Deuterium aus dem Quantensieb

Eine metallorganische Gerüstverbindung trennt Wasserstoff-Isotope effizienter als bisherige Methoden

Chemiker, Biologen und Physiker gelangen künftig möglicherweise leichter an das Mittel der Wahl, mit dem sie zahlreiche Forschungsfragen klären können. Ein Team von Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für Intelligente Systeme in Stuttgart, der Jacobs University Bremen und der Universität Augsburg gelang es erstmals mit einer neuen Methode, Wasserstoff und sein schweres Isotop Deuterium effizienter als bisher zu trennen. Sie nutzen dazu eine metallorganische Gerüstverbindung als Quantensieb. Deuterium dient als Hilfsmittel, um etwa die Struktur unbekannter Stoffe zu bestimmen. Mit ihm untersuchen Chemiker aber auch, wie Reaktionen ablaufen, an denen Wasserstoff beteiligt ist, und schaffen so die Basis, um die Umwandlung zu optimieren. Biologen analysieren mit Deuterium unter anderem Stoffwechselprozesse.

Deuterium ist der schwere Zwillingsbruder des Wasserstoffs, aber noch gut 20 Mal seltener als eineiige Zwillinge. Es macht gerade mal 0,15 Promille des natürlichen Wasserstoffs aus und ist doppelt so schwer wie das leichte Isotop. Chemisch unterscheiden sich die beiden Isotopen nicht: Sowohl Deuterium als auch gewöhnlicher Wasserstoff reagieren mit Sauerstoff zu Wasser. Seine doppelte Masse erlaubt es Forschern jedoch, mit Deuterium eine Spur zu legen, um chemische Reaktionen oder Stoffwechselprozesse aufzuklären. Sie schicken eine deuteriumhaltige Verbindung in die Prozesse und analysieren, in welchem Produkt der Umwandlung er sich wiederfindet. Und das ist nur eine der Aufgaben, die Deuterium in der Forschung erfüllt. Aber vielleicht wird es sogar einmal zu einem unerschöpflichen und klimaneutralen Brennstoff. Und zwar, wenn die Kernfusion so weit ausgereift sein wird, dass sie auf der Erde in dem Prozess, der auch in der Sonne abläuft, Energie erzeugen wird. Dabei entsteht im Gegensatz zur Kernspaltung sehr viel weniger radioaktiver Abfall.

Forscher des Max-Planck-Instituts für Intelligente Systeme, der Jacobs University Bremen und der Universität Augsburg haben nun in einer Kooperation, die im Rahmen des Schwerpunktprogramms 'Poröse metallorganische Gerüstverbindungen" der DFG (SPP 1362) zustande kam, einen Weg gefunden, das im Wasserstoff enthaltene Deuterium schneller anzureichern als mit den gängigen Methoden. Über die Ergenisse berichten sie im Journal Advanced Materials. Die Forscher haben demnach festgestellt, dass eine bestimmte metallorganische Gerüstverbindung, kurz MOF für metalorganic framework, bei Temperaturen unter minus 200 Grad Celsius leichter Deuterium als gewöhnlichen Wasserstoff aufnimmt. Diese von Chemikern um Dirk Volkmer, Professor an der Universität Augsburg, synthetisierte Gerüstverbindung MFU-4 – ein Akronym für Metal-Organic Framework Ulm University-4 – besteht aus Zinkionen, die mit organischen Molekülen vernetzt sind und weist käfigartige Hohlräume auf, die durch besonders enge Öffnungen miteinander verbunden sind.

Bei tiefen Temperaturen werden Materialien mit engen Hohlräumen zu Quantensieben

Metallorganische Gerüstverbindungen werden in einem Baukastensystem erzeugt, in dem sich  poröse Materialien für spezielle Anwendungen gezielt herstellen lassen. „Es gibt inzwischen Tausende derartiger Verbindungen, von denen die meisten allerdings den hohen technischen Anforderungen an die Stabilität nicht genügen“ sagt Dirk Volkmer. „Mit MFU-4 haben wir eine Familie von porösen Materialien entwickelt, die auch für industrielle Anwendungen attraktiv wäre.“

„Als wir diese Verbindung bei minus 223 Grad Celsius für wenige Minuten einem Gasgemisch aus gleichen Teilen Wasserstoff und Deuterium aussetzten, nahm sie fast siebenmal mehr Deuterium auf als Wasserstoff“, sagt Michael Hirscher, der die Experimente mit seinen Mitarbeitern am Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme vornahm. Indem die Forscher die Gerüstverbindung anschließend über minus 200 Grad erwärmten, setzten sie die Isotope wieder frei. Um besser zu verstehen, warum das schwerere Deuterium schneller in die Poren eindringt als sein leichter Bruder, baten die Stuttgarter Wissenschaftler theoretische Physiker um Thomas Heine, Professor an der Jacobs University Bremen, um Hilfe.

So fand das Team heraus, dass die Gerüstverbindung die Wasserstoff-Isotope durch einen Mechanismus trennt, den Physiker als Quantensieben bezeichnen. Allerdings lassen sich die beiden Wasserstoffisotope nicht wie Sandkörner anhand ihrer Größe separieren, weil die Moleküle des einen so winzig sind wie die des anderen. Vielmehr sortiert das Quantensieb die Teilchen nach ihrer Masse. Das wäre in etwa so, als würde ein Kindersieb Sandkörner nicht nach ihrer Größe, sondern nach ihrer Farbe auslesen.

Wasserstoff tunnelt leichter, aber Deuterium besetzt die besten Startplätze

Zu Quantensieben werden Materialien bei sehr tiefen Temperaturen, wenn sie enge Hohlräume aufweisen. Dabei treten zwei Quanteneffekte auf. Zum einen ziehen sich die Öffnungen bei Temperaturen unter minus 200 Grad so weit zusammen, dass selbst die denkbar kleinen Wasserstoff-Moleküle nicht mehr durch sie hindurchströmen können, sondern durch die de facto geschlossene Öffnung tunneln müssen. Das können Teilchen nur unter Bedingungen, unter denen die Gesetze der Quantenphysik gelten.

 „Eigentlich tunneln die leichten Wasserstoff-Moleküle sogar mit höherer Wahrscheinlichkeit“, sagt Thomas Heine. „Unsere Rechnungen zeigen jedoch, dass nicht die Wasserstoff-Moleküle, sondern die Deuterium-Moleküle direkt an den Öffnungen sitzen.“ Daher haben die Deuterium-Moleküle bessere Startbedingungen zum Tunneln und gelangen eher in die Hohlräume der Gerüstverbindung.

Dass Deuterium den besseren Startplatz ergattert, beruht wiederum auf einem Quanteneffekt: Wegen der Eigenarten der Quantenwelt gibt es selbst am absoluten Nullpunkt der Temperaturen keinen völligen Stillstand. Das würde nämlich bedeuten, dass Ort und Impuls, also die Geschwindigkeit der Teilchen, ganz genau feststehen. Dies verbieten aber die Gesetze der Quantenwelt, weil es in ihr keine absoluten Sicherheiten, sondern nur Wahrscheinlichkeiten gibt. Aus diesem Grund besitzen alle Teilchen eine Nullpunktsenergie, und die ist bei schwereren Teilchen kleiner als bei leichten. Da sich schwere Teilchen, bildlich gesprochen, also nicht so heftig bewegen wie leichte, haften sie bei tiefen Temperaturen besser auf Oberflächen. Das hat zur Folge, dass auch an den Öffnungen der metall-organischen Gerüstverbindungen mehr Deuterium- als Wasserstoff-Moleküle sitzen und eher in sie hineintunneln können.

Auch Helium-3 und Helium-4 könnten sich mit Quantensieben trennen lassen

„Damit haben wir erstmals experimentell gezeigt, dass Quantensieben eine sehr effektive Methode ist, um Gasgemische zu trennen und Deuterium zu gewinnen“, sagt Michael Hirscher. Bisherige Methoden, die etwa die unterschiedlichen Siedepunkte der beiden Isotope ausnutzen, reichern Deuterium pro Trennungszyklus gerade mal um das zweieinhalbfache an. Die neue Methode ist also zwei bis drei Mal so effektiv.

„Technische Trennprozesse wie das Quantensieben setzen voraus, dass sich poröse Materialien mit Hohlräumen einer gewünschten Größe gezielt herstellen lassen“, sagt Dirk Volkmer. „Genau diese Bedingung erfüllt die MFU-4-Familie.“ Testen ließen sich die Materialien nur, weil die Forscher um Michael Hirscher eine Apparatur konstruiert hatten, in der sie die gespeicherten Mengen unterschiedlicher Gase direkt mit einem Massenspektrometer analysieren konnten.

Mit diesem Instrument wollen sie nun untersuchen, ob sich andere metallorganische Gerüstverbindungen, deren Hohlräume und Öffnungen größer oder kleiner sind, vielleicht sogar besser als Quantensiebe für Deuterium eignen. „Wir wollen aber auch versuchen Helium-3 auf diese Weise anzureichern“, erklärt Michael Hirscher. Helium-3 ist der leichte Bruder von Helium-4, ist aber so selten, dass auf eine Million Teile Helium-4 nur 1,4 Teile Helium kommen. Vor allem in der Wissenschaft ist es aber als Kühlmittel begehrt. Außerdem könnte es ebenfalls als Brennstoff der Kernfusion dienen und würde dabei noch einmal deutlich weniger radioaktives Material produzieren als die Kernfusion mit Deuterium. „Ich erwarte, dass wir auch bei den Helium-Isotopen einen Trennungseffekt sehen werden“, sagt Michael Hirscher. „Ob es sich lohnen wird, Helium-3 auch technisch auf diese Weise zu gewinnen, ist damit natürlich noch nicht geklärt.“ Diese Frage ist einstweilen aber auch für Wasserstoff und seinen dicken Bruder Deuterium noch offen.

NG/PH

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