Vagabunden und Stubenhocker im Meeresboden
Forschende entdecken unterschiedliche ökologische Nischen für Bakterien im Sediment
Bakterien, die im Sand des Meeresbodens leben, haben sich ordentlich eingerichtet: Einige genießen das bunte Treiben im Porenwasser zwischen den Sandkörnern und sind darauf spezialisiert, das frische organische Material, das mit dem Meerwasser durch das Sediment gespült wird, zu nutzen. Die meisten Bakterien aber leben eher zurückgezogen. Sie haften fest an den Sandkörnern und ducken sich in Risse und Vertiefungen auf deren Oberfläche, auch wenn das mehr Konkurrenz um Ressourcen oder ein stetes Resteessen bedeuten kann. Eine Studie von Forschenden des Max-Planck-Instituts für marine Mikrobiologie beschreibt diese Nischentrennung in bakteriellen Gemeinschaften im Sediment und beleuchtet, was das ökologisch bedeutet.
Sandiger Meeresboden, sogenanntes permeables Sediment, bedeckt mindestens die Hälfte der Kontinentalränder und ist ein sehr effizienter ökologischer Filter: Meerwasser spült durch ihn hindurch und transportiert dabei Sauerstoff und allerlei Nährstoffe. Die Bakterien im Sediment nutzen diesen Eintrag. Vieles von dem, was mit dem Meerwasser in den Meeresboden gelangt, wird in andere Formen umgewandelt und teilweise für Jahrtausende vergraben. „Diese Filterfunktion macht sandige Sedimente zu einem hochinteressanten und wichtigen Forschungsthema“, sagt Chyrene Moncada vom Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie, Erstautorin der aktuellen Studie. „Wir wollten herausfinden, wie die bakterielle Gemeinschaft in diesen Sedimenten strukturiert ist.“
Dazu reisten die Bremer Forschenden auf die arktische Inselgruppe Spitzbergen und sammelten im dortigen Isfjorden sandige Sedimente mithilfe des eigens entwickelten Ellrott-Greifers. Dieser ermöglicht es, Proben aus sandigen Sedimenten zu nehmen, ohne diese dabei durcheinanderzubringen. Die Forschenden nutzten nur die sauerstoffreichen, obersten zwei Zentimeter des Sediments und trennten es in drei Teile: „Zuerst entnahmen wir das Porenwasser, dann schüttelten wir die lose anhaftenden Bakterien von den Körnern ab. Der Rest war unsere Fraktion mit festsitzenden Bakterien“, erklärt Moncada. „Mit einer Vielzahl von Methoden untersuchten wir dann die Zellzahlen, die Zusammensetzung der Gemeinschaft, die Stoffwechselmöglichkeiten und die Aktivitäten in diesen Gruppen.“
Reichhaltiges Treiben im Porenwasser
In ihrer Studie zeigen die Max-Planck-Forschenden die klare Struktur in der räumlichen Organisation von Bakteriengemeinschaften in Oberflächensedimenten. Abhängigkeit von ihrer Mikro-Umgebung dominieren unterschiedliche Taxa und Lebensweisen. Die einzelnen Bakteriengruppen haben dabei jeweils unterschiedliche Rollen und Beiträge zur Verarbeitung organischen Materials im Ökosystem.
„Die einzelnen Fraktionen unterschieden sich deutlich“, sagt Katrin Knittel, Projektleiterin am Max-Planck-Institut in Bremen und korrespondierende Autorin der Studie. Bakterien, die im Porenwasser lebten oder lose an den Körnern hafteten, waren meist auf das Vorhandensein von Sauerstoff angewiesen und darauf spezialisiert, frisches organisches Material zu nutzen. „Diese Bakterien sind es gewöhnt, stetig mit Sauerstoff und frischer Nahrung aus dem umgebenden Meerwasser versorgt zu werden“, so Knittel weiter. „Sie sind gut gerüstet, um das komplexe Material, das ihnen zugeführt wird, zu zerkleinern. Sie sind aktiv und wachsen schnell.“
Unterschiedliche Rollen im ökologischen Kontext
Die festsitzenden Bakterien haben andere Bedürfnisse. Die Forschenden vermuten, dass sich die Bakterien dieser Fraktion in Rissen und Spalten einnisten und sich in Mulden und Vertiefungen ducken. Dort sind sie vor der Strömung und reibenden Sandkörnern geschützt und auch schwer zu erreichen für Fressfeinde, die die Oberfläche der Sandkörner nach Nahrung absuchen. Dies könnte erklären, warum sie viel zahlreicher sind als ihre umherstreifenden Artgenossen: Fast 90 Prozent der Bakterien im untersuchten Sediment waren fest angeheftet. „Allerdings hat dieser sichere Lebensort seinen Preis“, erklärt Knittel. „Unsere Daten lassen vermuten, dass sich diese Bakterien mit den Essensresten der freilebenden und lose anhaftenden Bakterien begnügen müssen. Außerdem können in ihrem beengten Umfeld Sauerstoff und andere Ressourcen knapp werden, was ihr Wachstum und ihre Aktivität einschränken könnte.“
„Dies ist ein wirklich faszinierender Einblick in die inneren Abläufe dieses Ökosystems: Wir verstehen jetzt besser, wie Bakterien in Oberflächensedimenten zum Abbau und Recycling von organischem Material beitragen. Obwohl die Protagonisten so winzig sind, kann dies globale Auswirkungen haben, weil diese Sedimente weltweit so große Flächen bedecken. „Es beeinflusst letztlich, wieviel organisches Material vergraben wird und wieviel Kohlendioxid wieder in das darüberliegende Wasser und damit in die Atmosphäre abgegeben wird“, sagt Moncada.