Vom Tierversuch zur Impfung
Die Geflügelpest wurde im 19. und 20. Jahrhundert zu einer gefürchteten Tierseuche. In den 1950er bis 70er Jahren machte sich dann Werner Schäfer am Kaiser Wilhelm-Institut für Biochemie in Tübingen daran, den Erreger dieser und anderer Infektionskrankheiten bei Tieren zu untersuchen. Für manche Analysen waren Tierversuche nicht erforderlich, so ließen sich die für die Krankheit verantwortlichen Viren in Hühnereiern oder Zellkulturen vermehren und daraus isolieren. Bei anderen konnte er jedoch auf Tierversuche nicht verzichten. So ließ sich die immunisierende Wirkung einzelner Virusproteine auf den Körper nur im lebenden Organismus untersuchen. Von diesen Experimenten mit Hühnern, Mäusen und Katzen profitieren heute Millionen von Haus- und Nutztieren.
Krampfhaftes Luftschnappen, blau anlaufende Kämme und Kehllappen, völlige Apathie, hohes Fieber – für Nutz- und Wildvögel ist die Geflügelpest nicht nur mit großen Qualen verbunden, für die meisten Tiere endet eine Infektion tödlich. Die Krankheit war 1878 erstmals in Italien dokumentiert worden, seitdem mussten bei weiteren Ausbrüchen weltweit Millionen Hühner, Puten, Gänse und Enten getötet werden.
1948 begann Schäfer am damaligen Kaiser Wilhelm-Institut für Biochemie, aus dem später das Max-Planck-Institut für Virusforschung hervorging, die Hintergründe dieser schrecklichen Tierseuche zu entschlüsseln. Damals konnten Wissenschaftler nur ganz wenige Virusarten in reiner Form gewinnen und sichtbar machen. Trotzdem schaffte es der erst kurz zuvor aus dem Krieg zurückgekehrte Tiermediziner, das Virus zu isolieren und mit einem Elektronenmikroskop Bilder davon zu machen.
Grippe-Erreger als Ursache
Schäfer entdeckte auf diese Weise, dass der Erreger der Geflügelpest eng mit Grippe-A-Viren verwandt ist. Daher wird die Erkrankung heute auch meist als Vogelgrippe bezeichnet. Er erkannte als einer der ersten, dass die Grippeviren der Vögel ein Reservoir darstellen, aus dem heraus immer wieder Virustypen hervorgehen können, die auch anderen Tierarten gefährlich werden können – inklusive dem Menschen. So forderten Vogelgrippeausbrüche beim Menschen im vergangenen Jahrzehnt hunderte Tote.
Anhand seiner Untersuchungen konnte Schäfer ein Modell vom Aufbau des Geflügelpestvirus erstellen. Demnach ist das Erbgut des Virus von einer Hülle aus Fettmolekülen umgeben, aus der ein Protein wie Stacheln herausragt, das sogenannte Hämagglutinin. Das Virus benötigt dieses Zuckerprotein, damit es in Zellen seines Wirts eindringen kann. Das Hämagglutinin ist aber auch für die Abwehrreaktion des Vogelkörpers entscheidend: Das Immunsystem bildet Antikörper gegen das Hämagglutinin, die dafür sorgen, dass das Virus unschädlich gemacht wird.
Vom Hühnerei zum Versuchstier
Die Viren lassen sich relativ einfach in Hühnereiern vermehren. Für seine Untersuchungen, auf welche Bestandteile des Virus der Körper reagiert, musste Schäfer jedoch mit lebenden Versuchstieren arbeiten: Er entdeckte, dass er Hühner und Mäuse vor einer Infektion mit den Viren schützen konnte, wenn er ihnen das aus den Viren isolierte Hämagglutinin spritzte. So konnte er beispielsweise erreichen, dass von 31 geimpften Mäusen nur zwölf starben, während von 31 ungeimpften Tieren 30 dem Virus erlagen.
Schäfer folgerte daraus, dass Impfstoffe auch wirksam sein können, wenn sie nur ein einzelnes Virusprotein enthalten. Dadurch könnte man auf Impfungen mit inaktivierten oder abgeschwächten Viruspartikeln verzichten und das Risiko von zu starken Immunreaktionen verringern. Er hat damit ein wichtiges Prinzip entscheidend vorangebracht, das heute auch vielen Impfungen zum Schutz vor Krankheitserregern beim Menschen zugrunde liegt.
Viren, die Krebs auslösen können
Ein weiteres Forschungsfeld von Werner Schäfer waren Viren, deren Erbgut nicht als DNA, sondern ebenfalls als RNA-Molekül vorliegt und die bei Vögeln und Säugetieren Krebs auslösen können. Der bekannteste dieser sogenannten Oncornaviren – heute auch als Retroviren bezeichnet – ist der Aidserreger HIV. Lange vor der Entdeckung des ersten Retrovirus des Menschen vermutete Schäfer, dass solche Viren auch den Menschen befallen können. Die von ihm entwickelten Methoden und die gewonnen Erkenntnisse bildeten später eine Grundlage für die Erforschung von HIV.
Schäfer analysierte den Aufbau der Virus-Partikel und isolierte mehrere Proteine aus deren Hülle. Er fand heraus, dass er manche Oberflächenproteine leicht von ihrer Verankerung in der Virushülle und der Wirtszelle lösen konnte – eine Entdeckung, die wie man heute weiß auf alle Retroviren zutrifft. Andere Forscher nutzten dieses Wissen und entwickelten den ersten Impfstoff gegen Katzenleukämie. Diese noch immer unheilbare, auch Katzenleukose genannte Erkrankung zählt zu den häufigsten infektiösen Todesursachen bei Katzen. Auch für die Ausrottung der Rinderleukämie innerhalb der EU schuf Schäfers Forschung so die Grundlage.
Immunisierung gegen Tumore bei Katzen
Für die Vermehrung der Viren konnte Schäfer wieder auf Zellkulturen zurückgreifen. Er wollte aber auch mehr über die immunisierende Wirkung der von ihm entdeckten Virusproteine wissen. Dazu isolierte er zunächst das sogenannte gp71-Protein aus dem Katzenleukämievirus und injizierte es gesunden Katzen. Mit dem aus ihrem Blut gewonnen Serum konnte Schäfer dann krebskranke Katzen mit Leukämien und sogar festen Tumoren behandeln. Selbst Katzen mit Tumoren von Orangengröße wurden innerhalb von sechs Wochen gesund. Die vom Körper gebildeten Antikörper wirken dabei über Artgrenzen hinweg, so dass beispielsweise ein Antiserum gegen gp71 von einem Mäusevirus für verschiedene Tierarten benutzt werden kann.
Ohne Tierversuche geht es nicht
Wie die Erforschung der Vogelgrippe- und Leukämieviren zeigt, nutzen Wissenschaftler immer möglichst einfachste Modellsysteme für ihre Untersuchungen – Hühnereier und Zellkulturen zur Isolierung des Virus. So reduzieren sie den Einsatz von Versuchstieren. Manchmal jedoch sind Versuche mit lebenden Tieren unumgänglich – Immunreaktionen beispielsweise können nur im lebenden Organismus untersucht werden. Aus solchen Versuchen mit Tieren können Forscher dann aber wertvolle Erkenntnisse gewinnen, die Mensch und Tier zugutekommen.