Forschungsbericht 2023 - Max-Planck-Institut für demografische Forschung

Einblicke in das letzte Lebensjahr 

Autoren
Ebeling, Marcus; Meyer, Anna C.; Modig, Karin
Abteilungen
Max-Planck-Institut für demografische Forschung, Rostock (Ebeling)
Institute of Environmental Medicine, Unit of Epidemiology, Karolinska Institute, Stockholm, Schweden (Meyer, Modig)
 
Zusammenfassung
Bisher ist wenig darüber bekannt, wie Menschen ihr letztes Lebensjahr verbringen. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass ein längeres Leben mit einem längeren Sterbeprozess einhergeht und die meisten Sterbefälle nicht dem entsprechen, was als "gutes Sterben" bezeichnet wird. Die Verlängerung der Lebenserwartung ist zum Teil auf eine Verlangsamung des Sterbeprozesses zurückzuführen. Die Lebensendverläufe erfordern eine Diskussion darüber, wie wir in einer Zeit steigender Lebenserwartung und alternder Gesellschaften sterben wollen.

Über die Frage, wie Menschen ihr Lebensende verbringen wollen – was also „ein guter Tod“ ist – gibt es keinen Konsens. Eigenständigkeit, keine Schmerzen oder keine unnötigen lebensverlängernden Maßnahmen sind einige der wesentlichen Punkte, von denen man weiß, dass viele Menschen sie sich für ihr Lebensende wünschen.

Auch gesellschaftlich ist die Frage nach den Lebensendverläufen von weitreichender Bedeutung. Die Lebenszeit vor dem Tod ist besonders ressourcen-intensiv, und in vielen alternden Bevölkerungen wird es – zumindest temporär – zu einem Anstieg der Sterbefälle pro Jahr kommen. Es muss sichergestellt werden, dass die wachsende Zahl von Menschen an ihrem Lebensende angemessen versorgt wird. Welche Ressourcen in welchem Umfang zur Verfügung gestellt werden, ist zum gewissen Teil eine politische Entscheidung. Allerdings erfordert das Thema auch eine gesamtgesellschaftliche Diskussion über den Wert des Sterbens in alternden Gesellschaften. Beides bedarf einer wissenschaftlich fundierten Basis.

Antworten auf diese Fragen liefern überraschenderweise nur wenige Studien. Einige geben Einblicke in verschiedene Aspekte des Lebensendes. Diese Studien konzentrierten sich jedoch entweder auf einen bestimmten Aspekt wie den Zeitpunkt der Pflegebedürftigkeit oder stützten sich auf Teilstichproben der Bevölkerung und laufen daher Gefahr, nicht das ganze Spektrum der Lebensendverläufen abzubilden. Zudem sind Verläufe am Lebensende bisher nicht mit der gesellschaftlichen Ebene verknüpft und im Kontext der Sterblichkeit der gesamten Bevölkerung analysiert worden. Unsere Studie, die wir gemeinsam mit Kolleginnen des Karolinska Institut in Stockholm durchgeführt haben, zielt darauf ab, diese Lücke zu schließen [1]. Als Grundlage dienen Daten aus verschiedenen Bevölkerungsregistern über alle Schweden und Schwedinnen, die in den Jahren 2018 bis 2020 im Alter von mindestens 70 Jahren verstorben sind. Aus dem Todesursachen-Register beispielsweise stammen Informationen zum Sterbedatum und zur Todesursache. Daten zur Inanspruchnahme von Altenpflege während des letzten Lebensjahres liefert das schwedische Sozialdienstregister, Informationen zum Umfang und zur Art des Bedarfs an medizinischer Versorgung sind dem schwedischen Patientenregister entnommen. Auf Grundlage dieser Daten sind verschiedene Aspekte der Lebensendverläufe messbar gemacht und Gemeinsamkeiten sowie Unterschiede zwischen den individuellen Verläufen untersucht worden. Daraus haben wir sechs Arten von Verläufen am Lebensende identifiziert:

  • Plötzlicher Tod
  • Tödliche Erkrankung
  • Eingeschränkt
  • Eingeschränkt mit hohem Bedarf an medizinischer Versorgung
  • Vollzeitpflege
  • Vollzeitpflege mit hohem Bedarf an medizinischer Versorgung

Zwei Drittel aller Lebensendverläufe waren durch ein hohes Maß an Pflegebedürftigkeit im letzten Lebensjahr gekennzeichnet, vor allem bei Todesfällen über 83 (derzeitige durchschnittliche Lebenserwartung in Schweden). Fast die Hälfte der Menschen mit einem dieser Verläufe (eingeschränkt, eingeschränkt mit hohem Bedarf an medizinischer Versorgung, Vollzeitpflege, Vollzeitpflege mit hohem Bedarf an medizinischer Versorgung) benötigte außerdem umfangreiche medizinische Versorgung.

Viele Menschen benötigen im letzten Lebensjahr viel Pflege

Der hohe Pflegebedarf bereits zu Beginn des letzten Lebensjahres lässt auf einen langsameren Sterbeprozess schließen, was sich von den schneller fortschreitenden Typen „plötzlicher Tod“ und „tödliche Erkrankung“ unterscheidet. Die Verlaufstypen lassen sich demnach grob in zwei Arten einteilen: einen schnellen und einen langsamen Sterbeprozess. Mit zunehmendem Sterbealter werden schnell voranschreitende Verläufe seltener, während langsamere Verläufe häufiger auftreten. Dieses Muster lässt die Hypothese zu, dass ein höheres Sterbealter bzw. eine längere Lebensspanne unter anderem die Folge eines langsameren Sterbeprozesses ist. Plötzliche Todesfälle – früher die häufigste Todesart – stellen in der Analyse mit lediglich elf Prozent die kleinste Gruppe dar. Die langsameren Verläufe dagegen kommen am häufigsten vor, was die Hypothese weiter stützt. Weitere Untersuchungen hierzu sind erforderlich, um den Herausforderungen und Folgen einer immer größer werdenden Lebensspanne zu begegnen und die Situation des Sterbens in alternden Gesellschaften zu gestalten: Nur mit Erkenntnissen darüber, wie Menschen das Lebensende erleben, lässt sich in alternden Gesellschaften eine Debatte über die Bedeutung des Todes und über „gutes“ Sterben führen. Mit unserer Studie liefern wir eine Grundlage zu dieser überfälligen Debatte.

Die Studie wurde vom schwedischen Forschungsrat für Gesundheit, Arbeitsleben und Wohlfahrt (Forskningsrådet för hälsa, arbetsliv och välfärd, FORTE) unterstützt und 2023 im Fachjournal „American Journal of Public Health“ veröffentlicht.

Ebling, M.; Meyer, A.C.; Modig, K.
Variation in end-of-life trajectories in persons aged 70 years and older, Sweden, 2018–2020
American Journal of Public Health 113 (7), 786–794 (2023)

Weitere interessante Beiträge

Zur Redakteursansicht