Elektrische Aktivität im Rückenmark
Forschende messen von außen feinste Reaktionen im menschlichen Rückenmark
Forschende vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig haben eine neuartige, nicht-invasive Methode entwickelt, um die elektrische Aktivität im menschlichen Rückenmark mit hoher Präzision und Empfindlichkeit aufzuzeichnen. Auch die Reaktionen des Rückenmarks auf Schmerzreize können so genauer gemessen werden, was neue Wege für die Schmerzforschung und mögliche klinische Anwendungen eröffnen könnte.
„Zusammen mit der gleichzeitigen Aufzeichnung von Antworten aus peripheren Nerven, dem Hirnstamm und dem Kortex liefert unsere mehrkanalige Methode der Rückenmarkselektrophysiologie den fehlenden Baustein für eine umfassende Betrachtung der somatosensorischen Verarbeitung entlang des gesamten neuronalen Verarbeitungswegs“, erklärt die Erstautorin Birgit Nierula. „Neben den methodischen Fortschritten hat unsere Studie gezeigt, dass die Integration sensorischer Informationen nicht nur im Gehirn, sondern auch auf der Ebene des Rückenmarks stattfindet, was die lange Zeit vertretene Ansicht, das menschliche Rückenmark sei eine einfache Relaisstation, in Frage stellt.“
Bis zu 40 Elektroden wurden den Studienteilnehmenden auf den Rücken geklebt, womit die Forschenden sogar feinste Signale empfangen konnten, die mit herkömmlichen Methoden nicht messbar sind. Vadim Nikulin, der die Forschungsgruppe ‚Neuronale Interaktionen und Dynamiken‘ leitet und für die Entwicklung der neuen Methode federführend war, beschreibt den Hintergrund: „Beim Menschen hat sich die elektrophysiologische Forschung über das somatosensorische System aufgrund methodischer Einschränkungen hauptsächlich auf kortikale Strukturen konzentriert. Eine entscheidende Frage blieb jedoch bestehen: Spiegelt die komplexe räumlich-zeitliche Dynamik der kortikalen somatosensorischen Reaktionen tatsächlich subkortikale und rückenmarksnahe Prozesse wider? Mit unseren gegenwärtigen methodischen Fortschritten haben wir eine beispiellose Möglichkeit geschaffen, Antworten auf einen einzigen Reiz bereits auf der Ebene des Rückenmarks zu verfolgen. Dies ebnet den Weg für die Gewinnung kritischer Kontrollmaße, die genaue Aussagen über den Ursprung, die Modulation und die Interaktion somatosensorischer Antworten über verschiedene Hirnstrukturen hinweg ermöglichen."
Falk Eippert, zusammen mit Vadim Nikulin Letztautor der Studie und Leiter der Forschungsgruppe ‚Schmerzwahrnehmung‘ am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften, ergänzt: „Wir können damit im Millisekundenbereich sehen, wann ein Signal im Rückenmark ankommt. In Bezug auf die Erforschung von Schmerz und wie er entsteht, ist solch eine hochpräzise Methode äußerst hilfreich.“ Um das zu überprüfen, hat das Team bei den Studienteilnehmerinnen und -teilnehmern beispielsweise einen Hitzeschmerz durch einen Laserstrahl erzeugt und dann die Signale im Rückenmark gemessen. „Zukünftig könnte unsere Methode auch für klinische Forschung relevant werden, zum Beispiel bei der Entwicklung von Medikamenten im Kontext von chronischem Schmerz“, sagt Eippert.