Forschungsbericht 2023 - Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung

Wer beherrscht die Unternehmen heute?

Autoren
Braun, Benjamin
Abteilungen
Forschungsbereich Wirtschaftssoziologie
Zusammenfassung
Der Aufstieg der Vermögensverwalter ändert die Machtverhältnisse zwischen den Vermögenden und dem Rest der Gesellschaft – den Arbeitnehmern, den Unternehmen und dem Staat. Im Vergleich zu vor 20 Jahren konzentriert sich heute mehr Macht in den Händen weniger, vor allem US-amerikanischer Fonds- und Private-Equity-Gesellschaften. Diese Akteure beeinflussen nicht mehr nur die Unternehmensführung, sondern zunehmend auch die Wirtschaftsstruktur insgesamt. In den USA wird dies zu einer ernsten Bedrohung für den Wettbewerb, in Deutschland sind ähnliche Entwicklungen in einem frühen Stadium erkennbar.
 

Vor genau zwanzig Jahren erschien das Buch „Wer beherrscht die Unternehmen?“. Darin befasste sich Martin Höpner (MPIfG) mit dem Schicksal der „Deutschland AG“ – dem Netzwerk an gegenseitigen Beteiligungen, das die größten deutschen Unternehmen über weite Strecken des 20. Jahrhunderts hinweg zusammengehalten hatte. Im Zentrum des Netzwerks standen die Deutsche Bank und die Allianz-Versicherung (Abb. 1).

Um diesen Wandel zu verstehen, bedarf es einer umfassenderen historischen und theoretischen Perspektive. Heute besteht Kapital vornehmlich aus „institutionellem“ Kapital, das in Pensionsfonds und Stiftungen gebündelt ist, die es an größere Kapitalsammelstellen, kommerzielle Vermögensverwalter oder „Asset-Management-Firmen“ weiterleiten. Historischer Vorläufer dieses neuen Asset-Management-Kapitalismus ist das von Rudolf Hilferding, dem Finanzminister der Weimarer Republik, beschriebene „Finanzkapital“. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts führte ein beispielloser Kapitalbedarf der Industrieunternehmen zu einer Ausweitung des Angebots an Finanztiteln aus dem Unternehmenssektor und verschmolz zwei bis dahin weitgehend getrennte Welten: die Industrie und die Kapitalmärkte. Der Bankensektor engagierte sich zunehmend in der Industrie, durch umfangreiche Kreditbeziehungen und direkte Beteiligungen am Aktienkapital der Unternehmen. Vor allem in Deutschland und in den USA wurden die Finanziers zu den dominierenden Aktionären und Gläubigern der Großunternehmen und Monopole, die sie zu schmieden halfen. Zwar hatten sie weitgehende Kontrolle, doch ihre Portfolios waren schlecht diversifiziert und damit anfällig für die Launen des Kapitalismus.

Heute dominiert der Finanzsektor erneut den Unternehmenssektor. Die zentralen Akteure sind jedoch nicht mehr Banken, sondern Asset-Management-Firmen: Private-Equity-Firmen wie Blackstone und die großen Fondsgesellschaften, etwa BlackRock. Sie können Anlagestrategien umsetzen, die für einzelne Aktionäre oder Investoren zu aufwendig wären. Asset-Management-Firmen ermöglichen es nun, Portfolios breit zu diversifizieren und dabei liquide Anteile an verschiedenartigen Investmentfonds zu halten. Durch die Institutionalisierung des Kapitals können zugleich nichtfinanzielle Aktivitäten kontrolliert, Vermögen geschützt und hohe Renditen erwirtschaftet werden.

Private Equity: die Blackstone-Ökonomie

Private-Equity-Firmen erwerben und veräußern Unternehmensanteile, die zunächst nicht an einer Börse gehandelt werden (daher „privat“). Sie verstehen sich als Landschaftspfleger im Garten des Kapitalismus, als dessen Wesenskern ein Verdrängungs- und Erneuerungsprozess angenommen wird: „Unwirtschaftliche“ Unternehmen werden übernommen, um sie nach einer Umstrukturierung gewinnbringend weiterzuverkaufen (das „Buy-out-Modell“).

War dies in den 1980er-Jahren in den USA durchaus zutreffend, hat sich das Geschäftsmodell der Private-Equity-Firmen inzwischen grundlegend verändert. Statt „schöpferische Zerstörung“ (Joseph Schumpeter) streben sie nun höchstmögliche Renditen bei geringstmöglichem Risiko an. Einst ein Nischenprodukt, hat sich Private Equity zu einer unverzichtbaren Anlageform in den Portfolios von Pensions- und Staatsfonds entwickelt. Der Kapitalzufluss hat den Einstieg von Private-Equity-Gesellschaften in den Immobilien- und Infrastruktursektor begünstigt, wo stetige Renditen aus Mieteinnahmen locken. Im Bereich der Unternehmensbeteiligungen hat Private Equity das „Roll-up-Modell“ entwickelt, bei dem ehemals lokale, familiengeführte Unternehmen aufgekauft und zu größeren Einheiten verschmolzen werden.

Die vollständige Kontrolle über die nichtfinanziellen Vermögenswerte ermöglicht es, kurzfristigen Renditen Vorrang vor langfristiger wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit zu geben – und dies zunehmend auch in Sektoren wie Gesundheit und Pflege, die sich bislang kommerziellen Zusammenschlüssen eher widersetzt haben.

Fondsgesellschaften: die Black-Rock-Ökonomie

Bei der Aktionärsstruktur börsennotierter Unternehmen wird klassischerweise zwischen konzentrierten, von Familien und Nicht-Finanzunternehmen dominierten Aktionärsstrukturen, und verstreuten, von institutionellen Anlegern dominierten Strukturen unterschieden. Das Aufkommen indexorientierter Vermögensverwalter untergräbt diese Unterscheidung jedoch: Heute ist die Aktionärsstruktur etwa in den USA besonders konzentriert, gerade weil sie der Heimatmarkt der beiden größten Vermögensverwalter BlackRock und Vanguard sind, die inzwischen auch in Deutschland eine dominante Stellung einnehmen (Abb. 2).

Diese „Big-2“-Vermögensverwalter haben somit großen Einfluss auf Investitionen und Produktionstechnologien der Zukunft, sind in der Praxis jedoch überraschend zurückhaltend, ihr Stimmrecht zur Gestaltung der Wirtschaft einzusetzen. Grund dafür ist die Situation in den USA, wo die großen Fondsgesellschaften massivem politischem Druck ausgesetzt sind: Einerseits müssen sie die Demokraten mit klimapolitischen Signalen besänftigen, andererseits alles vermeiden, was den Anti-Wall-Street-Flügel der Republikaner, der sich für die Förderung und Nutzung fossiler Brennstoffe starkmacht, auf den Plan rufen könnte. In dieser prekären Lage versuchen die Fondsgesellschaften, weniger Stimmrechte zu kontrollieren, indem sie diese an ihre Kunden „zurückgeben“ und die institutionellen Anleger somit selbst entscheiden lassen, wie ihre Stimmrechte ausgeübt werden sollen.

Wandel der Machtverhältnisse im Kapitalismus

Der Aufstieg der Vermögensverwalter verändert die Machtverhältnisse zwischen den Vermögensbesitzern und dem Rest der Gesellschaft – den Arbeitnehmern, den Unternehmen und dem Staat. Anders als vor 20 Jahren konzentriert sich heute mehr Macht in den Händen einiger weniger, hauptsächlich US-amerikanischer Fonds- und Private-Equity-Gesellschaften. In den USA stellt das Roll-up-Modell eine ernsthafte Bedrohung für den Wettbewerb dar, in Deutschland beginnen sich ähnliche Entwicklungen abzuzeichnen. Es wäre jedoch irreführend, dies als eine Deutschland AG 2.0 zu interpretieren, da Asset-Management-Gesellschaften wie BlackRock oder Blackstone nicht mit traditionellen deutschen Finanzinstituten vergleichbar sind. Wie sich die Internationalisierung und Institutionalisierung der Eigentümerstrukturen auf das exportorientierte deutsche Wachstumsmodell auswirken, bleibt eine offene empirische Frage.

Literaturhinweise

Braun, B.
Exit, control, and politics: structural power and corporate governance under asset manager capitalism
Politics & Society 50 (4), 630–654 (2022)
Condon, M.
Externalities and the common owner
Washington Law Review 95 (1), 81 pp. (2020)
Höpner, M.
Wer beherrscht die Unternehmen? Shareholder Value, Managerherrschaft und Mitbestimmung in Deutschland
Campus, Frankfurt a. M. (2003)
Palladino, L. M.
Establishing a public option for asset management in the United States.
Review of Social Economy. 2023;1-20.
Voss, D.
Sectors versus Borders: Interest Group Cleavages and Struggles over Corporate Governance in the Age of Asset Management
Working paper, London School of Economics and Politics (2023)

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