Stoff für erhellende Diagnosen
In der Krebs-Diagnostik setzen Ärzte schon heute oft auf die Positronen-Emissions-Tomographie. Um die Methode auch bei anderen Krankheiten anwenden zu können, brauchen sie jedoch geeignete Tracer-Substanzen mit dem radioaktiven Fluor-18 – eine Herausforderung für Tobias Ritter und sein Team am Max-Planck-Institut für Kohlenforschung in Mülheim an der Ruhr. Die Chemiker suchen nach Wegen, vielfältige Moleküle mit Fluor-18 zu versehen und so die Möglichkeiten der Mediziner zu erweitern.
Text: Karl Hübner
Es ist eine kleine, eher unscheinbare Edelstahl-Box, die ein Bote alle paar Tage früh morgens am Kaiser-Wilhelm-Platz 1 im Mülheimer Süden abliefert. Zwei Mitarbeiter des Max-Planck-Instituts für Kohlenforschung stehen dann schon am Gebäudeeingang bereit, um das kantige Metallköfferchen in Empfang zu nehmen. Ein paar Unterschriften, dann geht es direkt ins Labor damit. Die dicke Sicherheitstür und die Aufschrift „Radioaktiver Kontrollbereich“ machen klar: In dem Labor wird mit radioaktiven Substanzen gearbeitet. Eine solche befindet sich auch in der gerade angelieferten Box. Es handelt sich um Fluor-18. Im Gegensatz zum natürlichen Fluor mit der Massenzahl 19 ist das künstlich hergestellte Fluor-18 sehr instabil. Es wandelt sich mit einer Halbwertszeit von 110 Minuten zu Sauerstoff-18 um. Weil dabei auch energiereiche Strahlung frei wird, müssen die Mülheimer Chemiker mit Fluor-18 in einem Speziallabor arbeiten. Und sie müssen schnell arbeiten, denn: Nach 110 Minuten ist die Hälfte der Fluoratome bereits verschwunden, nach 220 Minuten drei Viertel und so weiter.
Moleküle für neuartige Anwendungen der PET
Mit ihrer Arbeit gegen die Uhr verfolgen die Forscher ein konkretes Ziel. „Wir suchen nach Wegen, um Fluor-18 in Moleküle einzubauen, die neuartige diagnostische Anwendungen der Positronen-Emissions-Tomographie erlauben“, erklärt Tobias Ritter. Seit 2015 ist der Chemiker am Mülheimer Max-Planck-Institut Direktor der Abteilung Organische Synthese. Die Fluorchemie und insbesondere das kurzlebige Fluor-18 sind Schwerpunkte dieses Bereichs. Die Positronen-Emissions-Tomographie, kurz PET, ist in der Tumordiagnostik bereits ein bewährtes Verfahren. Dieses ist auf radioaktive Substanzen angewiesen, die Positronen freisetzen. Für die erforderlichen Syntheseversuche mit solchen Positronen-Lieferanten wurde vor einem Jahr eigens das radiochemische Speziallabor eingerichtet.
Wie gut gelingt es, Substanzen zu fluorieren?
Dessen Herzstück sind zwei Kammern, die von Bleiwänden und einem dicken Bleiglasfenster umgeben sind. „Hot Cells“, heiße Zellen, heißen derart abgeschirmte Kammern im Fachjargon. Und in eine solche befördern die Mülheimer Forscher nun den metallischen Zylinder, den sie aus der angelieferten Edelstahlbox befreit haben. Er ist kaum größer als eine normale Konservendose, wiegt aber 15 Kilogramm. „Massives Blei“, erklärt Matthew Tredwell, der in Ritters Abteilung das radiochemische Labor leitet. Erst als die Hot Cell wieder komplett abgeriegelt ist, entfernt eine Mitarbeiterin den Deckel des Zylinders. Sie hantiert dabei hochkonzentriert mit stählernen Greifarmen, die in die abgeschlossene Kammer hineinragen und sich von außen steuern lassen.
Dann entnimmt sie das, worauf es bei der Fracht ankommt: eine kleine Ampulle mit einer klaren Flüssigkeit. „Das ist einfaches Wasser, in dem Fluorid-18-Ionen gelöst sind“, erklärt Tredwell. Und als wenn die wenigen Milliliter Flüssigkeit angesichts einer Verpackung von 15 Kilogramm nicht schon winzig genug erschienen, so fügt der Chemiker noch an, dass es sich bei der Menge Fluor in der Flüssigkeit gerade mal um etwas mehr als ein Pikogramm handelt, also den Billionsten Teil eines Gramms.
Und obwohl dies so unvorstellbar wenig ist, so ist es doch reichlich für die Versuche, die die Wissenschaftler an diesem Tag geplant haben. Sie wollen testen, wie gut es gelingt, andere Substanzen zu fluorieren – also ein Fluoratom in sie einzubauen. Die hierfür benötigten Synthesebausteine hat die Arbeitsgruppe zuvor schon hergestellt. Sie stehen nun in kleinen Gläschen in der Hot Cell bereit. Der Rest geht automatisch: Eine Art Kanüle steuert die jeweiligen Ampullen an, entnimmt eine genau festgelegte Menge und führt die gewünschten Reaktionspartner zusammen. Um danach sofort untersuchen zu können, ob und mit welcher Ausbeute und Reinheit die gewünschten Produkte gebildet wurden, befinden sich auch Analytik-Geräte in dem radiochemischen Labor. In der jüngsten Vergangenheit haben diese immer wieder gezeigt, dass die Forscher auf einem guten Weg sind.
Künftig ein viel größeres Potenzial für die PET
Das findet auch Verena Ruhlmann spannend. Die Medizinerin war dabei, als das Max-Planck-Institut sein Speziallabor Ende 2016 den Mülheimer Bürgern vorstellte. Sie war an diesem Tag sogar als Referentin eingeladen. Auf den ersten Blick überraschend, denn Ruhlmann hat mit dem Max-Planck-Institut nichts zu tun. Ihr Arbeitsplatz befindet sich vielmehr einige Kilometer ostwärts. Im benachbarten Essen ist sie am Universitätsklinikum Oberärztin an der Klinik für Nuklearmedizin. An jenem Abend sprach sie darüber, was die Positronen-Emissions-Tomographie in ihrer Klinik leistet. Etwa in der Tumordiagnostik, wo es mit PET zum Beispiel gelingt, ein gutartiges von einem bösartigen Geschwulst zu unterscheiden. Veränderungen der Lymphknoten sichtbar zu machen. Oder zu zeigen, ob und wie gut eine Therapie angeschlagen hat. Und auch, ob ein Tumor nach einer zunächst erfolgreichen Behandlung vielleicht zurückgekehrt ist. Die Nuklearmedizinerin schwärmte von einem „ganz tollen Verfahren“. Schon jetzt untersuche ihre Abteilung jeden Tag rund 25 Patienten mittels einer PET. Die Medizinerin betonte aber auch, dass sie für die PET künftig noch ein viel größeres Potenzial sieht. Sowohl in der Tumordiagnostik als auch bei anderen Erkrankungen wie etwa Morbus Alzheimer, der Parkinsonkrankheit oder Herzkreislaufstörungen.
Es ist diese Vision, die Einrichtungen wie das Universitätsklinikum Essen und das Max-Planck-Institut für Kohlenforschung zusammenbringen. Denn die neuen Substanzen, die Ritters Team versucht, im radiochemischen Labor herzustellen, könnten eines Tages auch für Nuklearmediziner wie Verena Ruhlmann interessant werden.
"Wir brauchen für jede PET-Untersuchung natürlich eine Substanz, die Positronen freisetzt“, sagt die Oberärztin. Fluor-18 sei das mit Abstand bedeutendste Isotop für PET-Tracer, wie die Fachleute die Substanzen bezeichnen, deren Spuren im Organismus sie während der Untersuchung verfolgen können. Fluor-18 einfach in Form eines Fluorid-Salzes zu verabreichen, wäre für die meisten PET-Untersuchungen allerdings witzlos. Es würde sich allenfalls in den Knochen anlagern, aber nicht dort, wo es für die meisten diagnostischen Aufgaben gewünscht ist. Daher versuchen Chemiker, das Fluor in Moleküle einzubauen, die sich als Tracer eignen. Das sind solche, die sich möglichst selektiv, also ausschließlich, an den für die Diagnose relevanten Stellen im Organismus anreichern. Diese Stellen werden dann von außen sichtbar.
PET-Tracer, die an Plaque im Gehirn andocken
Das derzeit wichtigste dieser Moleküle ist eine Fluordesoxyglucose. Die Substanz ähnelt dem normalen Traubenzucker, Glucose. Einzige Veränderung: Ein Kohlenstoffatom trägt ein Fluoratom – ein Fluor-18. Im Organismus verhält sich der fluorierte Zucker trotz dieser Modifikation fast wie Glucose. Die Substanz wandert also nach einer Injektion in die Blutbahn überall dorthin, wo es Zuckerbedarf gibt. In den meisten Tumorzellen ist dieser besonders groß. Daher werden Tumore dank Fluordesoxyglucose in einer PET-Untersuchung gut sichtbar.
Auch bei Verena Ruhlmann in der Essener Universitätsklinik gibt es ein radiochemisches Labor, in dem die Substanz jeden Tag frisch hergestellt wird, weil das radioaktive Isotop zu schnell zerfällt, um es auf Dauer zu lagern. Für die Patienten ist die besondere Kurzlebigkeit der PET-Tracer jedoch ein Vorteil. Denn so klingt die ohnehin geringe Radioaktivität in ihrem Organismus relativ schnell vollständig ab. Dazu trägt auch bei, dass Fluor-18 sich wie auch andere Tracer-Substanzen ausschließlich in stabile Isotope umwandelt und keine radioaktiven Folgeprodukte hinterlässt.
Wenn die PET-Visionen wahrwerden sollen, dann sind neben dem fluorierten Zucker noch viele weitere PET- Tracer-Moleküle notwendig. Etwa solche, die an der für bestimmte Demenzformen charakteristischen Plaque im Gehirn andocken – ein erster Alzheimer-Tracer ist bereits auf dem Markt. Oder solche, die in der Tumordiagnostik Vorhersagen ermöglichen würden, welches Krebsmedikament für einen individuellen Patienten das optimale ist.
Damit sie an ihre Ziele im Körper gelangen, müssen die jeweiligen Moleküle chemisch passend aufgebaut sein. Damit sie als Tracer funktionieren, müssen sie darüber hinaus aber zum Beispiel Fluor-18 enthalten. Genau da fängt das Problem an – und die Arbeit der Mülheimer Chemiker.
Fluor ist extrem reaktionsfreudig
Wer Fluor in ein komplexeres organisches Molekül einbauen will, hat es nicht immer so leicht wie bei der Synthese von Fluordesoxyglucose, die mit einer einfachen Fluorid-Lösung gelingt. In der Regel muss man sich schon beim natürlichen Fluor-19 große Gedanken machen, wo es eigentlich herkommen soll. „Elementares Fluor scheidet in aller Regel aus, da es viel zu reaktiv ist“, erklärt Tobias Ritter. Fluor ist so reaktionsfreudig wie kein anderes Element. Beim Fluorieren mit reinem Fluor würde dieses in den meisten Fällen daher gleich an mehreren Stellen im Molekül angreifen und nicht selektiv an der einen, gewünschten.
Hinzu kommt, dass elementares Fluor im Labor extrem schwer zu handhaben ist. In Verbindungen wiederum ist es oft so stabil gebunden, dass der Energieaufwand groß ist, um es zu aktivieren. Nicht zuletzt diese Eigenschaft hat einst den Fluorchlorkohlenwasserstoffen und auch der Fluorchemikalie Teflon® zu großen Karrieren verholfen.
Beim Fluor-18 kommt die Kurzlebigkeit noch erschwerend hinzu. Sie zwingt Tobias Ritter und seine Mitarbeiter, komplett umzudenken. „Normalerweise ist es bei komplexen Zielmolekülen so, dass ein Chemiker versuchen würde, das Fluor in einem möglichst frühen Reaktionsschritt einzubauen“, erklärt der Wissenschaftler. „Denn mit jeder weiteren Stufe wird das Molekül komplexer. Und damit das Risiko größer, dass die Fluorierung nicht mehr selektiv ist, sondern an verschiedenen Stellen im Molekül stattfindet.“
Bereits in einem frühen Stadium der Synthese zu fluorieren, geht aber mit dem vergänglichen Fluor-18 nicht. Der Aufbau eines komplexen Moleküls verläuft häufig über zehn oder noch mehr Schritte, die jeweils einige Zeit benötigen. Würde man das radioaktive Fluor in einer frühen Phase einbauen, wäre es im fertigen Molekül kaum noch vorhanden. „Daher müssen wir bei Fluor-18 einen Weg finden, es erst im letzten oder vielleicht vorletzten Reaktionsschritt einzubauen“, sagt Ritter und fügt sofort hinzu: „Genau das ist sehr schwierig.“
Phenofluor fluoriert komplexe Moleküle
2011 allerdings horchte die Fachwelt auf. Gemeinsam mit zwei Kollegen publizierte Ritter, der damals noch an der Harvard University in Boston forschte, in einem Fachmagazin einen Weg, wie sich OH-Gruppen in einer bestimmten Klasse von Molekülen gezielt durch Fluor-Atome ersetzen lassen. Herzstück des Verfahrens war ein Reagenz, das später den kommerziellen Namen PhenoFluor erhielt. Die Forscher stellten fest, dass sich damit eine ganze Reihe auch recht komplexer organischer Moleküle mit guter Ausbeute fluorieren ließ. Einzige Voraussetzung: Die Ausgangssubstanz musste dort, wo später das Fluor sitzen sollte, eine OH-Gruppe tragen. Ein Meilenstein.
Doch eine Sache gelang auch mit PhenoFluor nicht. Der Einbau von Fluor-18. Das Problem war, dass Pheno-Fluor zwei Fluor-Atome enthält, die so gleichwertig sind, dass sich nicht steuern lässt, welches der beiden am Ende den eigentlichen Fluorierungsschritt durchführt. „Wir hätten ein Pheno-Fluor mit zwei F-18-Atomen herstellen müssen, aber das ist aus technischen Gründen nicht möglich, weil Fluor-18 immer mit Fluor-19 verunreinigt ist“, erklärt Tobias Ritter. Es musste also ein anderes Reagenz her.
Es dauerte fünf weitere Jahre, ehe die Forscher das Problem gelöst hatten. Ihr Trick bestand darin, zunächst ein Reagenz einzusetzen, das ähnlich wie PhenoFluor aufgebaut ist, aber anstelle der beiden Fluoratome zwei Atome des chemischen Verwandten Chlor enthält. Mit dieser Substanz lässt sich eine ähnliche Reaktion vornehmen wie mit PhenoFluor. Vor deren letztem Schritt greifen die Chemiker allerdings noch einmal ein. „In diesem Moment liegt eines der Chloratome als Chlorid-Ion vor, und genau das tauschen wir dann mit einer gängigen Technik gegen ein Fluorid-18-Ion aus“, so Ritter. Dieses sorgt dafür, dass die OH-Gruppe gegen das Fluor-18 getauscht wird.
„Mit dieser Reaktion haben wir den chemischen Baukasten erweitert, mit dem wir Fluor-Tracer für die PET herstellen können“, sagt Ritter. Doch ganz so schnell geht es nicht. Denn welche Moleküle es genau sein werden, die die medizinische Diagnostik am Ende wirklich benötigt, steht in vielen Fällen noch gar nicht fest. Um medizinischen Bedarf und chemisches Rüstzeug enger zusammenzubringen, kooperiert Ritters Abteilung mit klinischen Einrichtungen wie den Universitätskliniken in Essen oder auch dem Massachusetts General Hospital in Boston. Das Ziel: geeignete Moleküle für ganz konkrete Einsatzgebiete zu ermitteln und für sie praktikable Synthesewege zu entwickeln. Im zweiten Schritt müsste dann noch Fluor-18 in diese Moleküle integriert werden, damit sie als PET-Tracer funktionieren.
Ob dabei die bereits entwickelten Fluorierungswerkzeuge schon genügen, hängt vom jeweiligen Zielmolekül ab und lässt sich daher noch nicht sagen. Ohnehin arbeiten die Forscher ja in ihrem radiochemischen Labor daran, den Werkzeugkasten für Synthesen mit Fluor-18 zu ergänzen. Schließlich soll das Spektrum fluorierbarer Molekülklassen noch größer werden. Der Bote wird daher auch weiterhin regelmäßig am Kaiser-Wilhelm-Platz vorfahren und sein 15 Kilogramm schweres Metallköfferchen mit dem Billionstel Gramm Fluor-18 ausladen.
AUF DEN PUNKT GEBRACHT
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Für die Positronen-Emissions-Tomographie werden Tracer-Moleküle mit radioaktiven Atomen wie Fluor-18 benötigt. Wegen der Kurzlebigkeit solcher Atome sind solche Moleküle jedoch schwer zu synthetisieren.
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Chemiker um den Max-Planck-Direktor Tobias Ritter entwickeln Methoden, um Fluor-18 gezielt an gewünschten Stellen in einem Molekül anzubringen. Die ent- sprechenden Experimente machen sie in einem radiochemischen Speziallabor.
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Erster Erfolg: ein Syntheseweg, der in vielen, auch komplexen organischen Molekülen OH-Gruppen durch Fluor-18 ersetzt. Künftig möchten die Max-Planck-Forscher diesen Weg weiter optimieren und auf noch komplexere Molekülklassen ausweiten.