Musik-Pioniere haben die Nase vorn
First-Mover-Vorteil als ein Schlüssel zum Erfolg in der Musikindustrie
Forschende haben eine umfassende Studie über die Rolle des First-Mover-Vorteils in der Musik durchgeführt, die die für die Geschäftswelt bereits erwiesene Bedeutung dieses Konzepts widerspiegelt. Die Daten von fast einer Million Titeln aus 110 Musikgenres stützen die Annahme, dass Künstlerinnen, Künstler und Bands, die den Grundstein für neue Genres legen, eine größere Popularität erreichen als spätere Genrevertreterinnen und -vertreter. Die Studie liefert wertvolle Erkenntnisse darüber, wie Erfolg im Kulturbetrieb kultiviert wird, und zeigt, dass der First-Mover-Vorteil ein für die Evolution von Kunst und Kultur bisher übersehener Schlüsselfaktor sein könnte.
Warum sind manche Kunstwerke und Kunstschaffende erfolgreich und andere nicht? Die Beatles zum Beispiel sind Teil des "Kanons" der westlichen Musik geworden, während viele ihrer Weggefährten, die sehr ähnliche Musik machten - und oft sehr ähnliche Namen hatten, wie die Tyrtles, die Monkees oder die Byrds - als weniger ikonisch gelten. Fragen wie diese, welche Mechanismen in Kunst und Kultur zum Erfolg führen, sind Teil der aufstrebenden datenbasierten Kulturwissenschaften.
In einer neuen Studie hat ein Forschungsteam am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, am Max-Planck-Instituts für Geoanthropologie in Jena, der Stony Brook University in New York und der PSL University in Paris das Thema aus einem neuen Blickwinkel betrachtet. Die Forscher testeten die Hypothese, welche Rolle der First-Mover-Vorteil in der Musik spielt. In der Wirtschaft genießen Unternehmen, die frühzeitig in neue Marktnischen vordringen, verschiedene Vorteile: Man denke nur an Apple, das als erstes Unternehmen in die damals aufkommende Nische des Smartphone-Marktes eindrang. Gibt es einen solchen Vorteil auch für Vorreiter in der Kunstbranche?
Datensatz von fast einer Million Titeln
„In unserer Studie haben wir untersucht, ob frühe Vertreter neuer Musikgenres tendenziell erfolgreicher sind“, sagt Erstautor Oleg Sobchuk, Postdoc am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie. „Um das herauszufinden, haben wir einen riesigen Datensatz von fast einer Million Musiktiteln mit ihren Genre-Bezeichnungen und Popularitätsmetriken von zwei Online-Diensten ausgewertet: Spotify und Every Noise at Once. Insgesamt handelt es sich um 110 Musikgenres – bekannte und weniger bekannte – aus aller Welt: Beispiele sind Gengetone, eine Form von Hip-Hop aus Kenia, oder Gqom, neue elektronische Tanzmusik aus Südafrika, aber auch weltweit bekannte Genres wie Emo-Rap“.
Die Autoren fanden überzeugende Belege für den First-Mover-Vorteil. Innovative Bands sowie Künstlerinnen und Künstler, die am Ausgangspunkt eines Genres stehen, sind durchweg populärer als spätere Vertreterinnen und Vertreter desselben Genres. Gleichzeitig zeigen Genres, die in der Vergangenheit unterdrückt wurden, wie Grime – eine Form von Hip-Hop aus Großbritannien, die von der Londoner Polizei aktiv unterdrückt wurde - keinen First-Mover-Vorteil.
Erfolg ist nicht nur Glückssache
Doch was ist das Geheimnis des Erfolgs in Kunst und Kultur und welche Mechanismen liegen diesem Erfolg zugrunde? Eine Erklärung ist, dass Erfolg Glückssache ist und durch Effekte wie den “rich-gets-richer”-Effekt noch verstärkt wird. Eine andere Erklärung ist, dass der Erfolg auf die Qualität des Kunstwerks zurückzuführen ist. In diesem Fall wäre er nicht zufällig, sondern vorhersehbar und verdient. Der Konsens ist, dass die Wahrheit irgendwo dazwischen liegt: Sowohl Glück als auch Qualität tragen zum Erfolg in Kunst und Kultur bei.
Darüber hinaus sind aber noch weitere Mechanismen am Werk. "Unsere Studie liefert nun umfangreiche Belege aus der digitalen Welt für einen ganz anderen Mechanismus, der bisher von der kulturellen Evolutionsforschung übersehen wurde: den Vorteil, als Erster ein Genre zu etablieren", sagt Sobchuk. "Damit ebnet unsere Studie den Weg dafür, den First-Mover-Vorteil in einem noch viel breiteren Spektrum kultureller Phänomene zu untersuchen - wie bei Filmen, Gemälden oder literarischer Fiktion".