Fremdgesteuerte Zebrafische
Mit Licht steuern Forscher den Schwanzschlag von Zebrafischlarven
Großes Bewegungstalent besitzt eine wenige Tage alte Zebrafischlarve noch nicht – kurze, heftige Schwanzschläge, viel mehr ist in diesem Alter nicht drin. Herwig Baier vom Max-Planck-Institut für Neurobiologie in Martinsried bei München reicht das aber schon. Ein einfaches und vor allem durchsichtiges Gehirn ist für ihn viel wichtiger, schließlich will er einzelne Nervenzellen mit Licht an- und ausschalten und so herausfinden, wie das Gehirn Bewegungen und Verhalten steuert.
Text: Harald Rösch
Damit der kleine Zebrafisch mit dem Schwanz schlägt, muss Herwig Baier nur einen Laser anschalten. Eine wenige tausendstel Millimeter dicke Glasfaser leitet dann das Laserlicht zur Larve. Damit diese nicht wegschwimmen kann, ist sie bis auf den Schwanz in Gel-artigen Agar eingebettet. Der Winzling reagiert auf Knopfdruck: Licht an – Bewegung; Licht aus – Pause.
Baier kann dem Tier mit den Lichtblitzen vorgeben, was es tun soll. Die Optogenetik macht’s möglich: Das Gen für lichtempfindliche Kanalproteine, das ursprünglich aus der einzelligen Alge Chlamydomonas reinhardtii stammt, wird so ins Erbgut der Fische eingefügt, dass es in bestimmten Nervenzellen aktiv ist. Die Channelrhodopsine genannten Proteine wurden vor etwas mehr als zehn Jahren von Ernst Bamberg, Peter Hegemann und Georg Nagel beschrieben. Sie lassen Ionen ins Zellinnere strömen und steuern nun nicht mehr die Algenzelle, sondern die Nervenzellen im Fischgehirn. Auf diese Weise will Herwig Baier die Netzwerke entschlüsseln, die für das Verhalten der Zebrafische wichtig sind.
Dass die Larven überhaupt ein Gehirn haben, mag angesichts der nur ein paar Millimeter kleinen Fischchen schon eine Überraschung sein. Erst recht, dass man von ihnen etwas über das menschliche Gehirn lernen kann. Warum also untersuchen Baier und seine Forscherkollegen ausgerechnet das Nervensystem von Fischlarven?
Zunächst einmal, weil es zum Einfachsten gehört, was die Wirbeltiere zu bieten haben: Es besteht aus etwa hunderttausend Nervenzellen, das menschliche Gehirn dagegen aus hundert Milliarden. Trotzdem sind die grundlegenden Architekturen vergleichbar, das Fischhirn besteht nur aus weniger Komponenten. Zudem sind die Larve und ihr Gehirn lichtdurchlässig – für den Wissenschaftler, der Lichtreize für seine Forschung einsetzt, ein unschlagbares Argument.
Pioniere der Optogenetik
Als Baier erstmals mit den Channelrhodopsinen experimentierte, forschte er in San Francisco an der Universität von Kalifornien. Die Optogenetik steckte damals noch in den Kinderschuhen. Karl Deisseroth und Ed Boyden an der Universität Stanford hatten im Jahr 2005 als Erste die Channelrhodopsin-Proteine aus der Alge auf Nervenzellen in Zellkultur übertragen und so deren Aktivität gesteuert. Baier erkannte sofort das enorme Potenzial der neuen Methode. Von Deisseroth und Boyden erhielt er die begehrten Rhodopsine und begann, mit ihnen das Fischgehirn zu erforschen.
Seinen ersten Erfolg mit der Optogenetik erzielte er mit seinen damaligen Kollegen in Berkeley und San Francisco aber zunächst mit einem anderen lichtempfindlichen Molekül, einem lichtgesteuerten Glutamatrezeptor. Glutamatrezeptoren sitzen an den Synapsen und reagieren auf den gleichnamigen Neurotransmitter. Dies ist eine der Möglichkeiten, wie Nervensignale von einer Zelle zur nächsten wandern. Der 2006 von Ehud Isacoff, Dirk Trauner und anderen entwickelte Ionenkanal wird allerdings nicht von Glutamat, sondern durch Licht aktiviert. Er ist mit einem kleinen, lichtempfindlichen Molekül versehen, das seine räumliche Struktur ändert und dadurch in die Bindungstasche des Rezeptors rutscht. Durch die nun geöffnete Kanalpore strömen Ionen ein und lösen ein elektrisches Signal in der Nervenzelle aus.
Doch das allein reichte nicht aus. Denn damit die Forscher gezielt einzelne Nervenzellen an- und ausschalten können, dürfen die lichtempfindlichen Proteine nur in diesen Zellen vorkommen. Hier halfen Baier und seinen Kollegen moderne molekularbiologische Methoden, die es ermöglichen, Fische genetisch zu verändern. Damit konnten die Forscher neue Gene so im Erbgut platzieren, dass sie ausschließlich in einem bestimmten Gewebe oder Zelltyp aktiv werden – doch in welchem, das wissen die Wissenschaftler vorher nicht.
Deshalb müssen sie aus einer Fülle unterschiedlicher genetischer Linien die Fische identifizieren, in denen die Kanäle in Nervenzellen gebildet werden, die für das zu untersuchende Verhalten wichtig sind. Auf diese Weise stießen die Forscher auf einen Zelltyp, dessen Aktivität Schwimmbewegungen auslösen kann: „Jedes Mal, wenn der Laserstrahl diese Zellen im Rückenmark aktivierte, begannen die Larven wie beim gewöhnlichen Schwimmen mit dem Schwanz zu schlagen“, sagt Baier.
Kolmer-Agduhr-Zellen als Auslöser der Bewegung
Die weitere Analyse ergab, dass er und seine Kollegen auf alte Bekannte gestoßen waren: sogenannte Kolmer-Agduhr-Zellen. Anstelle von Dendriten – die Empfangsorgane der meisten Nervenzellen – besitzen sie ein Büschel kleiner, fingerartiger Fortsätze, die in den zentralen Kanal mit der Rückenmarksflüssigkeit ragen. Vermutlich messen diese „Fühler“ dort chemische oder mechanische Veränderungen und leiten diese dann an die Nervenschaltkreise im Rückenmark weiter. Nervenzellen, die mit der Rückenmarksflüssigkeit in Kontakt stehen, wurden vor fast 80 Jahren zum ersten Mal beobachtet und sind seither in allen Wirbeltieren einschließlich des Menschen entdeckt worden. Ihre Funktion blieb jedoch all die Jahre rätselhaft.
Nun war klar: Die Kolmer-Agduhr-Zellen sind zumindest in Fischen am Auslösen von Bewegungen beteiligt. Mit ihrem hemmenden Botenstoff Gamma-Aminobuttersäure, kurz GABA, beeinflussen sie andere Nervenzellen, die mit Muskeln in Kontakt stehen und den Schwanzschlag regeln.
Selbst bei einem so einfachen Organismus wie der Zebrafischlarve ist Schwimmen aber nicht gleich Schwimmen. Die Tiere beherrschen schon unterschiedliche Verhaltensweisen wie Orientierungs-, Annäherungs- und Fluchtverhalten. Die Kolmer-Agduhr-Zellen scheinen allerdings nur am Vorwärtsschwimmen beteiligt zu sein. Fluchtbewegungen beispielsweise sind ohne die Zellen möglich, obwohl das Tier auch dafür mit dem Schwanz schlägt. Dafür gibt es einen anderen Typ von Nervenzellen im Rückenmark: sogenannte Rohon-Beard-Zellen. Werden diese Zellen mit lichtempfindlichen Ionenkanälen ausgestattet, dann löst ein Lichtimpuls eine C-förmige Krümmung des Körpers wie bei einem Fluchtversuch aus.
Und noch etwas fiel den Wissenschaftlern auf: Die Larven brauchen zum Schwimmen kein Gehirn! Selbst wenn die Verbindung zwischen Gehirn und Rückenmark unterbrochen ist, können die Kolmer-Agduhr-Zellen die Tiere noch mit dem Schwanz schlagen lassen. Die Nervenzellen im Rückenmark sind offenbar so miteinander verschaltet, dass sie allein die Muskulatur entsprechend steuern können.
Das Rückenmark ist also nicht nur ein Verbindungskabel zu den Muskeln, es agiert auch wie eine Art Schaltzentrale mit eigenen Netzwerken. Manche davon bilden sogenannte zentrale Mustergeneratoren. Das sind Gruppen von Nervenzellen, die so miteinander verschaltet sind, dass sie in bestimmten Rhythmen aktiv sind. Einmal angestoßen – beispielsweise durch Nervenzellen wie Kolmer-Agduhr-Zellen –, erzeugen sie ein rhythmisches Aktivitätsmuster, mit dem sie Bewegungsabläufe steuern.
Schaltkreise für automatisierte Bewegungen
Solche Mustergeneratoren lenken Bewegungsvorgänge im gesamten Tierreich: Insekten koordinieren damit die Bewegungen ihrer sechs Beine, Fische ihren Schwanzschlag und der Mensch seine Beine. Diesen Schaltkreisen ist es zu verdanken, dass wir nicht über jeden Schritt nachdenken müssen, wenn wir ein Bein vor das andere setzen. Stattdessen muss das Gehirn nur noch gelegentlich eingreifen, beispielsweise wenn es die Bewegung starten, verändern oder stoppen möchte. Der Vorteil dieses Prinzips: Die komplexen Signale zur Bewegungssteuerung werden ins Rückenmark ausgelagert, das Gehirn spart Platz und Energie.
Dank der Optogenetik konnten Baier und seine Kollegen also die Rolle einzelner Nervenzelltypen im Rückenmark aufdecken. Seitdem hat sich die Technik weiterentwickelt. Anstelle des lichtempfindlichen Glutamatrezeptors setzt Baier heute fast ausschließlich auf die Channelrhodopsine von Chlamydomonas. Außerdem ist in der Zwischenzeit ein weiterer lichtgesteuerter Ionenkanal hinzugekommen: das Halorhodopsin aus dem Bakterium Natronomonas pharaonis, mit dem sich Nervenzellen nicht an-, sondern ausschalten lassen. Auch für diese Proteine existieren heute zahllose genetisch veränderte Zebrafischlinien, die sie in allen möglichen Zelltypen produzieren.
Ausgestattet mit diesem Instrumentarium hat sich Baier den Bewegungsschaltkreisen des Gehirns zugewandt. Unter den Neurobiologen herrscht seit Langem Uneinigkeit darüber, ob komplexe Verhaltensweisen auf dezentral oder modular organisierten Netzwerken im Gehirn beruhen. Bei einer dezentralen Architektur entsteht Verhalten aus der Aktivität weit verteilter Schaltkreise mit vielen Nervenzellen in unterschiedlichen Gehirngebieten. Die beteiligten Zellen haben dabei keine spezifische Funktion. Oft tragen sie in unterschiedlichen Kombinationen zu verschiedenen Bewegungsmustern bei.
Modular aufgebaute Schaltkreise dagegen setzen sich aus kleineren Untereinheiten zusammen. Verschiedene Gruppen von Nervenzellen steuern jeweils unterschiedliche Aspekte des Verhaltens. Die Zellen besitzen innerhalb der Module eine bestimmte Aufgabe. Komplizierte Verhaltensweisen erwachsen demnach aus dem Zusammenspiel mehrerer, vergleichsweise einfach aufgebauter Schaltkreise.
Tatsächlich scheinen die Netzwerke für das Fischverhalten modular aufgebaut zu sein: Baier und seine Kollegen haben nachgewiesen, dass Nervenzellen im Zebrafischgehirn während des Schwimmens jeweils verschiedene Aspekte steuern. „Das funktioniert ähnlich wie bei einem Boot: Ein Netzwerk produziert die Signale zum Schwimmen – das ist der Motor. Ein anderes lenkt – die Ruderpinne. Und sogar ein Getriebe gibt es“, erklärt Baier.
Motor und Pinne im Fischgehirn
Zunächst hat Baier den Motor entdeckt: Nervenzellen in der sogenannten Retikulärformation in der Nähe des Rückenmarks geben den Befehl zum Losschwimmen. „Wenn wir diese Zellen mit Channelrhodopsin aktivieren, beginnen die Larven mit ihrem Schwanz zu schlagen. Hemmen wir sie mit Halorhodopsin, hören sie auf. Im Gehirn sind diese Nervenzellen die einzigen, die aktiv sein müssen, damit die Larve schwimmen kann“, so Baier.
Vor Kurzem haben Baier und seine Mitarbeiter – seit 2011 am Max-Planck-Institut in Martinsried – auch das Steuerruder aufgespürt: in der Retikulärformation des Fischgehirns, genauer gesagt: in einer nMLF genannten Ansammlung von Nervenzellen. Bei dieser Entdeckung offenbarte sich das gewaltige Potenzial der Optogenetik. Denn misst man in klassischer Manier nur die Aktivität dieser Zellen, so zeigt sich, dass sie bei allen möglichen Schwimmbewegungen aktiv sind. Auf den ersten Blick erscheinen sie damit als Teil eines unspezialisierten dezentralen Netzwerkes, das der Schwanzbewegung in all ihren Varianten zugrunde liegt.
Erst das gezielte Anschalten der nMLF-Zellen enthüllt, dass dem nicht so ist. Werden die Zellen auf der linken Gehirnseite aktiviert, biegt sich der Schwanz ebenfalls nach links. Werden die rechten nMLF-Zellen angeschaltet, weist auch der Schwanz nach rechts. Im Experiment wirkt das, als ob der Schwanz dem Lichtstrahl folgt, wenn der Laser vom linken zum rechten nMLF wandert. „Mit der Biegung des Schwanzes kontrolliert der Fisch die Schwimmrichtung. Die nMLF-Zellen sind folglich weniger für das Schwimmen als solches zuständig als vielmehr für die Steuerung“, sagt Baier. Das zeigt sich auch, wenn die Wissenschaftler gezielt einzelne Zellen auf einer Gehirnseite ausschalten. Die Larven können dann zwar noch verschiedenste Bewegungen ausführen, zum Beispiel mit dem Schwanz schlagen, aber nicht mehr geradeaus schwimmen: Der in eine Richtung abgelenkte Schwanz lässt die Fische sich im Kreis drehen.
Ruben Portugues, ein Gruppenleiter an Baiers Max-Planck-Institut, und seine Kollegen haben darüber hinaus in der Retikulärformation auch das Getriebe für den Schwanzschlag identifiziert. Einzelne nMLF-Zellen regulieren die Geschwindigkeit, indem sie die Schlagdauer des Schwanzes kontrollieren. Andere steuern die Schlagfrequenz. Auf diese Weise kann das Tier einen Gang höher oder tiefer schalten und schneller oder langsamer schwimmen.
Die Nervenzellen im Fischgehirn haben beim Schwimmen also unterschiedliche Aufgaben. Je nachdem, ob die Larve beispielsweise auf Nahrungssuche umherschwimmt oder vor einem Fressfeind Reißaus nimmt, kann sie verschiedene Netzwerke miteinander kombinieren und das für die jeweilige Situation optimale Verhalten hervorbringen.
Das Schwimmen ist damit ein Beispiel für ein Verhalten, das auf einem modular aufgebauten Netzwerk beruht. Die einzelnen Module können dabei relativ klein sein: „Für die Positionierung des Fischschwanzes reichen wahrscheinlich ein paar Dutzend Nervenzellen im Gehirn aus“, sagt Baier. Im Fall eines Gangwechsels beim Schwimmen sind es sogar nicht mal eine Handvoll: Nur vier nMLF-Zellen sind dafür erforderlich.
Große Netzwerke fürs Gedächtnis
Andere Gehirnfunktionen nutzen dagegen möglicherweise dezentrale Netzwerke. Von der Meeresschnecke Aplysia californica weiß man, dass weiträumige Netzwerke aktiv sind, wenn sie ihre Kiemen zurückzieht. Auch im menschlichen Gehirn gespeicherte Gedächtnisinhalte beruhen offenbar auf großen Netzwerken. Entscheidend ist in diesen Fällen der jeweilige Aktivitätszustand des Netzwerks, die einzelne Zelle ist vermutlich vernachlässigbar. Sicher weiß man das allerdings noch nicht.
Welches Verhalten dezentrale und welches modulare Netzwerke nutzt, ist noch nicht ganz klar. Eine Rolle könnten die spezifischen Anforderungen an das Gehirn spielen: Gedächtnisinhalte beispielsweise müssen vermutlich dezentral gespeichert werden, denn sie können aus gelernten Bewegungen oder Erinnerungen bestehen. Außerdem werden sie vor, während oder nach einem Verhalten gebildet und abgerufen. Auch kann Gelerntes ganz verschiedene Verhaltensmuster beeinflussen. Verteilte Netzwerke, in denen einzelne Zellen keine spezielle Funktion haben und Teil mehrerer Schaltkreise sein können, sind dafür wahrscheinlich besser geeignet. Verhaltensweisen mit einer überschaubaren Anzahl an Varianten wie Gehen, Rennen, Springen, Drehen etc. unterscheiden sich davon fundamental. Hier reicht eine modulare Organisation vermutlich aus.
Baier und seine Kollegen interessieren sich darüber hinaus noch für einen weiteren Aspekt: wie nämlich Informationen aus den Sinnesorganen in Verhalten einfließen und es beeinflussen. Fällt zum Beispiel ein Schatten auf das Auge der Zebrafischlarve, löst das ihr Fluchtprogramm aus. Sensomotorische Transformation nennen die Fachleute diesen Vorgang. Beim Fisch und anderen Wirbeltieren findet sie unter anderem im sogenannten Tectum statt, einer Region des Mittelhirns. Hier werden Informationen aus den Sinnesorganen aufbereitet und an das Bewegungssystem weitergegeben.
Thomas Helmbrecht, Doktorand in Baiers Abteilung, hat entdeckt, dass er Fluchtbewegungen hervorrufen kann, wenn er Zellen im hinteren Bereich des Tectums optogenetisch aktiviert. Die Erklärung liegt in der Architektur dieses Areals. Das Tectum enthält nämlich eine Karte des gesamten Gesichtsfeldes. „Nervenzellen aus dem Auge, die beispielsweise Reize aus dem hinteren Gesichtsfeld der Larve verarbeiten, sind auch mit dem hinteren Tectum verknüpft. Ein Objekt, das sich von hinten nähert, stellt eine potenzielle Gefahr dar. Dies könnte erklären, weshalb dort überwiegend eine Fluchtreaktion ausgelöst wird‘‘, sagt Helmbrecht.
Baier ist davon überzeugt, dass viele Befunde aus dem Gehirn und dem Rückenmark der Fische verallgemeinert werden können: „Die Evolution verändert bei der Entwicklung des Nervensystems in erster Linie Bestehendes. Was sich bewährt, wird erhalten oder ausgebaut. Da sich der Gang der Landwirbeltiere aus den Rumpf- und Flossenbewegungen der Fische entwickelt hat, sind wahrscheinlich auch die zugrunde liegenden Schaltkreise nach denselben Prinzipien aufgebaut.“
Von den lichtempfindlichen Proteinen einer nur Botanikern bekannten Alge über das Nervensystem von Fischlarven zum menschlichen Gehirn – die Pfade, auf denen die Wissenschaft zu neuen Erkenntnissen gelangt, sind oft verschlungen und nicht vorherzusagen. Die Erfolgsgeschichte der Optogenetik ist dafür geradezu ein Paradebeispiel.
Auf den Punkt gebracht
Das Schwimmverhalten von Fischen beruht auf Nervenzell-Netzwerken in Gehirn und Rückenmark, die aus kleinen, lokalen Modulen zusammengesetzt sind. Je nach Anforderung können verschiedene Module miteinander kombiniert werden.
Jede Nervenzelle besitzt dabei eine individuelle Aufgabe. Schon das An- oder Aus- schalten weniger Zellen kann das gesamte Verhalten verändern.
Glossar
Sensomotorische Transformation:
Bewegungen laufen nur selten völlig unabhängig von äußeren Einflüssen ab. Oft werden sie von Umweltreizen ausgelöst, die über die Sinnesorgane wahrgenommen werden. Gleichzeitig müssen sensorische Organe Abweichungen von einer gewünschten Bewegung feststellen, damit das Bewegungssystem sie durch entsprechende Signale korrigieren kann. Sensorische und motorische Netzwerke sind deshalb eng miteinander gekoppelt und tauschen Informationen aus.
Zentrale Mustergeneratoren:
Netzwerke aus Nervenzellen, die selbstständig rhythmisch aktiv sind. Bereits drei Nervenzellen, von denen zwei sich gegenseitig aktivieren und die dritte die anderen beiden ab einer bestimmten Aktivitätsschwelle hemmt, können ein solches rhythmisch aktives Netzwerk bilden. Mustergeneratoren kommen bei Wirbellosen und bei Wirbeltieren vor und steuern unwillkürliche standardisierte Bewegungen wie den Flügelschlag der Insekten oder den menschlichen Gang. Beim Gehen werden die Mustergeneratoren im Rückenmark für die beiden Beine so miteinander gekoppelt, dass unterschiedliche Gangarten (Gehen, Traben oder Rennen) entstehen.