Von Nachteulen und Frühen Vögeln

21. März 2025

Es gibt Menschen, die gelten als nachtaktiv. Andere müssen niesen, wenn sie die Sonne blendet. Manuel Spitschan und seine Mitarbeitenden untersuchen am Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen, wie das menschliche Auge Lichtreize verarbeitet und welche Rolle diese für die innere Uhr spielen, die auch in völliger Dunkelheit weiterzuticken scheint.

Auf den Punkt gebracht

  • Die innere Uhr steuert viele Prozesse im menschlichen Körper, darunter Wachheit und Müdigkeit. Sie arbeitet etwa im 24-Stunden-Rhythmus, unabhängig von äußeren Einflüssen wie häufigen Sonnenauf- und Untergängen, denen Astronautinnen und Astronauten ausgesetzt sind.
  • Taktgeber ist ein Nervenbündel im Gehirn, das die Ausschüttung des Schlafhormons Melatonin steuert. Dieser molekulare Prozess ist in den Zellen angelegt.
  • Äußere Lichtreize wie künstliches Bildschirmlicht können die innere Uhr in begrenztem Umfang beeinflussen. Denn spezielle Lichtrezeptoren in der Netzhaut sind mit dem Taktgeber im Gehirn verbunden.

Text: Nora Lessing

Das Geräusch des Handyweckers am Morgen, der Geruch nach frisch gemahlenem Kaffee, das Gefühl, wenn einem auf dem Weg zur Arbeit die ersten Sonnenstrahlen ins Gesicht scheinen. Der Alltag vieler Menschen ist von Routineabläufen und wiederkehrenden Sinneseindrücken bestimmt. Sie geben Orientierung, strukturieren unseren Tag, zeigen an, welche Handlung und welches Gefühl als Nächstes kommen werden. Licht spielt dabei eine entscheidende Rolle: Viele merken, dass sie im Winter schlechter in die Gänge kommen, spüren, wie sonnige Tage die Lebensgeister in ihnen wecken, nehmen wahr, dass am Abend zuerst die Konzentration und dann wir selbst sinken – nämlich ins Bett. Da liegt es nah anzunehmen, dass es allein die Sonne und unsere Routinen sind, die unserem Leben einen Takt geben. Zusätzlich jedoch tickt tief in unserem Inneren eine weitere Uhr. Und diese hat erheblichen Einfluss darauf, wie unser Alltag verläuft.

Insekten, deren Entwicklungsstadium von der Mondphase abhängt. Pflanzen, die in einem 24-Stunden-Rhythmus ihre Blattstellung ändern. Schimmelpilze, die selbst im Weltraum noch periodisch neue Sporen ausbilden, als wüssten sie auch jenseits der Erde ganz genau, wie spät es ist: Wie in einem streng durchkomponierten Orchesterstück folgen viele Abläufe in der Biologie hochspezifischen Rhythmen. Ein angeborener Taktgeber, die sogenannte innere Uhr, ist es, der hier wie ein Dirigent dafür sorgt, dass im Musikstück des Lebens alles nach (Zeit-)Plan läuft. Umwelteinflüsse wie das Licht kommen der inneren Uhr dabei zur Hilfe: Sie liefern Hinweise, ob das Tempo des Dirigats verlangsamt oder beschleunigt werden sollte. Um unablässig weiterzuticken, ist die innere Uhr jedoch nicht zwingend auf Co-Dirigenten angewiesen. Selbst im Weltall noch zwingt sie uns und anderen Lebensformen bestimmte Rhythmen auf – oder auch im Inneren eines Bunkers.

Dass nicht nur Tiere und Pflanzen, sondern auch Menschen einen inneren Taktgeber haben, galt in der Wissenschaft spätestens im 20. Jahrhundert als gesichert. Über welche Eigenschaften genau die innere Uhr verfügt und über welche Signalwege sie physische Prozesse steuert, gibt der Forschung jedoch bis heute einige Rätsel auf. In den 1970er-Jahren wollten Forschende des Max-Planck-Instituts für Verhaltensphysiologie mehr über sie herausfinden und führten zu diesem Zweck Experimente durch, die bis heute berühmt-berüchtigt sind. Freiwillige verbrachten mehrere Wochen unter Ausschluss von Tageslicht in einem unterirdischen Bunker, maßen dabei ihre Körpertemperatur, beobachteten ihr Verhalten. Dabei stellte sich heraus: Auch ohne Tageslicht stellte sich ein circadianer Rhythmus ein. Die Schlaf- und Wachphasen der Versuchspersonen bildeten also annähernd einen 24-Stunden-Tag ab.

Ein verlässlicher Taktgeber im Gehirn

„Circadian kommt von circa und dian, also von ungefähr und Tag“, erklärt Manuel Spitschan. Der Psychologe hat in Neurowissenschaften promoviert und ist Professor für Chronobiologie an der Technischen Universität München. Als Forschungsgruppenleiter am Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen untersucht er, wie sich Licht auf unsere innere Uhr auswirkt. Für seine Experimente muss niemand in einen Bunker steigen. Und die Ergebnisse sind aufschlussreich: An eine Atom­uhr kommt der innere Takt­geber des Menschen vielleicht nicht heran. Dennoch arbeitet er erstaunlich zuverlässig. „In Experimenten, bei denen wir die innere Uhr vom Außenreiz der natürlichen Lichteinstrahlung entkoppeln, zeigt sich, dass die Uhr trotzdem weiterläuft“, erklärt Manuel Spitschan. Im Schlaflabor schlafen Probanden zum Beispiel eineinviertel Stunden und sind im Anschluss dann zweieinhalb Stunden wach. „Diesen Schlaf-Wach-Rhythmus wiederholen wir mehrmals über einen Zeitraum von 40 Stunden.“ 

Während eines normalen und ununterbrochenen Tages sammelt sich Adenosin im Gehirn an. Dieses Molekül ist ein Abbauprodukt von ATP (Adenosintriphosphat), dem Energieträger für Körperzellen, und führt am Ende eines Tages zu zunehmender Schläfrigkeit. Je länger man wach bleibt, desto stärker wird also der sogenannte Schlafdruck. „Indem wir unsere Probandinnen und Probanden immer wieder schlafen lassen, senken wir diesen Schlafdruck“, erklärt Manuel Spitschan. „Ich würde aber niemandem empfehlen, so zu leben.“ Im Körper laufen also zwei Prozesse ab: Der eine steuert den Schlafdruck, der andere die innere Uhr. Unter natür­lichen Bedingungen stehen beide miteinander in einer Wechselbeziehung.

 Im Versuch geht es also alleine darum, die innere Uhr zu verstehen und die Art und Weise, wie sie auf den Körper einwirkt. Dazu messen die Forschenden, wie sich die Körpertemperatur, die Konzentration der körpereigenen Hormone Melatonin und Cortisol oder die Pupillen­reaktion auf Licht über den Tag verändern. „Der Rhythmus der inneren Uhr, den wir dann üblicherweise messen, liegt nicht bei genau 24 Stunden, sondern vielleicht bei 23,5, 24,2 oder 24,5 Stunden“, sagt Manuel Spitschan. Der innere Tag mancher Menschen ist also etwas zu kurz. Andere wiederum neigen dazu, jeden Tag ein bisschen später ins Bett zu gehen. Im Schnitt nähert sich der menschliche Biorhythmus dabei der natürlichen Tageslänge von 24 Stunden an.

Diese Experimente zeigen, dass die innere Uhr unzählige Prozesse im Körper steuert und dabei nicht nur einen Einfluss darauf hat, wie wach oder müde wir uns fühlen. So lässt sie im Laufe des Tages etwa periodisch unsere Körpertemperatur schwanken, reguliert, wann und wie viele Stresshormone ausgeschüttet werden, lässt unseren Stoffwechsel zu bestimmten Zeiten hoch- oder runterfahren. „Wir können in unseren Experimenten viele verschiedene circadiane Rhythmen beobachten – zum Beispiel mit Blick auf die Sehleistung oder unsere Aufmerksamkeit“, erklärt Manuel Spitschan. „So können wir uns in Abhängigkeit von der inneren Uhr zu unterschiedlichen Tageszeiten unterschiedlich gut konzen­trieren. Auch die Immunantwort scheint circadian unterschiedlich zu sein, genauso wie die Muskelleistung. Insgesamt sieht es so aus, als seien fast alle physiologischen Funktionen des Menschen abhängig von circadianen Rhythmen.“

Dass es diese Rhythmen gibt, ist inzwischen gänzlich unstrittig. Über welche Signalwege genau sie jedoch gesteuert werden, ist in vielen Fällen noch immer nicht bekannt. Eine ganz zentrale Frage immerhin konnten Forschende vor einigen Jahren beantworten: Die Frage nach dem Sitz der inneren Uhr im menschlichen Körper. „Der Nucleus suprachiasmaticus, kurz SCN, ist ein kleines Nervenbündel im Gehirn, wo sich die beiden Sehnerven kreuzen“, erklärt Manuel Spitschan. „In Studien hat sich gezeigt, dass der SCN zwar nicht der einzige, aber offenbar der zentrale Taktgeber für eine Reihe von physiologischen Prozessen ist.“ So sendet die reiskorngroße Struktur nachweislich unter anderem Signale an die Zirbeldrüse – eine ebenfalls sehr kleine Hirnregion, die das Hormon Melatonin produziert. Schüttet die Zirbeldrüse Melatonin aus, dann erhält der Körper das Signal, dass es Zeit ist zu schlafen. „In Laborversuchen sehen wir, dass auch die Melatoninausschüttung im menschlichen Körper einem bestimmten Muster folgt, das sich ungefähr im 24-Stunden-Rhythmus wiederholt. Hier sieht man, dass die Periodenlänge in den molekularen Prozessen der Zellen angelegt ist.“ Mit anderen Worten: Auch ohne Lichtsignale aus der Umwelt weist die innere Uhr die Zirbeldrüse periodisch dazu an, Melatonin zu produzieren. Ob jemand ein Frühaufsteher oder eine Nachteule ist, ist somit eine Sache der Genetik. Als komplett unabhängige Struktur jedoch darf man sich die innere Uhr dann auch wieder nicht vorstellen: Eine gewisse Flexibilität bringt sie mit, kann in Abhängigkeit von Umwelteinflüssen ihre Zeiger ein Stückchen vor- oder zurückschieben. Solche Korrekturen jedoch gehen eher bedächtig vonstatten. Nach längeren Flugreisen etwa stellt sich die innere Uhr mithilfe von Lichtreizen durchaus auf die neue Zeitzone um. Das aber kann einige Tage dauern. Genauer: etwa pro Stunde Zeitverschiebung ein Tag Gewöhnungszeit.

Die innere Uhr ist anpassungsfähig

Das Licht als äußerer Reiz vermag zwar die Periode von etwa 24 Stunden nicht zu verändern, wirkt aber immerhin kalibrierend auf die innere Uhr ein. Wie genau das geht, erforschen Manuel Spitschan und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Tübingen. „In unseren Studien untersuchen wir, wie unterschiedliche Lichtreize im Gehirn verarbeitet werden und wie die innere Uhr darauf reagiert.“ Die Forschenden setzen Probanden in ihrem Schlaflabor Licht unterschiedlicher Intensitäten und Wellenlängen aus und messen erneut eben jene Parameter, die sich im Takt der inneren Uhr periodisch verändern. Da sich die Ergebnisse aus dem Schlaflabor dabei häufig nur schlecht auf den Alltag übertragen lassen, führen die Chronobiologen zusätzlich auch Feldstudien durch. „In einer Langzeitstudie vermessen wir zum Beispiel gerade den Schlaf unter natürlichen Bedingungen“, sagt Manuel Spitschan. „Die Probanden bekommen hierzu ein kleines EEG-Gerät mit, das ihre Hirnströme misst. Das bauen sie sich abends zu Hause selber an den Kopf, und wir erfassen dann damit über ein Jahr, wie sich bei ihnen verschiedene Schlafphasen abwechseln – zum Beispiel, wie lang die Tiefschlafphasen sind.“

In weiteren Versuchen messen die Wissenschaftler, wie viel Licht Menschen in ihrem Alltag ausgesetzt sind. Hintergrund ist, dass grundständige Daten hierzu bislang nie erhoben worden sind. Solche Daten und entsprechende Langzeitstudien werden jedoch unbedingt gebraucht, um die Effekte von Licht im Alltag quantifizieren und hierüber zu empirisch fundierten Gesundheitsempfehlungen kommen zu können. Über den Tagesverlauf sind Menschen unterschiedlichen Lichtquellen ausgesetzt: Tageslicht, elektrisches Licht, Licht von Displays und Kombinationen davon. Um die tägliche Lichtexposition messen zu können, entwickelten die Forschenden am Institut eine Reihe von elektronikdurchsetzten Maßanfertigungen – eine Brille, eine Kette und ein Armband. Probanden können diese im Alltag ohne größeren Aufwand am Körper tragen. „Befestigt sind daran dann jeweils kleine Sensorchips, die die Lichtintensität im Laufe des Tages aufzeichnen“, erklärt Manuel Spitschan. Die Forschenden messen damit unter anderem die Lichtmenge, der sich Probanden in Deutschland, Spanien, Schweden, Ghana, den Niederlanden oder der Türkei aussetzen, während sie ihren Alltagsaktivitäten nachgehen.

Welche Ergebnisse seiner Grundlagenforschung fand Manuel Spitschan bislang besonders erhellend? „Um die Jahrtausendwende stellte sich heraus, dass es in der Netzhaut zusätzlich zu den Stäbchen und Zapfen einen weiteren Zelltyp gibt, die melanopsin­haltigen Ganglienzellen“, sagt der Forscher. „Dieser Photorezeptor hat einen maßgeblichen Einfluss auf die innere Uhr.“ Verarbeiten diese Zellen Lichtreize, senden sie offenbar ein Signal an den Nucleus suprachiasmaticus und stellen die innere Uhr damit ein Stück zurück. Das Gehirn erhält so die Referenzinformation, dass es noch Tag sein muss, und schüttet vorerst kein Melatonin aus. Um zu klären, ob auch die Zapfen des Auges Signale an die innere Uhr senden können, entwarfen Manuel Spitschan und seine Kollegen mehrere aufwendige Experimente. „Wir haben dafür spezielle Lichtreize erzeugt, die ausschließlich die Zapfen im Auge ansteuern. Es zeigte sich dann: Auf die Melatoninproduktion hat das keinen Einfluss.“ Daraus lässt sich schließen, dass Licht nicht gleich Licht ist. Nur bestimmte Lichtreize sind demnach für die innere Uhr relevant – nämlich diejenigen, die auf melanopsinhaltige Ganglienzellen wirken. „Das ist tatsächlich ein großer Erkenntnisgewinn: Es bedeutet, dass wir die Zapfen in unseren Experimenten außen vor lassen können.“ Und es geht noch weiter. Versuche zeigen, dass die Gang­lienzellen besonders empfindlich auf blaues Licht mit einer Wellenlänge von 490 Nanometern reagieren. Künstliches Licht auf Handy-Bildschirmen hat also sicherlich eine Wirkung auf das Gehirn. Vor allem aber kommt es auf die Helligkeit der Lichtquelle an. Wer den Handy-Bildschirm einfach dimmt, reduziert den Einfluss auf die innere Uhr deutlicher als ein Blaufilter.

Vermutlich etwas weniger folgenreich für die Forschung, dafür aber umso unterhaltsamer sind die Untersuchungen der Spitschan’schen Arbeitsgruppe zum photischen Niesreflex. Hintergrund ist, dass rund 20 bis 30 Prozent aller Menschen zwanghaft niesen müssen, wenn sie hellem Licht ausgesetzt sind. Übrigens auch Manuel Spitschan selbst: „Als Wissenschaftler will ich da natürlich wissen, was dabei im Gehirn passiert.“ In den Dienst dieser Forschung stellte sich unter anderem ein Student am Institut, dokumentierte einen Monat lang seine Nieser. Im Schnitt zählte er knapp drei am Tag. „Die Frequenz des photischen Niesens hängt dabei von der Jahreszeit ab – im Sommer ist natürlich viel mehr Tageslicht vorhanden als im Winter. Meine Theorie ist, dass der Reflex etwas mit den melanopsinhaltigen Ganglienzellen zu tun hat. Bislang konnten wir den Mechanismus aber noch nicht aufklären.“

Gedimmte Displays schonen die innere Uhr

Die Forschung dazu, wie genau Licht auf den menschlichen Körper und das Gehirn wirkt, steckt teilweise noch in den Kinderschuhen. Dennoch sind sich Chronobiologinnen und -biologen weltweit einig, dass unser Umgang mit Licht die menschliche Gesundheit und Lebensqualität auf entscheidende Weise beeinflusst. Um mehr Menschen dafür zu sensibilisieren, touren Kollegen von Manuel Spitschan ab Mai 2025 mit einem mobilen Forschungslabor durch Deutschland. „Man kann darin dann zum Beispiel mithilfe eines Fragebogens den eigenen Chronotyp bestimmen oder die eigenen Pupillenreaktionen auf einem Monitor beobachten, während Lichtreize auf einen einwirken“, erläutert Manuel Spitschan. Ziel sei es, mehr Interesse an chronobiologischen Zusammenhängen zu wecken und Forschungsergebnisse stärker in die Breite zu tragen. Sich hartnäckig haltende Fehlannahmen sorgten in der Bevölkerung so etwa seit Jahrzehnten für unnötiges Leid und unberechtigte Kritik. „Menschen glauben dann zum Beispiel, dass sie faul sind, weil sie es nicht schaffen, früh aufzustehen. Dabei ist das oft biologisch bedingt. Dieses Wissen mehr in die Gesellschaft zu tragen, kann entlastend wirken.“

Hinweis: Diese Forschung wurde mit Mitteln der Max-Planck-Förderstiftung unterstützt.

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