Forschungsbericht 2023 - Max-Planck-Institut für Stoffwechselforschung
Detaillierte Charakterisierung von Nervenzellen im Mausgehirn
Einleitung
Ein zentrales Forschungsgebiet unseres Institutes ist die Regulation des Stoffwechsels durch das Gehirn. Hormone, die von Fettgewebe, Leber, Bauchspeicheldrüse (Pankreas) oder Darm ausgeschüttet werden, liefern den Neuronen im Hypothalamus Informationen über aufgenommene Nährstoffe, den Blutzuckerspiegel oder den Fettspeicher. Dort werden diese Informationen mit anderen verrechnet, um zum Beispiel ein Sättigungsgefühl auszulösen und die weitere Nahrungsaufnahme zu hemmen.
Zwei Zelltypen spielen eine zentrale Rolle bei der Regulierung der Nahrungsaufnahme: Agouti-Related-Peptide
(AgRP)-Neurone und Pro-Opiomelanocortin (POMC)-Neurone. Die Zelltypen wirken gegensätzlich: Die Aktivität von AgRP-Neuronen führt zur Nahrungsaufnahme, während POMC-Neurone ein Sättigungsgefühl auslösen [1]. Seit ihrer Erstbeschreibung wurde dieses System in unzähligen weiteren Publikationen detailliert untersucht. So konnten zum Beispiel Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unseres Instituts zeigen, dass POMC-Neurone keine einheitliche Zell-Population darstellen, sondern in weitere Subtypen untergliedert werden können, welche unterschiedliche Funktionen haben [2].
Einzelzell-RNA-Sequenzierung zeigt Vielfalt von Neuronen
Auch andere Neurone des Hypothalamus spielen eine Rolle in der Regulation des Stoffwechsels. Zellen, die das Neuropeptid Orexin exprimieren, haben ebenfalls eine appetitanregende Funktion, darüber hinaus verstärken sie das Wachheitsgefühl, indem sie Einfluss auf andere schlafregulierende Neurone nehmen [3]. Tatsächlich sind AgRP-, POMC- und Orexin-Neurone nur einige Beispiele für die große Anzahl verschiedener Neurone im Gehirn, besonders in den Teilregionen des Hypothalamus. In den letzten Jahren konnte diese Vielfalt durch sogenannte Einzelzell-RNA-Sequenzierung ( single-cell RNA sequencing, scRNA-seq) im Detail untersucht werden [4]. Dabei werden einzelne Zellen oder Zellkerne isoliert und die Boten-Ribonukleinsäure-Moleküle ( messenger ribonucleic acid, mRNA) der einzelnen Zellen mit Barcodes aus Oligonucleotiden versehen, wodurch sich nach dem Sequenzieren mittels nextgeneration-sequencing feststellen lässt, welche Gene in welcher Zelle exprimiert waren.
In jeder Zelle wird immer nur ein Teil der gesamten in der DNA codierten Erbinformation abgelesen und in mRNA übersetzt, um die benötigten Proteine herzustellen. Zellen mit ähnlicher Funktion, also zum Beispiel Neurone des gleichen Zelltyps, exprimieren auch ähnliche Gene. Deshalb können wir die im scRNA-seq untersuchten Zellen mithilfe von clustering-Algorithmen zusammengruppieren, was uns die Identifikation und Unterscheidung verschiedener Zelltypen ermöglicht. Darüber hinaus können wir weitere Eigenschaften sowohl von Neuronen als auch anderer Zelltypen, wie Immunzellen, untersuchen, indem wir zum Beispiel die Genexpression von Rezeptoren für Hormone bestimmen und damit weitere Informationen über die Rolle der Zellen in der Regulierung des Stoffwechsels oder anderer Prozesse gewinnen.
Ein Referenzatlas des Hypothalamus auf zellulärer Ebene
In den letzten sieben Jahren wurde eine Vielzahl von scRNA-seq Datensätzen des Hypothalamus publiziert, häufig jedoch nur von Zellen einer bestimmten Teilregion. Des weiteren unterscheiden sich das clustering und die Zuordnung von Zelltypen zwischen diesen einzelnen Studien [4; 5]. Wir haben 17 verschiedene Datensätze gesammelt und mit neu generierten Daten kombiniert, um einen umfassenden
Überblick aller Zelltypen des Hypothalamus der Maus zu erstellen. Eine zentrale Herausforderung waren dabei die vielen technischen Unterschiede zwischen Datensätzen, welche auch die Expression von Genen betreffen können: diese mussten korrigiert werden, um die “richtigen” Zelltypen über mehrere Datensätze hinweg zu identifizieren und nicht, aufgrund von technischen Unterschieden, Zellen falsch zu clustern. Dazu haben wir verschiedene Integrations-Algorithmen für scRNA-seq Daten systematisch miteinander verglichen, um eine optimierte korrigierte Version der gesammelten Datensätze zu erzeugen [5].
Auf der Basis unserer Daten haben wir einen Referenzatlas des Hypothalamus der Maus, genannt “HypoMap”, erstellt. Dieser umfasst die Genexpression von 384.925 einzelnen Zellen, davon 219.030 Neurone. Über ein einheitliches clustering haben wir bis zu 465 verschiedene Zelltypen identifiziert, was die erstaunliche Vielfalt von Zellen im Hypothalamus verdeutlicht. Auch gibt es noch eine große Anzahl wenig untersuchter Zelltypen, die wichtige Signalfunktionen in neuronalen Netzwerken haben könnten. Unser Referenzatlas kann als Basis dazu dienen, unter sehr geringem Aufwand neu generierte scRNA-seq Daten mit existierenden Datensätzen zu vergleichen und Zelltypen zu bestimmen. Wir zeigen zum Beispiel, dass bestimmte Neurone unter experimentellen Bedingungen, wie zum Beispiel durch Fasten, aktiviert werden und sich diese Aktivierung auch in der Genexpression finden lässt. Über die Zelltyp-Annotationen des Referenzatlas können so leicht verschiedene Konditionen und Datensätze verglichen werden [5]. scRNA-seq ermöglicht einen unvoreingenommenen Blick auf Neurone und andere Zelltypen und bietet so die Möglichkeit, bisher wenig erforschte Aspekte der hochkomplexen neuronalen Netzwerke, die den Stoffwechsel von Maus und Mensch regulieren, genauer zu untersuchen.