Forschungsbericht 2007 - Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik

Wie viele Dimensionen hat die Welt?

How many dimensions has our world?

Autoren
Theisen, Stefan; Pössel, Markus
Abteilungen
Quantengravitation und vereinheitlichte Theorien (Prof. Dr. Hermann Nicolai), MPI für Gravitationsphysik, Golm
Zusammenfassung
Die Stringtheorie spielt eine zentrale Rolle bei der Suche nach einer konsistenten Quantentheorie der Gravitation. Die Theorie zwingt uns, vertraute Vorstellungen von Raum und Zeit zu überdenken. Dies wird im folgenden Artikel anhand von Beispielen erläutert.
Summary
String theory is a central player in our search for a consistent theory of quantum gravity. The theory forces us to re-evaluate familiar conceptions of space and time. In the following article this shall be illustrated with examples.

In ihrer inzwischen mehr als 30-jährigen Geschichte haben sich aus der Stringtheorie eine Vielzahl hochinteressanter Querverbindungen zu anderen Gebieten der theoretischen Physik und auch zu Unterdisziplinen der reinen Mathematik ergeben. In einer Reihe von Fällen – die Beispiele reichen von der Knotentheorie bis zur theoretischen Festkörperphysik – hat sie dabei wertvolle Anregungen für andere Forschungszweige geliefert. Die Kernfrage, ob mit der Stringtheorie denn nun die schon seit langem gesuchte große vereinheitlichte Theorie aller Elementarteilchen und ihrer Wechselwirkungen gefunden wurde, ist allerdings noch offen. Letztgültig lässt sich diese Frage nur experimentell beantworten, und das hat sich als äußerst schwierig herausgestellt.

Das Problem

Eine zentrale Erkenntnis der modernen Physik besteht darin, dass sich die Materievielfalt, die wir im Alltag wahrnehmen, aus einer vergleichsweise kleinen Anzahl von Grundbausteinen zusammensetzt, den Elementarteilchen. Zwischen ihnen wirken vier Grundkräfte: der Elektromagnetismus, der beispielsweise Elektronen an den Atomkern bindet, die starke Kernkraft, welche Quarks zu Protonen und Neutronen und diese zu Atomkernen zusammenbindet, die schwache Kernkraft, die für bestimmte radioaktive Zerfälle verantwortlich ist, und die universell wirkende Gravitation. Dabei kommt jede Wechselwirkung ihrerseits durch den Austausch von Elementarteilchen, so genannten Eichbosonen, zustande: von Photonen, Gluonen, W- und Z-Bosonen und Gravitonen. Die Kräfte werden so auf fundamentale Teilchen zurückgeführt.

Mit Ausnahme der Gravitation lassen sich die Materieteilchen und die zwischen ihnen wirkenden Kräfte im Einklang mit den Gesetzen der Quantentheorie und der speziellen Relativitätstheorie beschreiben. Das Ergebnis ist das so genannte Standardmodell der Elementarteilchenphysik, das Paradebeispiel einer Quantenfeldtheorie.

Obwohl durch viele Experimente beeindruckend bestätigt, ist das Standardmodell keine vollends befriedigende Beschreibung der Grundlagen unserer Welt. Zum einen enthält es rund zwei Dutzend freier Parameter, deren Werte nicht aus der Theorie selbst folgen, sondern experimentell bestimmt werden müssen. Dazu zählen beispielsweise die Massenverhältnisse der Teilchen und die Stärke ihrer Wechselwirkungen. Von einer vollständigen Theorie kann man sich andererseits erhoffen, dass sie keine freien Parameter aufweist. Zweiter Mangel ist, dass es in der Welt des Standardmodells keinerlei Gravitation gibt. Zugegeben: Für alle irdischen Experimente, etwa an Teilchenbeschleunigern, ist diese Kraft im Vergleich zu den anderen drei Kräften vernachlässigbar schwach, sodass dieses Manko in der experimentellen Teilchenphysik nur von sehr geringer Bedeutung ist. Im ganz frühen Universum sollte es dagegen, den herkömmlichen kosmologischen Modellen zufolge, durchaus Phasen gegeben haben, in denen alle vier Kräfte von vergleichbarer Stärke waren. Obwohl diese Verhältnisse im Labor niemals werden erreicht werden können, benötigen wir zum besseren Verständnis des Ursprungs unseres Universums eine Erweiterung des Standardmodells, die im Einklang mit den Gesetzen der Quantentheorie und der allgemeinen Relativitätstheorie stehen muss. Weil die für eine solche Quantengravitationstheorie typischen Energien äußerst hoch sind, wird eine experimentelle Verifikation sehr schwierig sein. Doch bereits die theoretische Beschreibung bringt Probleme mit sich: Versuche, für die Formulierung der Quantengravitation auf das im Standardmodell der Elementarteilchenphysik so außerordentlich gut bewährte theoretische Konzept der Quantenfeldtheorie zurückzugreifen, erleiden Schiffbruch. Das Ergebnis einer solchen Übung ist eine Theorie ohne jede Vorhersagekraft.

Die Lösung

Ein Ausgangspunkt des Standardmodells ist die Vorstellung idealisierter Punktteilchen, wie sie aus der klassischen Physik bekannt sind. Einiges deutet darauf hin, dass dieser Umstand für das Scheitern der direkten Verallgemeinerung des Standardmodells auf die Gravitation verantwortlich sein könnte. Dies führt zur Kernidee der Stringtheorie, die eben nicht von punktförmigen Teilchen ausgeht, sondern deren Grundbausteine eindimensionale, winzig kleine schwingende Saiten sind. Ein und dieselbe Saite kann auf unterschiedliche Arten schwingen; vereinfacht gesagt entspricht die Vielfalt der „Obertöne“ der Vielfalt der Elementarteilchen. Die Strings sind so extrem kurz, dass sie in den Experimenten punktförmig scheinen, aber eben je nach Schwingungszustand als punktförmige Teilchen mit unterschiedlichen Eigenschaften. Es gibt offene und geschlossene Strings, die sich ineinander umwandeln können. Unter den Schwingungszuständen des geschlossenen Strings ist immer einer, der die richtigen Eigenschaften aufweist, um die Rolle des Austauschteilchens der Gravitation zu spielen, des Gravitons. Wie auch immer man eine konsistente Stringtheorie formuliert, dieser besondere Schwingungszustand wird immer enthalten sein. Gravitation ist demnach eine zwangsläufige Konsequenz einer stringtheoretischen Beschreibung der Welt. In der Stringtheorie ist die Idee der Vereinheitlichung aller Elementarteilchen und ihrer Wechselwirkungen auf sehr ökonomische Weise realisiert.

Von zehn nach vier Dimensionen?

Allerdings hat diese Vereinheitlichung ihren Preis. Es stellt sich heraus, dass Strings nicht in einer beliebigen Raum-Zeit schwingen können. Eine besonders auffallende Einschränkung, die sich aus den Gesetzen der Quantentheorie ergibt, ist, dass der Kosmos nicht nur die üblichen drei, sondern neun oder sogar zehn Raumdimensionen aufweisen muss. In einer Welt mit einer Zeit- und zehn Raumdimensionen würde die Stringtheorie zu einem vollständigen Modell ohne freie Parameter führen, das als M-Theorie bekannt, aber noch weitgehend unverstanden ist. Hierbei steht ‚M’ für Matrix, Membran, magic oder mystery, je nachdem welchen Aspekt man hervorheben möchte.

Dabei gibt es Möglichkeiten, wie ein höherdimensionaler Raum uns als dreidimensional erscheinen kann. Eine davon besteht darin, dass die sechs Extradimensionen „eng aufgerollt“ sind: Genauso wie wir einen Draht, aus der Distanz betrachtet, als effektiv eindimensionales Objekt behandeln können, wäre ein Universum, von dessen zehn Dimensionen sechs winzig klein eingerollt sind, für seine Bewohner effektiv vierdimensional (drei Raumrichtungen und die Zeitrichtung). Dafür, wie genau man durch das Aufrollen von Dimensionen von neun zu drei Raumdimensionen kommt, existiert eine riesige Anzahl von Möglichkeiten, die mit allen Konsistenzbedingungen der Stringtheorie vereinbar sind. Die zulässigen dreidimensionalen Welten unterscheiden sich in mehrerlei Hinsicht, beispielsweise durch die Größe der aufgerollten Dimensionen und, eng damit zusammenhängend, durch das Spektrum der vorhandenen Elementarteilchen, deren Massen und weitere Eigenschaften davon abhängen, wie die Strings unter den beispielsweise durch die Eigenschaften der Extradimensionen definierten Bedingungen schwingen können.

Die Gravitation ist jedoch immer eine der vorhandenen Wechselwirkungen. Die Frage ob die Anzahl dieser Möglichkeiten, die „Stringvakua“ genannt werden, endlich oder unendlich ist, ist noch offen. In jedem Fall ist sie enorm groß - oft liest man in diesem Zusammenhang die Zahl 10500, also eine 10 gefolgt von 500 Nullen!

Die Stringtheoretiker fanden bereits zulässige Welten, deren Eigenschaften denen unserer eigenen Welt sehr nahe kommen - dies ist keinesfalls selbstverständlich in Anbetracht der unübersichtlich riesigen Menge von Möglichkeiten. Die Suche nach dem exakten Standardmodell innerhalb der Stingtheorie geht indes weiter.

Ob es ein Auswahlprinzip gibt, dass dieses spezielle Modell - und damit die Welt, in der wir leben - vor den anderen Möglichkeiten auszeichnet, oder die Stringtheorie andere Möglichkeiten bietet zu erklären, warum unsere Welt so ist, wie sie ist, ist eine offene und derzeit heiß diskutierte Frage.

Holographie

Extradimensionen sind nicht die einzige Überraschung, welche die Stringtheorie in punkto Dimensionen zu bieten hat. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass der Begriff der Dimension gar nicht so eindeutig definiert ist, wie man gemeinhin annimmt.

Erste Hinweise darauf ergaben sich aus der Theorie Schwarzer Löcher. Schwarze Löcher entstehen durch Kollaps schwerer Sterne. Riesige Schwarze Löcher befinden sich in den Zentren von Galaxien – auch der unsrigen. Die Grenzfläche zwischen einem Schwarzen Loch und der Außenwelt ist der so genannte Ereignishorizont. Alles, was diesen Horizont überschreitet, fällt notwendigerweise ins Schwarze Loch; ein Entkommen und selbst die Kommunikation mit der Außenwelt sind unmöglich. Selbst Licht wird eingefangen, daher der Name Schwarzes Loch.

Seit den 1970er-Jahren ist bekannt, dass der Flächeninhalt des Ereignishorizonts das Maß für die Menge an Information ist, die das Schwarze Loch bereits verschluckt hat - physikalisch ausgedrückt: für seine Entropie. Einer der Erfolge der Stringtheorie besteht darin, dass sie zumindest für einige Typen Schwarzer Löcher erklären kann, auf welche Weise die Information am Horizont gespeichert ist.

Bemerkenswert ist, dass der Informationsgehalt des dreidimensionalen Volumens durch den Inhalt einer zweidimensionalen Fläche gegeben ist, der Horizontfläche. Die Idee einer holographischen Welt geht aber noch einen Schritt weiter, indem sie die Frage stellt: ist unsere Welt ein Hologramm? Liegt der vierdimensionalen Raumzeit eine dreidimensionale Realität zugrunde? Gibt es zwei äquivalente, in der Fachsprache der Physiker, duale, Beschreibungen ein und derselben Wirklichkeit: das Hologramm und das rekonstruierte höherdimensionale Abbild?

Für dieses holographische Prinzip kennen wir seit zehn Jahren eine sehr konkrete Realisierung außerhalb der Physik Schwarzer Löcher - eine explizite vierdimensionale Beschreibung einer fünfdimensionalen Welt. Bei dem vierdimensionalen Hologramm handelt es sich dabei um eine so genannte Yang-Mills-Theorie, eine Quantenfeldtheorie, die eng mit jener zusammenhängt, die im Rahmen des Standardmodells die starke Wechselwirkung beschreibt. Diese vierdimensionale Quantenfeldtheorie ist äquivalent zu einer Stringtheorie, in der fünf von den neun Raumdimensionen in bestimmter Weise aufgerollt sind, während die verbleibende fünfdimensionale Raumzeit in bestimmter Weise gekrümmt ist. Diese Äquivalenz ist als AdS/CFT-Korrespondenz bekannt, nach den Kürzeln für die betreffende Quantenfeldtheorie („Conformal Field Theory“) und die fünfdimensionale Raumzeit, in der die Strings existieren („Anti-de-Sitter-Raumzeit“). Oft wird sie auch „Maldacena-Vermutung“ genannt, nach Juan Maldacena, der diese These erstmals aufgestellt hat.

Wenngleich ein strenger Beweis für diese Korrespondenz noch aussteht, hat sie doch schon zu einer beeindruckenden Vielzahl von Entwicklungen geführt, die zu einem tieferen Verständnis sowohl der Stringtheorie als auch der Yang-Mills-Theorien beigetragen haben. Die AdS/CFT-Korrespondenz und eine Vielzahl ihrer Verallgemeinerungen haben ein hochaktuelles Forschungsgebiet begründet.

Eine der spannendsten Fragen ist, ob es auch zu den Modellen der herkömmlichen Elementarteilchenphysik duale Beschreibungen gibt, etwa eine höherdimensionale Stringtheorie. Wäre dies der Fall, so hätte das unerwartete Konsequenzen, denn das holographische Prinzip lässt sich in zwei Richtungen ausnutzen. Ein Verständnis der höherdimensionalen Stringtheorie liefert interessante Informationen über das Hologramm. Umgekehrt lässt das Hologramm Rückschlüsse auf die höherdimensionale Theorie zu. Bestimmte Berechnungen im Rahmen der einen Theorie können sich dabei deutlich einfacher erweisen als ihre Gegenstücke im anderen Modell. Könnte sie ein höherdimensionales Abbild beispielsweise der Theorie der starken Kernkraft liefern, dann könnte die Stringtheorie zu einem nützlichen Werkzeug der herkömmlichen Elementarteilchenphysik werden. Es gibt eine Reihe von Anzeichen dafür, dass die Entwicklung in exakt diese Richtung gehen könnte.

Ausblick

Da uns das Nachdenken über die Dimensionalität unserer Welt durch die Stringtheorie förmlich aufgezwungen wird, können wir uns fragen, ob man die zusätzlichen Dimensionen nicht nur indirekt, wie oben angedeutet über das Elementarteilchenspektrum, sondern auch direkt messen kann. In der Tat hat man diese Möglichkeiten untersucht und Modelle konstruiert, die zu messbaren Konsequenzen führen. So würde man am Teilchenbeschleuniger LHC (dem Large Hadron Collider des CERN), der 2008 in Betrieb genommen wird, zusätzliche Dimensionen als scheinbare Verletzungen der Energieerhaltung sehen: ein Teil der Energie verschwindet in der vierten, fünften oder in noch höheren Dimensionen.

Ein Beweis für die Richtigkeit der Stringtheorie wäre das wohlgemerkt nicht. Ein solcher Beweis wird in jedem Fall sehr schwierig sein. Dennoch hat die Stringtheorie inzwischen soviele Anstöße für Entwicklungen sowohl in der Elementarteilchenphysik als auch in der Mathematik geliefert, dass an ihrer inneren Konsistenz keine Zweifel mehr bestehen. Ob sie die gesuchte „Theory of Everything“ ist bleibt eine offene Frage. Eine alternative Rolle wäre als ein theoretischer Unterbau der, ähnlich wie die Quantenfeldtheorie, in vielen Facetten existiert und zur Behandlung unterschiedlicher Fragestellungen herangezogen werden kann, ohne ein alles umfassender Überbau zu sein. Vielleicht ist sie ja auch lediglich ein theoretischer Unterbau ähnlich wie die Quantenfeldtheorie – ein Rahmen, der mit vielerlei konkreten Inhalten gefüllt und so zur Behandlung recht unterschiedlicher Fragestellungen herangezogen werden kann, ohne dass die vereinheitlichte Beschreibung aller Elementarteilchen und Grundkräfte eine der Anwendungen wäre.

Noch kennen wir die Antwort auf diese Frage nicht. Aber in jedem Fall gilt, zumindest für die schon große und noch wachsende Stringgemeinde, dass wir bisher keine elegantere und facettenreichere Theorie kennen, und dass wir hoffen können, dass die Stringtheorie in den folgenden Jahren noch mit vielen Überraschungen aufwarten wird.

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