Weniger Depressionen in Mehr-Generationen-Familien

Menschen mit weniger Verwandten leiden häufiger unter körperlichen und seelischen Problemen.

Unser Wohlbefinden hängt stark von den Familienkonstellationen ab, in denen wir leben, insbesondere von unserer Position im Generationengefüge. Studien belegen, dass familiäre Beziehungen eine Schlüsselrolle für Gesundheit und Wohlbefinden im gesamten Lebensverlauf spielen, insbesondere im Alter. Die neue Studie von Bettina Hünteler und Karsten Hank zeigt, dass diese Effekte komplex sind und dass mehrere Rollenübergänge innerhalb eines Familiensystems entscheidend sind.

Dass familiäre Beziehungen für das Wohlbefinden und die Gesundheit von Menschen bedeutsam sind, ist kein Novum. Bekannt ist, dass Gesundheit und Wohlbefinden gerade im höheren Alter nicht nur von den aktuellen familiären Beziehungen beeinflusst werden, sondern auch von den familiären Bindungen in früheren Phasen des Lebens. Auch dass familiäre Übergänge, insbesondere Geburten und Todesfälle innerhalb von Familien, eng mit dem Wohlbefinden verbunden sind, ist belegt. Allerdings haben sich Studien in der Vergangenheit meist darauf konzentriert zu untersuchen, wie sich einzelne Rollenwechsel in der Familie auf Gesundheit und Wohlbefinden auswirken, etwa der Verlust eines Elternteils oder der Eintritt in die Elternschaft oder Großelternschaft. Dass die meisten Menschen mehrere solcher Übergänge erleben, etwa den Verlust der Eltern, die Geburt von Kindern oder sogar Enkeln, wird dabei nicht berücksichtigt. Auch dass jeder dieser Übergänge innerhalb eines Familiensystems stattfindet, in dem ein Mensch gleichzeitig nicht nur eine, sondern mehrere Rollen haben kann, wird nicht ausreichend gewürdigt.

Dem setzt Bettina Hünteler vom Max-Planck-Institut für demografische Forschung mit ihrem Kollegen Karsten Hank von der Universität Köln eine neue Studie entgegen. In dieser Studie nutzt Hünteler eine neue Konzeption zur Einordnung von Menschen innerhalb ihrer intergenerationalen Familienstruktur, die sie selber entwickelt hat, die sogenannten „Generationenpositionenverläufe“. Diese Verläufe spiegeln auch das „Verwandtschaftsreservoir“ bestehend aus Eltern, Kindern und Enkelkindern wider, welches Personen als Unterstützungsquelle in Zeiten von Krisen nutzen können. Einige Menschen erleben einen Verlauf, bei dem sich ihre Generationenposition kaum verändert: Sie verlieren lediglich ihre Rolle als Kind, nämlich dann, wenn die Eltern sterben. Sie selbst werden aber nie Eltern oder Großeltern. Andere Menschen hingegen erklimmen die „Generationsleiter“ mit großer Geschwindigkeit – vom Kind werden sie zu Eltern und dann zu Großeltern – und behalten dabei mehrere Rollen gleichzeitig, am häufigsten zwei zur selben Zeit. Bei manchen findet eine Verschiebung der Rolle, zum Beispiel wenn die Eltern sterben oder Enkelkinder hinzukommen, früh im Leben statt, bei anderen spät.

Sechs Arten von Familienverläufe

Auf Basis der repräsentativen Umfragedaten identifizierten die Forschenden sechs Cluster, die typische solcher Familienverläufe widerspiegeln: Es gibt die Kinderlosen, die sich in zwei Gruppen unterteilen, nämlich in diejenigen, die ihre Eltern zu einem frühen Zeitpunkt im Leben verloren haben, und diejenigen, die ihre Eltern später im Leben verlieren. Die meisten Menschen allerdings bekommen Kinder und steigen dadurch auf der „Generationsleiter“ auf, wenn sie Eltern werden. Hier gibt es diejenigen, die lange in einem Zwei-Generationen-Gefüge leben, also deren Eltern relativ früh nach Geburt eigener Kinder und vor Geburt eigener Enkelkinder sterben. Das Drei-Generationen-Gefüge ist eines, in dem die Menschen ihre Eltern zu einem Zeitpunkt verlieren, zu dem sie selbst in die Großelternschaft eintreten. Diese Gruppe unterteilt sich in diejenigen, bei denen dieser Übergang früh im Leben passiert, und diejenigen, bei denen er spät passiert. Im Vier-Generationen-Gefüge treten die Übergänge in einer ähnlichen Reihenfolge auf, die betrachtete Person tritt aber in die Rolle der Großeltern ein, bevor ihre eigenen Eltern sterben, sodass sie eine Zeit lang die familiäre Rolle des Kindes, des Elternteils und des Großelternteils gleichzeitig einnimmt.

Für ihre Untersuchung nutzten Hünteler und Hank Daten des Deutschen Alterssurveys, einer bundesweit repräsentativen Quer- und Längsschnittbefragung von Personen im Alter von 40 bis 85 Jahren, die umfassende Informationen zu verschiedenen Dimensionen des Wohlbefindens sowie demografische Daten zu den Eltern, Kindern und ab 2008 Enkelkindern der Befragten liefert. Die Forschenden konnten so vier unterschiedliche physische und psychologische Aspekte von Gesundheit und Wohlbefinden untersuchen, nämlich Lebenszufriedenheit, Depressionen, körperliche Einschränkungen und Gesundheitsprobleme.

Korrelationen zwischen Familiengefüge und Gesundheit

Insgesamt zeigte die Analyse ein komplexes Zusammenspiel zwischen den erlebten Rollen innerhalb der Familie (zum Beispiel „Großeltern sein“), dem Zeitpunkt der Rollenübergänge (zum Beispiel „Großeltern werden“), der Zahl gleichzeitiger Rollen (zum Beispiel „Eltern und Großeltern sein“) und dem Zusammenhang mit Gesundheit und Wohlbefinden. Hünteler und Hank fanden heraus, dass es einige Korrelationen zwischen den Familiengefügen und Gesundheit und Wohlbefinden gibt. Aus diesen Korrelationen könne man zwar nicht einfach kausale Zusammenhänge ablesen, sie gäben aber zumindest Hinweise auf mögliche Abhängigkeiten, so Hünteler und Hank. Sie stellten zum Beispiel fest, dass bei Menschen mit einen kleinen „Verwandtschaftsreservoir“ die Wahrscheinlichkeit, unter körperlichen Einschränkungen und Gesundheitsproblemen zu leiden, überdurchschnittlich hoch ist. Im Gegensatz dazu leiden Menschen in einem Familiengefüge mit drei Generationen seltener an Depressionen und körperlichen Einschränkungen.

Gleichzeitig scheint auch der Zeitpunkt der Rollenübergänge zwischen den Generationen in der Familie relevant zu sein: So ist es beispielsweise um die Gesundheit der Kinderlosen, die früh im Leben ein Elternteil verlieren, schlechter bestellt als um die Gesundheit der Kinderlosen, deren Eltern erst später sterben. Dieser Befund decke sich mit den Ergebnissen anderer Studien, die gezeigt haben, dass negative Lebensereignisse wie der Tod eines Elternteils sich dann besonders negativ auf das Wohlbefinden auswirken, wenn sie deutlich früher als erwartbar eintreten, so Hünteler und Hank. Die Ergebnisse zeigen, dass neben der Ausgestaltung von Familienbeziehungen, zum Beispiel der Kontakthäufigkeit, auch die Position im Generationengefüge entscheidend für das langfristige Wohlbefinden von Menschen sein kann.

Weitere interessante Beiträge

Zur Redakteursansicht