Alte Blaumeisen-Männchen machen jungen Konkurrenz
In Abwesenheit älterer Männchen haben junge Blaumeisenmännchen höheren Paarungserfolg mit zusätzlichen Weibchen
In vielen Nestern von Blaumeisen stammen einige Nachkommen von einem Männchen, das nicht der soziale Partner des Weibchens ist. Ältere Blaumeisenmännchen sind dabei deutlich erfolgreicher darin, Nachwuchs in fremden Nestern zu zeugen als junge. Forschende des Max-Planck-Instituts für biologische Intelligenz haben nun gezeigt, dass junge Männchen genauso erfolgreich sein können wie ältere – aber nur, wenn Letztere nicht anwesend sind. Die jungen Männchen zeugen also wegen der Konkurrenz mit den Älteren weniger Nachkommen in fremden Nestern, nicht aufgrund mangelnder Erfahrung oder Attraktivität.
Die meisten Singvögel sind monogam: Sie haben einen einzigen sozialen Partner, mit dem sie eine Paarbindung aufbauen und gemeinsam eine Brut großziehen. Allerdings können sich sowohl Männchen als auch Weibchen mit Individuen außerhalb dieser Bindung fortpflanzen. Daher kommt es immer wieder vor, dass nicht alle Jungen in einem Nest ausschließlich von dem Männchen gezeugt werden, das die Jungen aufzieht. Interessanterweise ist der Erfolg von Männchen bei der Zeugung solch „außerpaarlicher“ Nachkommen abhängig von ihrem Alter. In vielen Arten haben junge Männchen viel seltener außerpaarlichen Nachwuchs als ältere Männchen. Der Grund für diesen Altersunterschied war bisher unbekannt.
Eine mögliche Erklärung ist, dass Männchen in ihrem ersten Brutjahr die nötige Entwicklung, Erfahrung oder Attraktivität fehlt, um „außerpaarliche“ Kopulationen zu erreichen. In diesem Fall wäre der geringe Erfolg der jungen Männchen ein grundsätzliches Symptom ihrer Jugend und unabhängig von der Anwesenheit älterer Männchen. Alternativ könnten ältere Männchen aufgrund ihrer Erfahrung und körperlichen Überlegenheit besser darin sein, Paarungsgelegenheiten mit zusätzlichen Weibchen zu finden oder um diese zu kämpfen. Oder Weibchen bevorzugen ältere Männchen bei außerpaarlichen Kopulationen, wenn diese verfügbar sind. Der Erfolg junger Männchen würde durch die Anwesenheit der älteren schlichtweg unterdrückt. In diesem Fall würde man erwarten, dass der außerpaarliche Erfolg von jungen Männchen steigt, sobald die Konkurrenz durch ältere Männchen wegfällt.
Populationsexperiment im Wald
Um festzustellen, welche dieser beiden Möglichkeiten zutrifft, haben Forschende des Max-Planck-Instituts für biologische Intelligenz ein groß angelegtes Feldexperiment in einer Blaumeisenpopulation bei Landsberg am Lech in Süddeutschland durchgeführt. Die Blaumeisen in diesem Waldstück wurden fünfzehn Jahre lang von der Abteilung Ornithologie unter der Leitung von Bart Kempenaers untersucht. Danach, vor Beginn der sechzehnten Brutsaison, siedelten die Forschenden fast alle Blaumeisenmännchen um, die älter als ein Jahr alt waren. Sie brachten diese Vögel an einen anderen geeigneten Brutplatz in mehr als 30 Kilometer Entfernung. Danach waren fast alle Männchen der Brutpopulation junge einjährige Männchen.
Die Forschernden stellten fest, dass 33 Prozent dieser jungen Männchen im Versuchsjahr außerpaarliche Nachkommen zeugten. Dies ist ein signifikanter Anstieg: In den vorangegangenen Jahren, als ältere Männchen anwesend waren, hatten im Mittel lediglich 13 Prozent der einjährigen Männchen außerpaarliche Nachkommen. Die Gesamtzahl der Brutpaare und die Häufigkeit außerpaarlicher Vaterschaften war hingegen vergleichbar zu den vorangegangenen Jahren. Insgesamt war der außerpaarliche Bruterfolg der einjährigen Männchen im Versuchsjahr ähnlich hoch wie der von älteren Männchen in den Jahren zuvor. "Unsere Studie zeigt, dass einjährige Männchen prinzipiell alle Voraussetzungen erfüllen, um als außerpaarliche Partner in Frage zu kommen. Sie sind erfolgreich, sobald sie nicht in Konkurrenz mit älteren Männchen stehen", sagt Bart Kempenaers. „Das soziale Umfeld ist also relevanter als die individuelle Entwicklung oder erworbene Kompetenz."
Die Studie legt nahe, dass der Altersunterschied beim außerpaarlichen Fortpflanzungserfolg, der bei vielen Vogelarten beobachtet wird, ein soziales Phänomen sein könnte: Ein Resultat der Konkurrenz um Paarungsmöglichkeiten zwischen älteren und jüngeren Männchen. „Fortpflanzung mit zusätzlichen Partnern findet meist in der unmittelbaren Nachbarschaft statt", sagt Emmi Schlicht, Erstautorin der Studie. „Das war auch im Versuchsjahr der Fall. Wir waren überrascht, dass diese räumlichen Effekte trotz der völlig veränderten Altersstruktur derart stabil und wichtig blieben." Möglicherweise spielt die vertraute Nachbarschaft bei der Wahl eines außerpaarlichen Partners eine größere Rolle als das Alter.