Ein schweres Stück Arbeit
Jeder, der lange gearbeitet hat, möchte eine ausreichende Alterssicherung haben. Doch ist dies angesichts des demografischen Wandels noch realistisch? Wie könnte das Sozialversicherungssystem angepasst werden, damit die Beitragszahler entlastet werden und trotzdem keine Altersarmut entsteht? Axel Börsch-Supan forscht am Munich Center for the Economics of Aging (MEA) im Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik im politisch aufgeladenen Konfliktfeld von Förderung der Vorsorge, Verlängerung der Lebensarbeitszeit und drohender Entsolidarisierung. Er sagt: Die große Stellschraube ist die Erwerbsbeteiligung.
Sie befassen sich mit den makroökonomischen Konsequenzen einer alternden Gesellschaft. Was ist hier das vordringlichste Problem?
Axel Börsch-Supan: Unser Hauptproblem ist, wie sich die Produktionskapazität der Wirtschaft in Zukunft entwickeln wird. In den kommenden Jahrzehnten wird es in Deutschland nach wie vor viele Menschen geben, die Güter und Dienstleistungen konsumieren wollen. Auf der anderen Seite werden aber weniger Erwerbstätige vorhanden sein, die den in der Volkswirtschaft nötigen Gewinn produzieren. Das schlägt sich unter anderem in der Finanzierung der Renten nieder. Ein noch größeres Problem könnten aber die Gesundheitsdienstleistungen darstellen, weil hier die Kosten schneller steigen als bei den Renten. Wie gut wir das auffangen können, hängt vor allem vom Wirtschaftswachstum ab. Wenn wir nicht entsprechend gegensteuern, wird die demografisch bedingte Zunahme des Anteils älterer Menschen in der Gesellschaft dazu führen, dass Deutschland in der Rangordnung der wirtschaftsstärksten Länder nach unten rutscht.
Welche Folgen sind konkret zu erwarten?
Wenn wir es nicht schaffen, ältere Leute, Frauen und junge Leute mehr in Lohn und Brot zu bringen und somit die Erwerbsbeteiligung zu steigern, wird unser Lebensstandard bis zum Jahr 2050 um ungefähr ein Sechstel sinken. Und noch etwas: Das Ganze ist keine Welle, die über uns schwappt und unter der man sich nur wegducken müsste, um das Problem auszustehen. Wenn man der prognostizierten Entwicklung in die Zukunft hinein folgt, schwächt sich der Abwärtstrend zwar etwas ab. Aber dann wird sich der Lebensstandard auf niedrigem Niveau stabilisieren. Ein plötzlicher Wiederaufschwung ist nicht zu erwarten.
Wie wirkt sich das prognostizierte Absinken des Lebensstandards auf die unterschiedlichen Einkommensgruppen aus?
Wir verfügen lediglich über eine Makro-prognose, auf deren Basis sich Aussagen über den Durchschnittsmenschen treffen lassen. Wie sich das auf die unterschiedlichen Einkommensgruppen aufteilt, ist schwer abzuschätzen. In den letzten Jahren ging die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auf. Im Moment allerdings scheint die Relation konstant zu sein. Die zukünftige Entwicklung ist völlig offen; es könnte in alle Richtungen gehen. Das Einzige, was wir mit Sicherheit sagen können, ist, dass sich die Situation von Migranten und von Alleinerziehenden praktisch nicht verbessert hat.
Auf welchem Weg gelangt man zu solchen Prognosen? Gibt es auch Vorhersagen, die ganz anders lauten?
Wir verwenden ein mathematisches Modell. Die Ergebnisse sind ziemlich robust: Es gibt keine Prognosen, die sagen, dass es bergauf gehen oder konstant bleiben würde, wenn sich die Rahmenbedingungen nicht ändern. Im Grunde ist es eine ganz einfache Rechnung: Man geht von einer Volkswirtschaft aus, die ungefähr so viele Menschen umfasst wie heute. Man weiß schließlich, dass von einer Schrumpfung der Bevölkerung keine Rede sein kann. Ganz im Gegenteil; im vergangenen Jahr sind wir wieder gewachsen. Aber Jahr für Jahr werden die Jahrgänge, die in die Schule kommen, dünner. Das sind die künftigen Erwerbstätigen. Auf diese Weise kann man ganz einfach ausrechnen: Wie viel leistet der einzelne Erwerbstätige im Augenblick? Wie viel fehlt uns, wenn die Zahl der Erwerbstätigen sinkt?
Wo muss Politik ansetzen, um die ökonomischen Auswirkungen der demografischen Entwicklung abzufedern?
Die große Stellschraube ist die Erwerbsbeteiligung. Im Alter von 24 arbeiten bei uns zum Beispiel erst relativ wenige. Wir haben auch nach wie vor eine niedrige Erwerbsbeteiligung von Frauen, weil viele in Teilzeit arbeiten. Deshalb bringen wir im Vergleich mit den skandinavischen Ländern oder mit der Schweiz weniger Produktivkraft in die Wirtschaft ein. Eine andere Stellschraube ist die Reform der Studienbedingungen, damit die Menschen früher in Brot und Verdienst kommen. Ebenso brauchen wir eine ausreichende Versorgung mit Kinderbetreuungsplätzen, damit Arbeit und Familie besser miteinander vereinbart werden können. Das alles sind Maßnahmen, um die Quantität der verfügbaren Produktivkraft zu erhöhen. Andere Ansatzpunkte betreffen die Qualität; wir müssen das Ausbildungsniveau verbessern. Wir wissen aus den PISA- und TIMSS-Studien, dass wir in Deutschland eine relativ schlechte Schulbildung haben. Wir kreieren systematisch einen regelrechten Bildungsnotstand insbesondere bei Menschen mit Migrationshintergrund. Unter diesen gibt es die höchste Arbeitslosigkeit, auch die Armut ist hier konzentriert. Darum müssen wir uns kümmern.
Wie kann Forschung helfen, diese Strategien umzusetzen?
Zwei Dinge: Zunächst müssen wir eine Bestandsaufnahme für die Themenfelder Bildung, Armut und Gesundheit erstellen. Hier sitzen wir immer noch viel zu vielen Vorurteilen auf. Ein Beispiel ist die oftmals geäußerte Befürchtung steigender Armut vor allem im Alter. Tatsächlich sind Alleinerziehende am meisten von Armut betroffen! Oder die Meinung, dass die Rente mit 67 praktisch unmöglich sei, weil die meisten Arbeitnehmer bereits mit 65 krank oder ausgelaugt sind. Falsch! Der Mehrheit geht es recht gut. Wir wissen außerdem, dass die Siebzigjährigen einen deutlich besseren Gesundheitszustand haben als vor zwanzig Jahren.
Woran liegt das?
Die Verbesserung hat nichts damit zu tun, dass die typischen Alterskrankheiten später auftreten. Die Biologie des Menschen ändert sich schließlich nur langsam. Die behindernden Auswirkungen der typischen Alterskrankheiten kommen allerdings erst später zum Tragen, weil die moderne Medizin und die Technik das Leben mit diesen Krankheiten deutlich leichter machen. Ein Beispiel: Behinderungen durch Herz-Kreislauf-Krankheiten sind wesentlich geringer als früher. Das liegt vor allem daran, dass heute jeder, der ein Problem mit Herzrhythmusstörungen hat, einen Schrittmacher bekommt. Selbst bei einem 85-Jährigen wechselt man im Bedarfsfall noch die Batterien aus. Früher hätte man sich das nicht getraut.
Auf welchem Wege kommt man zu belastbaren Aussagen zum Gesundheitszustand älterer Erwerbstätiger?
Man kann die Menschen nicht einfach fragen, für wie gesund sie sich selbst halten. Da jammern viele. Man muss es messen: Blut abnehmen und auf Stresshormone untersuchen, Blutzucker feststellen und schauen, wie viele Diabetes haben. Man muss die Studienteilnehmer laufen lassen und schauen, ob sie aus der Puste kommen.
Nur messen? Sie stellen keine Fragen?
Natürlich stellen wir auch Fragen; nach Geld zum Beispiel. Das alles machen wir hier am Institut: ein riesiges Datensammelprojekt, es heißt SHARE – Survey of Health, Ageing and Retirement in Europe. Damit lassen sich noch ganz andere Fragen angehen als die nach dem Gesundheitszustand der über Fünfzigjährigen. Wir untersuchen auch, wie Menschen auf Politikmaßnahmen reagieren. Wie schnell, wie stark zeichnen sich Reaktionen ab? Läuft manches vielleicht in eine ganze andere Richtung, als das von der Politik beabsichtigt war? Hier versuchen wir auch Kausalitäten zu identifizieren. Das ist verdammt schwierig, weil etliche Dinge gleichzeitig passieren und immer mehrere Ursachen für beobachtete Phänomene in Betracht kommen. Hier muss man schweres statistisches Geschütz auffahren und genau schauen, was sich in welcher Situation wie geändert hat. Die SHARE-Daten machen dies möglich, weil sie in zwanzig Ländern parallel erhoben werden, sodass man internationale Vergleiche anstellen kann.
Wie kann man aufgrund der Umfrageergebnisse Aussagen nicht nur über den Gesundheitszustand treffen, sondern auch über die Leistungsfähigkeit Älterer im Beruf?
Es gibt eine Menge Untersuchungen, die allein das Kognitionsvermögen zum Gegenstand haben. Die meisten Menschen brauchen irgendwann eine Brille oder ein Hörgerät. Auch die Reaktionsgeschwindigkeit lässt nach. Auf der anderen Seite erzielen Ältere bessere Leistungen als Jüngere, was Erfahrung, Menschenkenntnis oder den Umgang mit Ausnahmesituationen betrifft. Wir haben eine sehr interessante Studie mit Daimler zusammen durchgeführt. Vier Jahre lang haben wir in einem Lastwagenmontagewerk Arbeitsgruppen von zwölf bis sechzehn Leuten am Fließband beobachtet. Die Arbeit an den einzelnen Stationen ist dort stark standardisiert: Das Fließband läuft immer mit der gleichen Geschwindigkeit. Aber hin und wieder passieren Fehler. Daran kann man die Produktivität messen. Unsere Beobachtung ist: Die Älteren machen mehr kleine Fehler, den Jüngeren jedoch unterlaufen die katastrophalen Fehler. Das Werk kommen die katastrophalen Fehler teurer zu stehen!
Was klar zeigt, dass die Beschäftigung älterer Mitarbeiter Vorteile hat.
Es kommt auf die Mischung an. Arbeitsgruppen, die ausschließlich aus Älteren bestehen, sind in der Summe weniger produktiv als gemischte Teams! Das gilt übrigens nicht nur für die Lastwagenmontage. Wir führen derzeit auch eine Studie mit einem großen Versicherungsunternehmen durch, wobei wir ganz ähnliche Ergebnisse erzielen. Ein anderes Beispiel: Die Jüngeren erzeugen mehr Patente. Aber die Umsetzung von Patenten in verkäufliche Produkte – das machen eher die Älteren. Geld verdient man mit der Kombination aus beidem.
Lassen Sie uns nun über das Thema Rentenpolitik sprechen. Sie haben, gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern des MEA, im vergangenen Jahr eine umfangreiche Stellungnahme zu den Rentenreformplänen der Bundesregierung veröffentlicht …
Darf ich Sie ganz kurz ausbremsen? Zum Thema Renten predige ich seit zwanzig Jahren. Mein Name wird immer damit in Verbindung gebracht – in einem Ausmaß, das ich inzwischen nicht mehr leiden kann. Bei „alternder Gesellschaft“ denken alle sofort an alte Leute und kommen auf das Thema Rente und Rentenpolitik. Falscher Ansatz! Selbst im Jahr 2050 wird es noch mehr Menschen unter fünfzig geben als über fünfzig. Vor dem Hintergrund ist Rentenpolitik sekundär. Insbesondere die Grundsicherung für Menschen, deren Rente unter dem Existenzminimum liegt, ist primär eine Bildungsfrage. Man sieht jetzt bereits, im Alter von zwanzig Jahren, wer später einmal Grundsicherung erhalten wird. Das ist etwas, was mich deprimiert und regelrecht aufregen kann. Da tun wir nichts! Wir entlassen junge Menschen ohne Schulabschluss ins Leben und wundern uns dann, dass sie ewig arbeitslos sind, ihre Punkte für die Rente nicht zusammenkriegen und teilweise kriminell werden.
Dennoch haben Sie sich auch in die Diskussion um die Rentenreform eingemischt. Sie kritisieren insbesondere die Pläne zur Lebensleistungsrente. Warum?
Die Bedingungen im Gesetzesentwurf dazu sind so gestaltet, dass die Zuschüsse für diejenigen, die von Altersarmut betroffen sind, gar nicht erreichbar sind. Im Augenblick steht zur Debatte, dass man bereits vierzig Jahre in die Rentenkassen eingezahlt haben muss, um als Empfänger einer Zuschussrente infrage zu kommen. Diese Qualifikation weisen genau die Leute, die die Zuschussrente am dringendsten benötigen würden, gar nicht auf. Ein anderer Kritikpunkt: Eine Zuschussrente ist eine Umverteilung von Jung nach Alt, sie belastet die jungen Beitragszahler. Die sind aber ohnehin diejenigen, die unter der Bürde der demografischen Entwicklung am meisten leiden werden.
Wie schätzen Sie den Einfluss von wissenschaftlicher Politikberatung ein?
Man kann Glück haben und einen Rieseneinfluss haben. Oder man kann sich den Mund fusselig reden, und es passiert gar nichts. Jeder weiß zum Beispiel, dass alle Experten gegen die Garantierenten sind. Dennoch lässt sich diese Idee nicht mehr aus dem Politikprozess hinauskatapultieren. Oder die Rente mit 67: Zuerst war dieser Vorschlag in der Rürup-Kommission gescheitert. Aber Herr Müntefering hat eingesehen, dass es nicht anders geht: Er hat seine Macht als Minister ausgenutzt und die Rente mit 67 durchgesetzt. Ein anderes Beispiel: Der Nachhaltigkeitsfaktor in der Rentenanpassungsformel, den ich vor einigen Jahren vorgeschlagen hatte – der wurde eins zu eins umgesetzt.
Was ist das: der Nachhaltigkeitsfaktor?
Die Grundidee dahinter ist: Wenn weniger Leistungserbringer im ganzen System sind, dann müssen auf der einen Seite die Renten abgesenkt und auf der anderen Seite die Beiträge zur Sozialversicherung erhöht werden – beides in einem Maße, dass die junge und die ältere Generation gleichmäßig belastet werden. Dafür steht der Nachhaltigkeitsfaktor.
Was sind die Kriterien, nach denen Politikmaßnahmen, die auf den demografischen Wandel reagieren, bewertet werden sollten? Spielt beispielsweise auch Fairness eine Rolle?
Ein Ökonom tut sich schwer mit so einem emotionsgeladenen Begriff wie fairer Verteilung. Man kann es als unfair ansehen, wenn jemand viel schuftet und das Gleiche bekommt wie jemand, der wenig schuftet. Man kann es aber auch als unfair ansehen, dass der eine sehr viel verdient und der andere sehr wenig. Dazwischen ist aber ein Widerspruch: Man kann nicht beide Formen von Unfairness mit einem Schlag aus der Welt schaffen. In dieser Situation kann ein Ökonom als Wissenschaftler nichts sagen.
Letzte Frage: Was hat sich für das MEA dadurch verändert, dass das Institut in die Max-Planck-Gesellschaft eingegliedert wurde?
Anders als sonst bei Max-Planck-Einrichtungen üblich, haben wir ja kein neues Institut aufgebaut. Ich hatte das MEA 2001 in Mannheim gegründet und bin damit 2011 nach München umgezogen. Natürlich freuen wir uns, durch die Eingliederung in das Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik eine langfristige Grundlage für unsere Forschungsarbeit erhalten zu haben. Vor allem aber haben wir seitdem eine interdisziplinär breite Peer Group von Max-Planck-Direktoren und jüngeren Forschern, mit denen wir uns wissenschaftlich austauschen. Wir arbeiten eng mit den Max-Planck-Instituten für demografische Forschung, für Bildungsforschung und für Gesellschaftsforschung zusammen. Das ist für uns ein großer Gewinn.
Simulationen: MEA-Pensim
MEA-PENSIM ist ein am Institut entwickeltes Simulationssystem, mit dem untersucht werden kann, wie sich ökonomische und demografische Faktoren in gegenseitiger Abhängigkeit verändern.
Eine Fragestellung, die Wissenschaftler verfolgen, ist: Welche langfristigen Folgen hätte es, wenn man die Selbstständigen in die gesetzliche Rentenversicherung einbeziehen würde? Als Reformvorschlag ist das deshalb in der Diskussion, weil man vermutet, dass aktuell ein großer Anteil von nicht sozial abgesicherten Selbstständigen nur ein geringes Einkommen erzielt und keine ausreichende Altersvorsorge betreibt. Im Alter wird diese Gruppe auf die Hilfe des Staates angewiesen sein. Die Ergebnisse der Simulationsstudien zeigen: Die Einbeziehung der Selbstständigen führt kurz- und mittelfristig zu Beitragssenkungen in der Rentenversicherung, weil der neue Personenkreis Beiträge zahlt, zunächst jedoch kaum Leistungen beansprucht. Entlastet werden damit die mittleren Generationen der 1960er- bis 1980er-Jahre, die von den Reformen der in den frühen 2000er-Jahren beschlossenen Senkung des Rentenniveaus perspektivisch besonders betroffen sind. Im Endeffekt führt diese Entlastung also zu einer stärkeren Gleichbehandlung der Generationen. Auf lange Sicht (bis 2060) erreicht der Beitragssatz jedoch in allen untersuchten Szenarien das gleiche Niveau wie ohne die Selbstständigen. Unterstellt man, dass diese wegen ihres sozialen Milieus eine höhere Lebenserwartung haben, ist der Beitragssatz sogar geringfügig höher.
Individuelles Verhalten: SAVE
Im Rahmen der SAVE-Studie untersuchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des MEA, wie Menschen in Deutschland sparen und Zukunftsvorsorge betreiben. SAVE ist als Längsschnittstudie angelegt, jedes Jahr werden dieselben Haushalte wieder befragt. Die Daten geben Aufschluss darüber, wie Bürger auf Politikmaßnahmen reagieren. Ein wichtiges Thema ist dabei die staatliche Förderung von Riester-Rentenversicherungsverträgen. Die Untersuchungen zeigen: Menschen mit weniger Einkommen und geringerem Bildungsniveau schließen seltener Verträge ab als besser gebildete Menschen, obwohl es für sie aufgrund der Förderbedingungen besonders sinnvoll wäre.
Außerdem hat man herausgefunden: Rein finanzielle Anreize reichen oftmals nicht aus, um die nötige Handlungsbereitschaft zu erzeugen. „Wir haben die Leute gefragt: Sind Sie Riester-förderberechtigt? Und: Sind Sie sozialversicherungspflichtig beschäftigt? Ist es Ihr Partner? Viele haben geantwortet: Ich bin sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Gleichzeitig haben sie angegeben: Ich bin nicht förderberechtigt. Ein klarer Widerspruch“, berichtet Michela Coppola, Fachbereichsleiterin am MEA. Abgefragt wurde weiterhin, warum kein Riester-Vertrag abgeschlossen wurde. Ein Großteil der Befragten antwortete: Kein Geld übrig. In der Analyse stellte sich jedoch heraus, dass die Häufigkeit dieser Antwort relativ unabhängig ist von den tatsächlichen Einkommensverhältnissen. Coppola: „Das deutet darauf hin, dass Vorsorge als Sparmotiv in den Köpfen noch nicht angekommen ist.“
Wissen wollte man ferner, ob die Studienteilnehmer glauben, im Alter Grundsicherung zu beziehen – womit sich die private Altersvorsorge womöglich erübrigen würde, weil diese auf den Grundsicherungsbetrag, der vergleichbar mit Hartz IV ist, angerechnet wird. Die Umfrageergebnisse deuten darauf hin, dass die Wahrscheinlichkeit, im Alter Grundsicherung zu beziehen, vor allem in den unteren Einkommensklassen häufig überschätzt wird.
Umfrageergebnisse aus SAVE erlauben es darüber hinaus, auch die Erfolge der bisherigen Riester-Politik genauer einzuschätzen. Allgemeine Statistiken geben lediglich Aufschluss über die Anzahl neu abgeschlossener Versicherungsverträge. Erst der Blick auf die Individualebenen jedoch zeigt, inwiefern dabei auch nicht staatlich geförderte Lebensversicherungen durch geförderte Riester-Verträge ersetzt worden sind. Die Bilanz gibt hier eher Anlass zur Skepsis. Gerade in einem ohnehin sparfreudigen Land wie Deutschland, zeigen Wissenschaftler auf der Grundlage von SAVE-Daten, sind zusätzliche Anreize zur privaten Rentenvorsorge durch die Riester-Förderung äußerst gering. Die Steuergelder wären deshalb vermutlich anderweitig besser investiert.
Internationaler Vergleich: Survey of Health, Ageing and Retirement in Europe (SHARE)
Wie altern die Menschen in den Ländern der Europäischen Union? Diese Frage zu beantworten, um die Chancen des demografischen Wandels gezielt zu nutzen, ist Ziel des am MEA koordinierten internationalen Umfrageprojektes SHARE.
Die erste repräsentative Befragung der Bevölkerung im Alter 50+ zur wirtschaftlichen, gesundheitlichen und sozialen Lage wurde 2004 in elf Ländern durchgeführt. Da die etwa 90 000 Studienteilnehmer aus mittlerweile zwanzig Ländern alle zwei Jahre wieder befragt werden und ihre Lebensgeschichten berichten, können Wissenschaftler untersuchen, wie einschneidende Ereignisse im Lebensverlauf, etwa Renteneintritt oder Verwitwung, bewältigt werden oder wie sich Änderungen der institutionellen Rahmenbedingungen (z.B. im Gesundheits- oder Rentensystem) auf die Lebensqualität älterer Europäer auswirken. Zusätzlich werden Messungen zu Greifkraft, Lungenvolumen oder Schrittgeschwindigkeit durchgeführt, die es erlauben, Gesundheitsindikatoren über Länder hinweg zu vergleichen.
Die Daten werden weltweit mittlerweile von über 3000 Wissenschaftlern unterschiedlicher Disziplinen genutzt. Zahlreiche Artikel in Fachzeitschriften dokumentieren die intensive Analyse der Daten, die eine wissenschaftlich fundierte Entscheidungsfindung in der nationalen und europäischen Politik unterstützen.
Ralf Grötker