Parateilchen: Eine neue Teilchenklasse
Bislang unterschied die Physik Teilchen zwischen Fermionen und Bosonen, jetzt gibt es Hinweise auf eine dritte Art
Unsere Welt scheint auf den ersten Blick enorm komplex zu sein. Doch laut den Gesetzen der Teilchenphysik ist sie streng geordnet. Demnach gibt es nur zwei Klassen von Teilchen, die Materieteilchen und die Kraftteilchen. Aus ersteren setzt sich die gesamte bekannte Materie im Weltall zusammen. Hierzu gehören insbesondere die Elektronen und die Quarks, aus denen die Protonen und Neutronen in den Atomkernen bestehen. Zu den Kraftteilchen wiederum zählen unter anderem die Lichtteilchen oder Photonen. Doch nun haben die zwei Physiker Zhiyuan Wang vom Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching und Kaden Hazzard von der Rice University in Houston herausgefunden, dass noch eine dritte Teilchenklasse existieren kann: die sogenannten Parateilchen.

Die beiden Teilchenklassen der Materie- und die Kraftteilchen unterscheiden sich auf einer fundamentalen theoretischen Ebene dadurch, dass sie einer gegensätzlichen Statistik gehorchen. „Die Materieteilchen werden auch Fermionen genannt, die Kraftteilchen hingegen Bosonen“, sagt Zhiyuan Wang. Bei Materieteilchen gilt, dass sich niemals zwei von ihnen im gleichen Zustand am selben Ort aufhalten können. Letztlich führt das zur Stabilität der Materie, sonst würde alles in sich zusammenfallen.
Bei den Kraftteilchen ist es genau umgekehrt: Sie können sich beliebig zusammenballen. So ist es etwa möglich, in starken Laserpulsen eine gigantische Zahl von Lichtteilchen zu konzentrieren. In den 1950er-Jahren kam nun die Idee auf, es könne auch sogenannte Parateilchen geben, die nochmals anderen statistischen Regeln gehorchen. „Doch nach einiger Zeit stellte sich heraus, dass die damals ersonnenen Parateilchen letztlich nichts weiter als eine versteckte Kombination von Fermionen und Bosonen waren“, erklärt Wang. Ihre physikalischen Eigenschaften unterschieden sich also letztlich nicht von den bereits bekannten Teilchenklassen.
Teilchen mit völlig neuen Eigenschaften
Doch mit ihrer neuen Theorie postulieren Wang und Hazzard nun eine Teilchenklasse, die ein ganz neues Verhalten zeigen soll. „Unsere Parateilchen beruhen auf einer ganz anderen mathematischen Struktur und haben deshalb fundamental andere Eigenschaften als Fermionen und Bosonen“, so Wang. Dabei haben die beiden Forscher zunächst keine neuartigen Materieteilchen wie etwa Elektronen im Blick, sondern eher sogenannte Quasiteilchen in Festkörpern.
Solche Quasiteilchen bilden sich beispielsweise, wenn sich je zwei Elektronen in einem Supraleiter zu einem Paar zusammenbinden. Es gibt viele Arten solcher Quasiteilchen, die insbesondere in der Festkörperphysik erforscht werden.
Materiezustände, die Parateilchen beinhalten, könnten sowohl in zweidimensionalen, atomar dünnen Schichtstrukturen als auch in Volumenmaterialien auftreten. Allerdings müssen die Theorien erst noch erarbeitet werden, in welchen Materialien Parateilchen konkret zu finden sein könnten.
„Parateilchen weisen exotische Eigenschaften auf, die bei gewöhnlichen Teilchen nicht auftreten“, erklärt Wang. Dank der mathematischen Werkzeuge, die er zusammen mit Hazzard entwickelt hat, lassen sich diese neuartigen Eigenschaften genau untersuchen. Man kann sich diese zusätzlichen Teilcheneigenschaften bildlich wie einen Pfeil vorstellen, der in unterschiedliche Richtungen zeigt, abhängig vom inneren Quantenzustand des Parateilchens.
Mögliche Anwendungen in der Quantenkommunikation

Dank der sogenannten Parastatistik, der diese Teilchen gehorchen, sind unterschiedliche Anwendungen denkbar. Wenn man zwei dieser Teilchen räumlich vertauscht, ändern sich ihre Eigenschaften gemeinsam – auch ohne dass sie dabei in direkten Kontakt treten. Damit ließe sich eine spezielle Form der Quantenkryptographie betreiben. Wang sagt: „Zwei Parteien mit Parateilchen könnten miteinander kommunizieren, einfach indem sie ihre Position tauschen, und ohne sich dabei zu begegnen oder Nachrichten auszutauschen.“ Dabei würden sie auch keine Spur hinterlassen, die eine dritte Partei ausspionieren könnte. Parateilchen könnten dank ihrer ganz besonderen Quanteneigenschaften auch für den Bau von Quantencomputern von Interesse sind.
Es wurde auch schon spekuliert, dass Parateilchen hinter der Dunklen Materie stecken könnten, die einen Großteil der Masse im Universum ausmacht. Bislang suchen Teilchenphysikerinnen und Astrophysiker verzweifelt nach irgendeinem Hinweis, woraus diese Dunkle Materie bestehen könnte. Vielleicht hat man an der völlig falschen Stelle gesucht, weil man die Parateilchen nicht auf dem Schirm hatte? „Wir hatten schon Anfragen von ein paar Forschern aus dem Bereich der Dunklen Materie, aber ich muss gestehen, dass ich mich selbst auf diesem Gebiet kaum auskenne“, sagt Wang. „Ich halte Annahmen in dieser Richtung noch für sehr gewagt, bevor wir nicht zumindest theoretisch zeigen können, dass auch elementare Parateilchen existieren können.“ Bislang hat die Theorie Parateilchen nur als Quasiteilchen formuliert.
Eine Zufallsentdeckung in der Mathematik
Die Entstehungsgeschichte der neuen Theorie ist selbst ein wenig exotisch und folgte keinem festen Plan. „Während der Covid-Pandemie im Jahr 2021 arbeitete ich gelangweilt zu Hause an einem sonderbaren mathematischen Problem, das auf den ersten Blick gar nichts mit Physik zu tun hatte“, erzählt der Forscher. „Dann fand ich eine ungewöhnliche Lösung für dieses Problem, und erst als ich diese physikalisch interpretierte, kam mir die Idee zu den Parateilchen.“ Es dauerte dann noch drei Jahre, um die Theorie zu komplettieren.
Man darf jedenfalls gespannt sein, ob und in welcher Form Parateilchen gefunden werden. Der Physik-Nobelpreis 2016 wurde für die Erforschung topologischer Eigenschaften in Festkörpern vergeben. Diese sind ebenfalls eng mit der Teilchenstatistik von Elektronen und Quasiteilchen verknüpft. Parateilchen könnten für eine spannende Erweiterung der Palette sorgen.
Dirk Eidemüller