Winde, die Sterne und Planeten wachsen lassen

Daten des James-Webb-Weltraumteleskops enthüllen die verschachtelte Struktur von Winden in protoplanetaren Scheiben, die dafür sorgen, dass Gas und Staub zum Stern hin strömen

Junge Sterne sammeln um sich herum einen Strudel aus Gas und Staub, aus dem sich Planetensysteme wie unser Sonnensystem bilden. Diese Gas- und Staubscheiben sind sehr dynamisch und erzeugen auch Winde, die senkrecht zur Scheibe ins All wehen. Astronominnen und Astronomen haben solche Gasströme mit Beobachtungen des Weltraumteleskops James Webb im Detail untersucht. Eine verschachtelte Unterstruktur dieser Ströme ermöglicht es den jungen Sternen im Zentrum sogar zu wachsen. Dieser Mechanismus war bisher nur theoretisch bekannt.

Jede Sekunde werden im sichtbaren Universum mehr als 3.000 Sterne geboren. Viele sind von protoplanetaren Scheiben umgeben, das sind Wirbel aus heißem Gas und Staub, die das Wachstum des Zentralsterns fördern und die Bausteine für neue Planeten liefern. Die genauen Prozesse, die Sterne und Planetensysteme entstehen lassen, sind jedoch noch immer kaum verstanden.

JWST nimmt Scheibenwinde unter die Lupe

Ein Team von Astronominnen und Astronomen unter der Leitung von Forschern der University of Arizona, unterstützt von Forschenden des Max-Planck-Instituts für Astronomie in Heidelberg, nutzte das James Webb Weltraumteleskop, um einige der detailliertesten Einblicke in die Kräfte zu erhalten, die protoplanetare Scheiben formen. Die Beobachtungen geben Aufschluss darüber, wie unser Sonnensystem vor 4,6 Milliarden Jahren ausgesehen haben könnte.

Insbesondere beobachtete das Team sogenannte Scheibenwinde in noch nie dagewesenem Detailreichtum. Diese Winde sind Gasströme, die von der planetenbildenden Scheibe aus mit dutzenden Kilometern pro Sekunde in den Weltraum entweichen. Laut der Hauptautorin des Artikels, Ilaria Pascucci, Wissenschaftlerin am Lunar and Planetary Laboratory der University of Arizona, sind diese Winde essenziell, damit der Stern Materie aus seiner Umgebung in sich aufnehmen kann. „Wie ein Stern Masse ansammelt, hat einen großen Einfluss darauf, wie sich die umgebende Scheibe im Laufe der Zeit entwickelt, einschließlich der Art und Weise, wie sich später Planeten bilden“, so Pascucci. „Die genauen Mechanismen, die dabei zum Tragen kommen, sind bislang nicht verstanden, aber wir vermuten, dass Winde, die von der Scheibe ausgehen, eine essenzielle Rolle spielen.“

Magnetisierte Scheibenwinde fördern das Wachstum von Sternen

Junge Sterne wachsen, indem Materie aus der Gas- und Staubscheibe auf sie strömt. Tatsächlich würde das Gas, das in der Scheibe um den Stern kreist, aber nicht ohne Weiteres nach Innen in Richtung des Sterns driften. Für unsere Planeten, die die Sonne umkreisen, gleicht die Fliehkraft in der Umlaufbahn die Anziehungskraft des Sterns aus. Bei einer Gasscheibe ist es aber nicht ganz so einfach, hier reibt etwa Gas aneinander, heizt es auf und sorgt dabei dafür, dass das Gas auf seiner Bahn Energie verliert. Teile, die hier gewissermaßen ausgebremst werden, beginnen zum Stern hin zu strömen. Dabei verliert das einfallende Gas auch an Drehimpuls, das ist das Produkt aus Masse, Bahngeschwindigkeit und Abstand zum Stern, und gibt diesen an äußere Teile der Scheibe ab. Denn innerhalb der ganzen Scheibe muss der Gesamtdrehimpuls erhalten bleiben. 

Dieser Mechanismus kann aber nicht alleine für den Einstrom an Materie verantwortlich sein. In den letzten Jahren haben einigten sich Astrophysikerinnen und -physiker darauf, dass magnetisch angetriebene Scheibenwinde eine wesentliche Rolle dabei spielen könnten, Gas und damit Drehimpuls von der Scheibenoberfläche wegzuleiten und somit dem in der Scheibe verbleibenden Gas zu ermöglichen, auf den Stern zuzutreiben. Die Grundannahme ist hier, dass sich im umherwirbelnden Gas auch Magnetfelder zu einer Spirale aufwickeln, die sich durch eine magnetische Sprungkraft ausdehnt und dabei Gas mitreißt. 

Dies könnte auch erklären, warum sich überhaupt flache Gas- und Staubscheiben ausbilden, wie sie um junge Sterne, aber auch um schwarze Löcher inmitten von Gasvorräten vermutet werden, nämlich wenn sich umherwirbelndes Material mit der Zeit zum Zentrum hin ausdehnt und dabei abflacht wie ein Teigkranz, der mit einem Nudelholz ausgerollt wird.

Wie man zwischen Windmechanismen unterscheidet

Es gibt neben dem magnetischen Antrieb aber auch andere Prozesse, die solche Winde antreiben. Für Tracy Beck vom Space Telescope Science Institute der Nasa ist es von entscheidender Bedeutung, zwischen den verschiedenen Phänomenen und Prozessen zu unterscheiden. Während auch das Magnetfeld des Sterns selbst Material vom inneren Rand der Scheibe nach außen drücken kann (ein sogenannter X-Wind), werden die äußeren Teile der Scheibe durch einfallendes Sternenlicht abgetragen, was zu sogenannten thermischen Winden führt. Letztere wehen mit viel geringeren Geschwindigkeiten. Die hohe Empfindlichkeit und Auflösung des James-Webb-Weltraumteleskops ist bestens geeignet, um zwischen magnetischen, thermischen und X-Winden zu unterscheiden.

Ein entscheidendes Merkmal, das die magnetisch angetriebenen von den X-Winden unterscheidet, ist nämlich, dass sie sich weiter außen befinden und sich über größere Regionen erstrecken, einschließlich der Zone mit den inneren Gesteinsplaneten unseres Sonnensystems – etwa zwischen Erde und Mars. Diese Winde finden sich auch weiter oberhalb der Scheibe als thermische Winde und reichen hundertmal weiter als der Abstand zwischen Erde und Sonne.

„Wir hatten bereits anhand interferometrischer Beobachtungen im Radiowellenlängenbereich Hinweise auf einen solchen Wind gefunden“, betont Dmitry Semenov vom Max-Planck-Institut für Astronomie. Sie konnten mit diesen Beobachtungen aber nicht die gesamte Struktur des Scheibenwinds untersuchen, geschweige denn detailliert abbilden. Insbesondere die verschachtelte Struktur der verschiedenen Windkomponenten, ein Kennzeichen dieser Scheibenwinde, war in den Daten nicht ersichtlich. Die neuen James-Webb-Beobachtungen haben diese Struktur aber zweifelsfrei aufgedeckt. Die beobachtete Morphologie entspricht den Erwartungen an einen magnetisch angetriebenen Scheibenwind. „Es sieht so aus, als hätten wir die ersten detaillierten Bilder solcher Winde, die uns helfen könnten, ein seit langem bestehendes Rätsel über die Entstehung von Sternen und Planetensystemen zu lösen“, sagt Pascucci. Für ihre Studie wählten die Forschenden vier protoplanetare Scheibensysteme aus, die von der Erde aus alle von der Seite betrachtet werden. Durch ihre Ausrichtung konnten Staub und Gas in der Scheibe als Blende fungieren und einen Teil des Lichts des hellen Zentralsterns abschwächen, das sonst die Winde überstrahlt hätte.

Verschachtelte Windstruktur

Die unterschiedlichen Wind-Sorten äußern sich vor allem dadurch, dass sie in unterschiedlichem Licht strahlen. Genauer, sind es unterschiedliche Atome und Moleküle, die im Wind dazu angeregt werden, Licht bei bestimmten Wellenlängen abzugeben. Diesen Effekt haben sich die Astronominnen und Astronomen zu Nutze gemacht und den NIRSpec-Spektrographen des James-Webb-Weltraumteleskops auf eben diese Wellenlängen eingestellt. Das Instrument lieferte daraufhin immerhin grob aufgelöste Bilder im Nahinfrarotlicht und zwar genau bei diesen Wellenlängen. Die Bilder sind aber gut genug, um die Trichterform des Windes zu erkennen. Die Beobachtungen offenbarten eine komplexe, dreidimensionale Struktur eines zentralen Winds, auch Jet genannt, der in einer kegelförmigen Hülle aus Winden eingebettet ist, die aus immer größeren Abständen in der Scheibe stammen, ähnlich einer Zwiebelschalenstruktur.

Als Nächstes möchte das Team um Pascucci diese Beobachtungen auf weitere protoplanetare Scheiben ausweiten, um besser zu verstehen, wie häufig die beobachteten Scheibenwindstrukturen im Universum vorkommen und wie sie sich entwickeln. „Wir glauben, dass sie weitverbreitet sein könnten, aber bei vier Objekten ist das schwer zu sagen“, erläutert Pascucci. Um allgemeingültigere Aussagen zu treffen und auch zu messen, ob und wie sich die Winde von Objekt zu Objekt verändern, werden sie weitere Objekte untersuchen.

BEU/MN/DS

Hintergrundinformationen

NIRSpec ist Teil des Beitrags der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) zur Webb-Mission, das von einem Konsortium europäischer Unternehmen unter der Leitung von Airbus Defence and Space (ADS) gebaut wurde. Das Goddard Space Flight Center der NASA stellte zwei Teilsysteme (Detektoren und Mikroblenden) zur Verfügung. Das MPIA war für die Beschaffung der elektrischen Komponenten der NIRSpec-Gitterräder verantwortlich.

Das James-Webb-Weltraumteleskop ist das weltweit führende Observatorium für Weltraumforschung. Es handelt sich um ein internationales Programm, das von der Nasa gemeinsam mit ihren Partnern Esa (Europäische Weltraumorganisation) und CSA (Kanadische Weltraumagentur) geleitet wird.

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