Essensgeruch macht Fliegenmännchen attraktiv
Wenn Fliegenweibchen ihre bevorzugte Nahrungsquelle riechen, verstärkt sich ihre Empfänglichkeit gegenüber werbenden Männchen
„Liebe geht durch den Magen“, heißt es ja bekanntlich. Aber nicht nur beim Menschen scheinen sich Romantik und gutes Essen wunderbar zu ergänzen. Bei Taufliegen der Art Drosophila melanogaster haben Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie in Jena jetzt sogar den neuronalen Mechanismus entdeckt, der im Hirn bewirkt, dass in der Nähe von Essig werbende Fliegenmännchen als attraktiver wahrgenommen und jungfräuliche Fliegenweibchen schneller paarungswillig werden.
Der Geruch von Essig steigert die Wahrnehmung eines männlichen Sexualpheromons bei noch unverpaarten weiblichen Taufliegen, wie ein Team von Wissenschaftlern aus der Abteilung Evolutionäre Neuroethologie jetzt beobachten konnte. Den Forschern gelang es, den zugrundeliegenden neuronalen Mechanismus im Fliegenhirn zu identifizieren. Frühere Experimente hatten bereits dargelegt, dass der männliche Lockstoff cis-Vaccenyl-Azetat den Glomerulus DA1 im Riechhirn der Weibchen aktiviert. Glomeruli sind kugelförmige Funktionseinheiten im Antennallobus, dem Geruchszentrum im Fliegenhirn. „Wir konnten in unserer Studie zeigen, dass der Duft von Essig die Reaktion von Fliegenweibchen auf das männliche Sexualpheromon deutlich verstärkt. Beide Düfte zusammen bewirken eine viel stärkere Aktivierung von DA1“, erläutert Silke Sachse, Leiterin der Arbeitsgruppe „Olfaktorische Kodierung“. Dieser Effekt kann nur bei unverpaarten, also jungfräulichen Weibchen beobachtet werden. Bei Männchen und bereits verpaarten Weibchen fehlt er dagegen.
Durch die Analyse der zugrundeliegenden neuronalen Mechanismen konnten die Wissenschaftler entschlüsseln, wie die Duftsignale im Fliegenhirn weitergeleitet und welche Hirnbereiche aktiviert werden. Sie verwendeten funktionale Bildgebungsverfahren, mit deren Hilfe die Reaktion auf Essig, auf den Sexuallockstoff sowie auf beide zusammen sichtbar gemacht werden konnte.
Wichtig für die Untersuchungen waren genetisch veränderte Fliegen. In diesen Tieren waren ausgewählte elektrische Synapsen stillgelegt. Somit konnten die Forscher genau bestimmen, welche Neuronen in die Signalweiterleitung involviert waren, und die Wirkungsmechanismen im Fliegenhirn genau lokalisieren. Sie konnten zeigen, dass die verstärkte Aktivierung des Glomerulus DA1 durch eine sogenannte „laterale Erregung“ in einer bestimmten Klasse von Neuronen vermittelt wird. „Verschiedene benachbarte Glomeruli im Gehirn reagieren auf den Essiggeruch. Die Erregungsweiterleitung von diesen Glomeruli zu DA1 erfolgt über elektrische Synapsen“, erläutert Erstautorin Sudeshna Das, die als Stipendiatin der Alexander von Humboldt-Stiftung ans Max-Planck-Institut kam. Im Gegensatz dazu aktiviert das männliche Pheromon DA1 direkt über den spezialisierten Geruchsrezeptor Or67d. Beide Düfte aktivieren also den gleichen olfaktorischen Glomerulus, aber über zwei unterschiedliche Nervenbahnen. Gemeinsam erhöhen sie die Paarungsbereitschaft jungfräulicher Fliegenweibchen.
Aus ökologischer Sicht ist dieser Mechanismus äußerst sinnvoll, denn er beschleunigt die Paarung gerade dann, wenn ausreichend Nahrung für das Weibchen und den späteren Nachwuchs vorhanden ist. „Dass dieser Effekt bei bereits verpaarten Weibchen komplett fehlt, hat uns zuerst überrascht. Die Tatsache, dass Fliegenmännchen dadurch attraktiver werden machte uns klar, dass der Effekt nur bei unbefruchteten Weibchen sinnvoll ist“, meint Silke Sachse. Dazu passt auch, dass frühere Arbeiten bereits zeigen konnten, dass die Pheromon-Antwort in DA1 nach der Paarung stark abnimmt.
Das Vorhandensein von ausreichend Nahrung bei gleichzeitig erhöhter Paarungsbereitschaft ist für den Fortpflanzungserfolg sehr wichtig und hat vermutlich im Laufe der Evolution zu dieser seltenen, sich gegenseitig verstärkenden Wechselwirkung zwischen den Reaktionen auf zwei unterschiedliche Düfte geführt. Silke Sachse betont: „Dass sich zwei Düfte in ihrer Wirkung verstärken, konnte bislang kaum beobachtet werden. In der Regel ist es eher so, dass sich verschiedene Düfte gegenseitig hemmen. Das Geruchssystem sorgt so dafür, dass es nicht übersättigt wird, wenn mehrere Gerüche gleichzeitig wahrgenommen werden.“
Die Ergebnisse der neuen Studie haben auch eine weitere ökologische Relevanz: „In der Natur müssen Fliegenweibchen auf geringe Mengen des männlichen Sexualpheromons reagieren. Es ist aus evolutionärer Sicht sinnvoll, dass sich ein Mechanismus entwickelt hat, der die Wirkung verstärkt, ohne dass das Männchen höhere Konzentrationen des Pheromons produzieren muss. Bedenkt man, dass Taufliegen nur eine sehr kurze Lebensspanne haben, während derer ihr Leben ständig von Fraßfeinden, Krankheiten oder giftiger Nahrung bedroht wird, ist eine schnelle Paarung und Fortpflanzung für ihr Überleben extrem wichtig,“ erklärt Sudeshna Das.
AO/KG/HR