Eine Schaltstelle zwischen Physik und Medizin
Am 25. Juli wurde der Kooperationsvertrag zu einem neuen interdisziplinären Zentrum in Erlangen unterzeichnet
Bei manchen Krankheiten sind üble Kräfte am Werk. Und das im ganz physikalischen Sinn. Denn wenn im Körper eine Entzündung, eine Infektion oder gar ein Tumor entsteht, kommt es zu einer Schwellung, die sowohl auf das betroffene als auch auf das umliegende Gewebe Kräfte ausübt. Solche physikalischen Faktoren und die sich daraus ergebenden Therapieansätze werden Wissenschaftler am Zentrum für Physik und Medizin (ZPM) in Erlangen erforschen. In dem Zentrum schließen sich das Max-Planck-Institut für die Physik des Lichts (MPL), das Universitätsklinikum Erlangen und die Friedrich-Alexander-Universität Erlangen- Nürnberg (FAU) zusammen, um medizinisch relevante Fragen der Biophysik und Biomathematik zu klären. Im Beisein der Bayerischen Staatsministerin für Wirtschaft und Medien, Energie und Technologie, Ilse Aigner, haben die Vertreter der Max-Planck-Gesellschaft, der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen- Nürnberg und des Universitätsklinikums Erlangen am 25. Juli den Kooperationsvertrag für das Projekt unterzeichnet, das die Bayerische Landesregierung mit 60 Millionen Euro fördert.
Dass für eine gute Gesundheit die Chemie stimmen muss, ist seit Mitte des 19. Jahrhunderts Stand des medizinischen Wissens. Davon zeugen zahllose Lehrbücher der Biochemie und Medikamente, mit denen Ärzte in die biochemische Maschinerie eingreifen können. Doch auch die Physik muss stimmen, damit ein Organismus tadellos funktioniert. Das fängt bei den Kräften, die zwischen Zellen oder bei der Zellteilung wirken, an, betrifft die Körpertemperatur, Sauerstoffgehalt und Drucke, die für verschiedene Gewebe genau geregelt sind, und hört bei der Elastizität und Steifigkeit, in der sich gesunde von kranken Zellen unterscheiden, noch lange nicht auf.
Physikalische Prozesse, die bei Krankheiten eine Rolle spielen
Die moderne Medizin ist schon lange ohne Physik nicht mehr denkbar, denn ohne deren Errungenschaften gäbe es weder ein Stethoskop noch ein Röntgengerät, vom Kernspintomografen oder Positronen-Emissions-Tomografen, kurz PET, ganz zu schweigen. „Die Physik bietet bisher ungeahnte Möglichkeiten erkranktes Gewebe zu untersuchen und zu charakterisieren, um Erkrankungen zu erforschen und zu beeinflussen“, sagt Georg Schett, Direktor der Medizinischen Klinik 3 für Immunologie und Rheumatologie des Universitätsklinikums Erlangen.
Genau diese Möglichkeiten wollen Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für die Physik des Lichts, der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg sowie des Universitätsklinikums Erlangen mit der Unterstützung des Freistaates Bayern nun ausschöpfen. „Das Zentrum für Physik und Medizin wird weltweit einmalig sein, weil wir hier stärker als in vergleichbaren Einrichtungen physikalische Prozesse in den Blick nehmen, die bei der Entstehung von Krankheiten eine Rolle spielen und vielleicht neue Therapien ermöglichen“, sagt Vahid Sandoghdar, Direktor am MPL und einer der Initiatoren des Zentrums.
Die Biomechanik von Entzündungen und Tumoren ist unklar
Die Forscher des ZPM werden unter anderem die akuten und chronischen Entzündungsprozesse untersuchen, die auch für viele Krebserkrankungen relevant sind. „Was Mediziner bislang über Entzündungen wissen, beruht vor allem darauf, dass wir einzelne Zellen aus dem Gewebe isolieren und analysieren, wie sich diese verhalten“, sagt Markus F. Neurath, Direktor der Medizinischen Klinik 1 für Gastroenterologie, Pneumologie und Endokrinologie. „Wir wissen aber noch nicht viel über die Vorgänge in den Zellzwischenräumen und in einem größeren Zellverband im lebenden Organismus.“
Zudem betrachten Mediziner Entzündungen derzeit vor allem biochemisch und konzentrieren sich auf die Proteine, die solche Veränderungen kontrollieren. „Wir sind aber überzeugt, dass es sich lohnt auch die physikalischen Prozesse von Entzündungen besser zu verstehen“, sagt Georg Schett. „Die Biomechanik von Entzündungen und Tumoren etwa ist komplett unklar.“ Mediziner beobachten, dass sich Zellen eines Entzündungsherds und eines Tumors extrem effizient bewegen und so für die Ausbreitung der Krankheit sorgen. Wie sie das in dem dichten Zellverband ihrer Umgebung schaffen, ist aber noch nicht bekannt. Daher möchten die Forscher des ZPM herausfinden, wie und warum sich Steifigkeit und Elastizität von Zellen verändert, wenn sie krank werden. Wenn Mediziner solche Zusammenhänge besser kennen, könnten sie versuchen, die mechanischen Eigenschaften gezielt zu beeinflussen und so die Ausbreitung einer Krankheit zu verhindern.
Gebraucht werden Messverfahren für die Zellzwischenräume
Um die physikalischen Faktoren bei der Entstehung und Behandlung von Krankheiten untersuchen zu können, müssen die Forscher teilweise noch die geeigneten Methoden und Instrumente entwickeln. „Viele physiologisch relevante Parameter können wir zwischen den Zellen noch nicht messen“, sagt Markus F. Neurath. Das gelte nicht nur für physikalische Größen wie die Temperatur, Kräfte oder die Beweglichkeit von Zellen, sondern auch für chemische Merkmale wie etwa den pH-Wert, den Salzgehalt und die Konzentration freier Radikale zwischen den Zellen. Ebenso schwierig ist die Messung von Sauerstoff, Aminosäuren und anderer Metaboliten im Mikromilieu des Gewebes. „Gerade bei der Abwehr von Infektionen und Tumoren spielen diese Parameter eine wichtige Rolle, da sie die schutzvermittelnde Funktion von Immunzellen wesentlich beeinflussen. Für die Entwicklung von Messverfahren in den Zellzwischenräumen sind wir auf die Zusammenarbeit mit Physikern angewiesen“, sagt Christian Bogdan, Direktor des Instituts für Klinische Mikrobiologie, Immunologie und Hygiene am Universitätsklinikum Erlangen.
Nicht immer müssen die Forscher dabei völlig von vorne anfangen. „Oft gibt es eine Methode, um eine Eigenschaft zu messen, die ist aber nicht empfindlich genug oder geeignet, damit man sie zwischen den Zellen anwenden kann“, sagt Vahid Sandoghdar. „Forscher am ZPM sollten die Fülle der grundlegenden und technischen Kenntnisse der Experimentalphysik nutzen, um neuartige Messungen im biologischen Gewebe zu ermöglichen. Hier sind optische Verfahren für Sensing und Bildgebung mit sehr hoher Orts- und Zeitauflösung besonders vielversprechend, wie wir kürzlich am MPL in mehreren Beispielen gezeigt haben.“
Ein Simultanübersetzer zwischen Physikern und Medizinern
Welche Schwerpunkte in der Forschung am ZPM im Einzelnen gesetzt werden, hängt letztlich davon ab, welche Wissenschaftler an das Zentrum berufen werden. Der derzeitigen Planung zufolge sollen darin eine neue Abteilung des Max-Planck-Instituts für die Physik des Lichts, zwei neue Lehrstühle für Biophysik und Mathematik in den Lebenswissenschaften, der neu zu besetzende Lehrstuhl für Medizinische Physik der FAU, sowie fünf weitere Forschungsgruppen angesiedelt werden. Den Bau des Zentrums und die wissenschaftliche Erstausstattung fördert der Freistaat Bayern mit 60 Millionen Euro.
In dem Gebäude werden mit den verschiedenen Disziplinen auch unterschiedliche wissenschaftliche Kulturen und Sprachen zusammentreffen. „Eigentlich sind Physik und Medizin weit voneinander entfernt“, sagt Georg Schett. Das mache sich auch darin bemerkbar, dass Physiker und Mediziner unterschiedliche Fachsprachen benutzen. „In gewisser Weise wirkt das Zentrum wie ein Simultanübersetzer zwischen den Disziplinen“, sagt Schett. Und wenn sich Physiker und Mediziner dort verstehen lernen, ergeben sich neue Möglichkeiten, wie sie Krankheiten besser verstehen und damit die Behandlung von Patienten verbessern können.
PH