Bakterien im Meeresboden der Arktis sind das ganze Jahr aktiv
Die Bakteriengemeinschaft in arktischen Sedimenten bleibt übers Jahr hinweg stabil
Bremer Forschende haben die Zusammensetzung und Funktion der Bakterien im Meeresboden vor Spitzbergen im Wechsel von Polarnacht und Mitternachtssonne untersucht. Dazu haben sie ein eigens entwickeltes Probennahmegerät benutzt, den Ellrott-Greifer. Anders als im darüberliegenden Wasser verändern sich die Bakterien im Sediment im Wandel der Jahreszeiten kaum. Das liegt vermutlich daran, dass manche schwer verdauliche Nahrungsmittel dort das ganze Jahr über verfügbar sind.
Die Arktis ist kalt und lebensfeindlich und dennoch Heimat einer Vielzahl von Mikroorganismen, deren Aktivität das Leben auf unserem Planeten maßgeblich mitbestimmt. So spielen beispielsweise Bakterien im Meeresboden eine zentrale Rolle dabei, Biomasse abgestorbener Organismen weiterzuverarbeiten. Dabei entstehen aus dem enthaltenen Kohlenstoff schwer abbaubare Substanzen, die für lange Zeit im Boden gespeichert bleiben können.
Neben der Kälte ist die ungewöhnliche Saisonalität ein auffälliges Merkmal polarer Lebensräume – Tag und Nacht wechseln hier nicht alle zwölf Stunden, sondern schwanken das gesamte Jahr zwischen Mitternachtssonne und Polarnacht. Das beeinflusst massiv die örtliche Primärproduktion, die auf Sonnenlicht angewiesen ist. Im Sommer sprießen winzige Algen im Meerwasser, und auch das Leben an Land blüht auf. Im Winter kommt die Primärproduktion weitgehend zum Erliegen. Inwieweit der dadurch stark schwankende Eintrag an organischem Material die Bakterien im Meeresboden beeinflusst, ist kaum erforscht. Um diese Wissenslücke zu verkleinern, hat ein Team von Forschenden des Max-Planck-Instituts für Marine Mikrobiologie in Bremen zu verschiedenen Jahreszeiten Forschungsreisen zur Inselgruppe Svalbard unternommen und die Bakteriengemeinschaft im dortigen Meeresboden untersucht.
Die Enzyme verändern sich mehr als die Bakterien
Überraschenderweise verhält sich die Bakteriengemeinschaft im Meeresboden anders, als es die Umweltbedingungen erwarten ließen. „Obwohl der Input an organischem Material und deren Umsatzraten im Laufe des Jahres sehr stark schwanken, verändert sich die Zusammensetzung der Bakteriengemeinschaft auf den ersten Blick kaum“, berichtet Studienleiterin Katrin Knittel. Bakterien im Meeresboden verhalten sich damit ganz anders als die im Wasser, wo viele von ihnen eine ausgeprägte Saisonalität zeigen. „Benthische Bakteriengemeinschaften – also jene im Meeresboden – sind sehr komplex“, fügt Knittel hinzu. „Das macht sie so stabil und robust, und für uns sehr schwer, Schwankungen zu erforschen.“
Um dieses unerwartete Verhalten besser zu verstehen, untersuchten Knittel und ihr Team vom Bremer Max-Planck-Institut nun die sogenannte funktionale Vielfalt der Bakterien. Wie sehr verändert sich zwischen Mitternachtssonne und Polarnacht, was die Bakterien auf dem Meeresboden tun? Dazu schauten sie sich an, welche Gene die Bakterien zum Abbau von Algenzuckern besitzen und inwieweit sie diese nutzen. „Während die Zusammensetzung der Bakteriengemeinschaft sich zwischen den Jahreszeiten kaum unterscheidet, stellten wir fest, dass sich die Genexpression kohlenhydratabbauender Enzyme zwischen Winter und Frühling verändert“, erklärt Erstautor Sebastian Miksch, der im Rahmen seiner Doktorarbeit in dem Projekt forschte. Im Winter überwiegen Enzyme, die α-Glucane (z. B. Glykogen) abbauen. Die α-Glucane sind intrazelluläre Speicherstoffe von heterotrophen Bakterien, Tieren und Pilzen. Es gibt sie auch im restlichen Jahr, sie sind dann aber weniger wichtig.
Im Frühjahr hingegen findet man mehr Enzyme, die β-Glucane, wie den Algenbestandteil Laminarin, abbauen. Dann sind sogar so viele β-Glucane vorhanden, dass vermutlich ein Teil davon als Reserve für später im Jahr zur Seite gelegt wird. „Die Enzyme spiegeln wider, welche Algenbestandteile – dabei vor allem Algenzucker – den Bakterien in den verschiedenen Jahreszeiten zur Verfügung stehen“, erläutert Knittel. „Es ist nicht so anders, als wenn man bei uns auf den Markt geht: Während zur sonnigen Jahreszeit viel verschiedenes frisches Obst und Gemüse verfügbar ist, bleiben im Laufe des Winters irgendwann nur die eingelagerten Kartoffeln übrig.“
Die Bakterien im Meeresboden können also frisches Material nutzen, das insbesondere im Frühjahr und Sommer aus der Wassersäule herabsinkt, beispielsweise das bereits erwähnte Laminarin. Sie können aber ebenso jenes Material verzehren, das im Meeresboden bereits vorhanden ist oder dort produziert wird. Dazu gehören echte Leckereien wie Mucin, aber auch zähe Brocken wie Chitin. Daran knabbern die Bakterien das ganze Jahr über. Besonders wichtig ist diese Nahrungsquelle im Winter, wenn andere Einträge fehlen. Die langfristige Verfügbarkeit dieser Substanzen im Meeresboden stabilisiert insgesamt die dortige Bakteriengemeinschaft. „Diese Ergebnisse spielen sich auf sehr kleinen Maßstäben ab, aber sie sind in einem großen Kontext wichtig: Wenn die Bakterien die Algenzucker konsumieren, setzen sie Kohlendioxid frei. Und Kohlendioxid ist ein sehr wichtiges Treibhausgas“, fügt Knittel hinzu. So können die winzigen Meeresbewohner Einfluss auf globale Prozesse nehmen.
Klein, leicht, praktisch
Insgesamt ist die Bakteriengemeinschaft im arktischen Meeresboden im Wandel der Jahreszeiten also erstaunlich gleichförmig. Trotz der starken Saisonalität ist sie in beiden Jahreszeiten anwesend und aktiv. Doch nicht nur die innere Dynamik machte es den Forschenden um Knittel schwer, die Bakterien in Spitzbergens Meeresboden zu untersuchen. Auch methodisch ist das nicht einfach. „Es ist sehr schwer, ungestörte Proben des Meeresbodens und des zwischen den Sandkörnern enthaltenen Porenwassers zu bekommen“, erklärt die Doktorandin Chyrene Moncada, die ebenfalls in dem Projekt arbeitet. „Deswegen haben wir ein eigenes Gerät entwickelt: den Ellrott-Greifer“.
Diese Probennahmegerät, benannt nach seinem Entwickler und Mitautor Andreas Ellrott, erlaubt es, Bodenproben aus sandigen Sedimenten zu nehmen, ohne diese dabei durcheinanderzubringen. Außerdem ist der Greifer so klein und leicht, dass er auch auf kleinen Forschungsschiffen perfekt einsetzbar ist. „Andreas ist ein brillanter Ingenieur und hat den Greifer von Grund auf neu entwickelt und gebaut und viele Bestandteile selbst im 3D-Drucker hergestellt“, so Moncada. „Bis heute haben wir schon über 100 Sedimentproben aus dem Wattenmeer und den Fjorden von Svalbard mit dem Ellrott-Greifer gesammelt – und wir planen noch viele weitere Probennahmen!“