Forschungsbericht 2023 - Max-Planck-Institut für Sicherheit und Privatsphäre

Überwachung der Einhaltung der nuklearen Abrüstung 

Autoren
 Tobisch, Johannes
Abteilungen

Max Planck Institute for Security and Privacy, Bochum

Zusammenfassung
Die Vereinten Nationen bestätigen die Existenz von etwa 13.400 Atomwaffen. Um sicherzustellen, dass diese Waffen nicht missbräuchlich eingesetzt werden, ist eine kontinuierliche Überwachung erforderlich. Aktuelle Überwachungsmethoden wie Videoüberwachung und physische Inspektionen erfüllen jedoch nicht die Sicherheits- und Geheimhaltungsanforderungen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Sicherheit und Privatsphäre haben in Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen der Princeton University, der Harvard University, der PHYSEC GmbH, der Ruhr-Universität Bochum, der Technischen Universität Berlin und der University of Connecticut eine zuverlässige Methode zur Fernüberwachung von Nuklearstandorten entwickelt.

In einem Szenario, in dem Land A über einen Vorrat an Atomwaffen verfügt und Land B sicherstellen möchte, dass die Sprengköpfe ihren Lagerstandort nicht verlassen, um sie für den Einsatz vorzubereiten, ist eine kontinuierliche Überwachung erforderlich. Der Einsatz klassischer Videoüberwachung ist nicht optimal, da sich der Videofeed leicht durch vorab aufgezeichnete Videoschleifen  ersetzen lässt. Alternativ stellen regelmäßige Inspektionen ein Sicherheitsrisiko dar, beispielsweise das Sammeln von als geheim eingestuften Informationen durch Dritte. Idealerweise sollte die Inspektion solcher Orte aus der Ferne und zuverlässig erfolgen. Die Autoren der in der Fachzeitschrift „Nature Communications“ veröffentlichten Studie stellen eine neuartige Methode zur Ferninspektion „von Gegnern kontrollierter Umgebungen“ wie Lagerstätten für Atomwaffen vor. Das Prinzip ist ganz einfach: Der Weg einer Radiowelle wird durch jedes Objekt modifiziert, auf das sie trifft. Man kann die Umgebung untersuchen, indem man das Muster analysiert, das durch die von den Gegenständen im Raum reflektierten Radiowellen entsteht und als einzigartiger Fingerabdruck fungiert. Selbst kleinste Veränderungen in der Anordnung dieser Elemente lassen sich durch einen einfachen Vergleich der zunächst erfassten Fingerabdrücke mit jenen, die später abgefragt werden, feststellen.

Überprüfung des Zustands der Gegenstände im Bunker

Der Prozess beginnt mit einem Besuch vor Ort, um die Ausrüstung zu installieren und die erforderlichen Daten zu sammeln. Eine im Raum installierte Antenne sendet Funksignale aus. Die Gegenstände im Raum lenken diese Signale ab und erzeugen ein einzigartiges Ausbreitungsmuster, das wie ein Fingerabdruck funktioniert. Wichtig dabei ist, dass die „optische“ Messung einer Videokamera nicht einfach durch den elektromagnetischen Fingerabdruck ersetzt wird: Im Raum sind auch Spiegel installiert, die sich mechanisch rotieren lassen. Durch die Veränderung der Position jedes einzelnen Spiegels können zahlreiche Fingerabdrücke des Raumes erfasst werden. Um das Muster der Radiowellen zu aufzuzeichnen, ist eine zweite Antenne erforderlich. Wenn ein Gegenstand aus dem Raum entfernt oder verschoben wurde, unterscheidet sich das von der Empfangsantenne erkannte Ausbreitungsmuster der Funkwellen vom erwarteten Fingerabdruck. Durch den Vergleich der empfangenen Eingaben mit dem zunächst erfassten Fingerabdruck kann der Prüfer oder die Prüferin zuverlässig beurteilen, ob sich die Raumaufteilung verändert hat oder nicht.

Während der Installation vor Ort sammelt der Inspektor oder die Inspektorin eine ausreichend große Anzahl von Fingerabdrücken (sogenannte „Responses“), indem er oder sie die Positionen der Spiegel zufällig ändert (sogenannte „Challenges“). Der Prüfer oder die Prüferin verwendet diese Challenge-Response-Paare dann, um die Anordnung der Gegenstände im Raum aus der Ferne zu überprüfen. Wenn ein Prüfer oder eine Prüferin eine Anfrage an den Nuklearstandort sendet, hat der oder die Antwortende nur eine begrenzte Zeit, um die Antwort zurückzusenden. Die von der Antenne aufgezeichnete Antwort wird dann mit dem vor Ort erfassten Funkfingerabdruck verglichen. Wenn diese Fingerabdrücke nicht übereinstimmen, kann der Prüfer oder die Prüferin daraus genau schließen, dass die Gegenstände bewegt wurden.

Zuverlässigkeitstests

Das System haben Forschende in einer Modellumgebung an der Ruhr-Universität Bochum getestet. Dazu haben sie zwei bewegliche Fässer in einen Container gestellt, der mit dem Funküberwachungssystem ausgestattet war. Zunächst überprüften die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, ob die Bewegung der Spiegel immer zu einem eindeutigen Funkfingerabdruck führt. Sie konnten experimentell verifizieren, dass die Empfindlichkeit des Systems sehr hoch ist: Die Forschenden waren in der Lage, Verschiebungen von nur 7,5 Millimeter zu unterscheiden und den Prüfer oder die Prüferin so auf eine mögliche Entfernung des Fasses aufmerksam zu machen.

Um die Zuverlässigkeit des Systems zu überprüfen, trainierten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mehrere Algorithmen für maschinelles Lernen mit einer großen Menge an Challenge-Response-Datenpaaren. Anschließend überwachten sie die Reaktionen dieser Algorithmen auf neue Challenges. Selbst die erfolgreichsten Algorithmen für maschinelles Lernen, die mit über einer Million Challenge-Response-Paaren trainiert wurden, waren nicht in der Lage, die Reaktionen auf neue Challenges korrekt vorherzusagen, es sei denn, die Anzahl der verwendeten Spiegel betrug weniger als 16. Wenn die Anzahl der installierten Spiegel im Raum groß genug ist, ist das resultierende System daher nahezu undurchdringlich für Angriffe.

Dieses System bietet mehrere Vorteile:

 (1) Es ist nur ein anfänglicher Besuch vor Ort erforderlich, um die Spiegel zu installieren und die Fingerabdrücke des Raums für verschiedene Spiegelkonfigurationen aufzuzeichnen.

(2) Die Überwachung kann aus der Ferne erfolgen.

(3) Die Anzahl der Tests kann vervielfacht werden durch Einstreuen der Challenge-Response-Paare mit Fake-Challenges (von denen die antwortende Seite nichts weiß).

(4) Durch die Erhöhung der Anzahl der Spiegel erhöht sich die Anzahl der verfügbaren Challenges exponentiell.

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