Weder Neandertaler noch moderner Mensch
Das Genom eines ausgestorbenen Urmenschen liefert neue Erkenntnissen über die Ursprünge des modernen Menschen
Ein internationales Forscherteam unter der Leitung von Svante Pääbo vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig hat das Kerngenom eines mindestens 30.000 Jahre alten Fingerknochens sequenziert. Dieser stammt von einem ausgestorbenen Urmenschen, dessen Überreste von Archäologen der Russischen Akademie der Wissenschaften 2008 in der Denisova-Höhle im südlichen Sibirien ausgegraben wurden. Demnach war der Mensch aus Denisova weder Neandertaler noch moderner Mensch, sondern eine neue Homininenform. (Nature, 23. Dezember 2010)
Bereits Anfang dieses Jahres hatte das Forscherteam herausgefunden, dass die mitochondriale DNA aus dem Fingerknochen eine ungewöhnliche Sequenz aufwies, die von einer bislang unbekannten, alten Homininenform stammte. Mithilfe der Techniken, die für die Sequenzierung des Neandertalergenoms entwickelt wurden, entzifferten die Forscher nun aus dem Erbgut das Kerngenom, die gesamte Erbinformation aus dem Zellkern einer Zelle. Offensichtlich war die Person, der der Fingerknochen gehörte, weiblich und zählte zu einer Gruppe von Urmenschen, die eine gemeinsame Herkunft mit dem Neandertaler teilte, danach aber einen anderen evolutionären Weg einschlug.
Diese neue Urmenschenform nennen die Forscher Denisova-Mensch. Im Gegensatz zu den Neandertalern trugen diese Urmenschen keine Gene zu allen heute lebenden Nicht-Afrikanern bei. Sie teilten jedoch eine größere Anzahl von genetischen Varianten mit Populationen, die heute noch auf Papua-Neuguinea leben. Dies legt nahe, dass es zwischen den Denisova-Menschen und den Vorfahren der Melanesier zu einer Vermischung gekommen ist.
Außerdem untersuchten die Forscher einen Zahn, der in derselben Höhle in Sibirien ausgegraben wurde und dessen äußere Beschaffenheit sich von der eines Neandertalerzahnes und des Zahnes eines modernen Menschen deutlich unterscheidet. Überraschenderweise ähnelt er jedoch denen sehr viel älterer Homininenformen. "Dieser Zahn ist einfach unglaublich. Er ermöglicht es uns, morphologische und genetische Informationen miteinander in Verbindung zu bringen", sagt Bence Viola, ein Forscher am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie.
David Reich, der an der Harvard Medical School forscht und die populationsgenetische Analyse leitete, sagt: "Die Tatsache, dass der Denisova-Mensch in Südsibirien entdeckt wurde, aber zum Erbmaterial heute lebender menschlicher Populationen in Neu-Guinea beitrug, zeigt, dass diese Urmenschen während des Pleistozäns in Asien weit verbreitet gewesen sein müssen."
"Kombiniert mit der Genomsequenz des Neandertalers-, zeigt uns das Denisova-Genom ein komplexes Bild genetischer Interaktionen zwischen unseren Vorfahren und anderen uralten Urmenschengruppen", erklärt Svante Pääbo.
Die im Mai 2010 publizierte Studie zur Entschlüsselung des Neandertalergenoms wurde erst kürzlich vom Wissenschaftsmagazin "Science" zur drittbesten Veröffentlichung im Jahre 2010 gekürt. Von den Forschern neu entwickelte Sequenziermethoden ermöglichten den ersten direkten Vergleich zwischen dem Genom des modernen Menschen und dem des Neandertalers.
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An dieser Studie waren ebenfalls beteiligt: Forscher des Broad Institute of Harvard und des MIT (Massachusetts, USA), der University of California Santa Cruz und Berkeley (Kalifornien, USA), der Eberhard-Karls Universität Tübingen, der Emory University (Georgia, USA), der University of Montana (Montana, USA), der University of Washington (Washington, USA), des Instituts für Evolutionäre Biologie (Barcelona, Spanien), des Instituts für Wirbeltierpaläontologie und Paläoanthropologie der Chinesischen Akademie der Wissenschaften (Peking, China), der University of British Columbia (Vancouver, Kanada) und des Instituts für Archäologie und Ethnographie der Russischen Akademie der Wissenschaften, Sibirische Zweigstelle (Novosibirsk, Russland).
Finanzielle Unterstützung erfuhr die Studie durch die Max-Planck-Gesellschaft, die Krekeler-Stiftung, das National Institute of Health (USA) und die National Science Foundation (USA).