutlich so verursachte Absterben von Nervenzellen eine entscheidende Rolle bei vielen altersabhängigen Krankheiten des Nervensystems, etwa bei Chorea Huntington (»erblichem Veitstanz«) und der Alzheimerdemenz4,5.
Fluch des Alterns
Warum treten solche Erkrankungen vor allem bei älteren Menschen auf? Laut einer Untersuchung von 2007 scheint die Qualitätskontrolle mit höherem Lebensalter häufiger zu versagen. Dadurch sammeln sich allmählich immer mehr falsch gefaltete, potenziell schädigende Proteine an6. Die Gehirne von Patienten mit Alzheimerdemenz etwa sind übersät mit charakteristischen Plaques – Aggregaten aus so genannten Beta-Amyloid-Peptiden –, die sich um Nervenzellen herum anhäufen. Auch wenn noch nicht geklärt ist, ob die Plaques Ursache oder Folge der Krankheit sind – sie dürften für das massenhafte Absterben der Neurone sowie den Verlust des Gedächtnisses der Patienten zumindest mitverantwortlich sein.
Die Erkenntnis, dass falsche Proteinfaltung anscheinend gleich mehreren altersbedingten Krankheiten zu Grunde liegt, bietet die Chance auf einen einheitlichen Therapieansatz für all diese Störungen. In Zellkulturen konnten Forscher bereits die Produktion molekularer Chaperone ankurbeln, indem sie bestimmte Wirkstoffe hinzugaben. So verhinderten sie, dass sich in den Zellen unlösliche Huntingtin-Aggregate bildeten – jene Proteinklumpen, die Chorea Huntington auslösen7.
Zwar verstehen wir die grundlegenden Vorgänge bei der Proteinfaltung schon recht gut, doch gibt es noch viele wichtige Details zu erforschen und zentrale Fragen zu klären: Wie funktioniert das Qualitätskontrollsystem im Detail und warum beginnt es im Alter zu versagen? Weshalb sind fehlgefaltete Proteine für die Zelle überhaupt so schädlich? Wie sieht ihre Struktur aus und wie interagieren sie mit anderen Molekülen? Und schließlich: Wie können wir toxische Proteinaggregate entfernen oder gar ihr Entstehen verhindern?
Effektivere Therapien
Für die weitere Erforschung der Proteinfaltung gilt es nun, Wissen aus ganz unterschiedlichen Disziplinen zusammenzubringen. So können Wissenschaftler mit Computersimulationen und biophysikalischen Methoden die molekularen Eigenschaften der gefährlichen Proteinaggregate und ihrer Zwischenstadien erkunden8. Wie toxisch solche Aggregate im Einzelfall tatsächlich wirken, lässt sich mit Hilfe von Gewebekulturen und Tierexperimenten untersuchen.
Dank der so genannten quantitativen Proteomik können Biowissenschaftler auch herausfinden, wo die falsch gefalteten Proteine in der Zelle angreifen und über welche Mechanismen sie diese schädigen. Die Erforschung des Qualitätskontrollsystems schließlich sollte Aufschlüsse über die Vorgänge beim Altern und die damit verbundenen Krankheiten liefern.
Forscher und Mediziner hoffen, auf dieser Grundlage effektivere Therapien zu entwickeln9,10. Dazu arbeiten sie derzeit an Strategien, um entweder die Proteinaggregation aufzuhalten oder aber die zelleigenen Abwehrmechanismen zu aktivieren – also die Chaperone sowie proteinabbauende Enzyme. Unter anderem durchforsten Experten riesige Molekülbanken, um geeignete Substanzen zu finden. Das Ziel: altersbedingte, bislang unheilbare Krankheiten kurieren – und so ein längeres Leben in Gesundheit ermöglichen.
Studien am Max-Planck-Institut für Biochemie erlauben Einblicke in die Mechanismen, mit denen molekulare Chaperone den Aufbau toxischer Proteinaggregate in Zellen verhindern. Diese bemerkenswerte Eigenschaft der Chaperone kann bei der Entwicklung neuer Strategien im Kampf gegen neurodegenerative Erkrankungen helfen (Behrends, C. et al., Mol. Cell 23, 887–897, 2006).