Forschungsbericht 2023 - Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung
Meteoriten: Steinerne Zeugen der Entstehungsgeschichte von Erde und Mars
Die Geburtsstunde unseres Sonnensystems liegt mehr als 4,5 Milliarden Jahre zurück. Wie haben sich aus der Scheibe aus Gas und Staub, die damals um die noch junge Sonne kreiste, die großen und kleinen Körper des heutigen Sonnensystems entwickelt? Wie sind die inneren Gesteinsplaneten Merkur, Venus, Erde und Mars entstanden? Und warum sind sie trotz großer Ähnlichkeiten zu solch verschiedenen Welten (siehe Abb. 1) geworden? Antworten auf diese Fragen liefern in gewisser Weise die Körper selbst. Denn Entstehung und weitere Entwicklung haben in ihnen Spuren hinterlassen, die bis heute überdauern – etwa in den Verhältnissen, in denen bestimmte Metallisotope im Gestein vorliegen. Dabei bezeichnen Isotope Varianten desselben chemischen Elements, die sich allein durch die Anzahl der Neutronen im Kern und damit durch ihr Gewicht unterscheiden.
Isotopen als Zeugen und Prüfstein
Forscherinnen und Forscher gehen davon aus, dass diese Metallisotope im frühen Sonnensystem nicht gleichmäßig verteilt waren; ihre Verhältnisse zueinander hingen vielmehr vom Abstand von der Sonne ab. Die heutige Isotopenzusammensetzung eines Körpers gibt deshalb Zeugnis davon, wo im Sonnensystem er selbst oder sein Baumaterial entstanden ist. Der erdnahe Asteroid Ryugu beispielsweise, von dem die japanische Raumsonde Hayabusa 2 vor drei Jahren etwa fünf Gramm Gestein zurück zur Erde brachte, hat seinen Ursprung vermutlich weit jenseits der Umlaufbahn von Jupiter und Saturn. Das legen hochpräzise Untersuchungen seiner Isotopenzusammensetzung nahe [1], [2].
Im Fall von Gesteinsplaneten, die eine deutlich längere und komplexere Entstehungsgeschichte haben, kann die Isotopenzusammensetzung noch mehr verraten. Einige Metalle wie etwa Titan und Zirkonium reichern sich vor allem im Silikatgestein an und haben deshalb den Werdegang des Planeten von Anfang an miterlebt; andere wie etwa Molybdän bevorzugen die eisenreiche Umgebung im Planetenkern, so dass Molybdän-Atome, die sich heute in Erdmantel und -kruste finden, zum Großteil erst in der späten Wachstumsphase des Planeten eingetragen worden sind; und noch andere Metalle wie Zink entweichen aus dem aufgeschmolzenen Baummaterial schon bei vergleichsweise niedrigen Temperaturen. Auf diese Weise können die unterschiedlichen Metalle in ihrer Gesamtheit helfen, die Stadien der Planetenbildung zeitlich aufgelöst zu rekonstruieren und wertvoller Prüfstein für Theorien und Computersimulationen sein.
Marsmeteorite im Labor
Neben der Erde ist der Mars der einzige Planet, von dem uns Gesteinsproben vorliegen. Zwar ist es technisch noch nicht möglich, Bodenproben vom Mars zur Erde zu bringen; nach derzeitigem Stand wird es bis dahin noch mindestens bis Anfang der 2030er Jahre dauern. Doch einige Brocken haben ganz von selbst ihren Weg vom Mars zur Erde gefunden: in Form von Meteoriten (siehe Abb. 2). Einige hundert Marsmeteorite wurden bisher auf der Erde identifiziert. Damit sie ihr steingewordenes Wissen preisgeben, müssen die Proben aufwändig vorbereitet werden: Sie werden pulverisiert, in Säure aufgelöst und weiter chemisch vorbehandelt. Mithilfe hochpräziser Massenspektrometer lassen sich dann winzigste Mengen von Metallisotopen aufspüren und ihre Verhältnisse bestimmen.
Als Referenzmaterial bei den Untersuchungen dienen zwei weitere Arten von Meteoriten. Als Bruchstücke von Asteroiden haben sie sich seit der frühen Phase des Sonnensystems nur wenig verändert. Die kohligen Chondrite, die einige Prozent Kohlenstoff enthalten, sind jenseits der heutigen Jupiterbahn entstanden und spiegeln die Isotopenverhältnisse im äußeren Sonnensystem wider; die nicht-kohligen Chondrite hingegen stammen aus dem inneren Sonnensystems. Vergleiche der Isotopenzusammensetzung einer planetaren Gesteinsprobe mit der beider Chondritenarten hilft zu verstehen, zu welchen Teilen sie sich aus Baumaterial aus dem inneren und äußeren Sonnensystem zusammensetzt. Bei der Interpretation der Messwerte helfen Computersimulationen, die nachstellen, in welchem Verhältnis das Baumaterial eingetragen worden sein muss, um die gemessenen Werte zu reproduzieren.
Kinder des inneren Sonnensystems
Während Untersuchungen dieser Art von irdischem Gesteinsmaterial seit Längerem vorliegen, bieten aktuelle Studien erstmals umfassende Erkenntnisse für den Mars [3], [4]. Sie beruhen auf Messungen der genauen Isotopenverhältnisse von Titan, Zirkonium, Molybdän und Zink. Demnach stammen nur wenige Prozent des Baumaterials von Erde und Mars aus dem äußeren Sonnensystem. Dies widerlegt neuere Theorien zur Planetenentstehung, wonach ein Strom millimetergroßer Teilchen aus dem äußeren Sonnensystem die inneren Gesteinsplaneten auf ihre heutige Größe anwachsen ließ. Stattdessen ist Modellen der Vorzug zu geben, die den Ursprungsort des irdischen und marsianischen Gesteins vornehmlich im inneren Sonnensystem verorten.
Zudem erweist sich die Zutatenliste beider Planetengesteine als umfangreicher als bisher gedacht. Denn allein als Mischung von Baumaterial, das den kohligen und nicht-kohligen Chondriten gleicht, lässt sie sich nicht erklären [4]. Vielmehr muss weiteres, anders geartetes Material mit im Spiel gewesen sein, das womöglich aus großer Sonnennähe stammt. Dieses Material wurde wahrscheinlich nicht bis in den Asteroidengürtel, den Ausgangspunkt heutiger Meteoriten gestreut, sondern ging vollständig in den inneren Gesteinsplaneten auf. Es dürfte das hauptsächliche Baumaterial von Merkur und Venus sein. Da es von diesen Körpern keine Gesteinsproben gibt, liegt uns kein Referenzmaterial für diesen „verlorenen Baustoff“ vor.
Ebenfalls offen bleiben Fragen zur jüngsten Phase der Planetenentstehung, zu der die Zinkisotope ein Fenster öffnen. Wie die Messungen zeigen, liegt im irdischen Gesteinsmaterial ein deutlich höherer Anteil von Zink aus dem äußeren Sonnensystem vor als im Marsgestein [3]. Möglich ist, dass der Mars aufgrund seiner geringeren Größe eine geringere Menge dieses Materials ansammeln oder dass es vom Mars leichter als von der Erde entweichen konnte.
Literaturhinweise
DOI: 10.1126/science.abn7850
DOI: 10.1126/sciadv.add8141
DOI: 10.1016/j.icarus.2023.115519
DOI: 10.1126/sciadv.abj7601