Forschungsbericht 2019 - Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie

Die Entschlüsselung des mikrobiellen Stickstoffkreislaufs

Autoren
Kartal, Boran
Abteilungen
Forschungsgruppe Mikrobielle Physiologie
Zusammenfassung
Mikroorganismen, die Stickstoff umsetzen, kontrollieren die biologische Verfügbarkeit dieses Elements, das für viele Biomoleküle, etwa Proteine, erforderlich ist. Wenn wir verstehen, wie Mikroben verschiedene Stickstoffverbindungen ineinander umwandeln, verstehen wir auch, wie der Stickstoffkreislauf derzeit funktioniert und in Zukunft ablaufen könnte. In unserer Forschung beschreiben wir Mikroben, die Stickstoff umsetzen, in molekularem Detail und suchen nach neuen biochemischen Prozessen im Stickstoffkreislauf, der einen immensen Einfluss auf die Erderwärmung und Gewässerverschmutzung hat.

Der Stickstoffkreislauf

In der Natur existiert Stickstoff in 8 Oxidationsstufen, von Ammonium (-3) bis Nitrat (+5). Mikroorganismen nutzen diese Unterschiede in den Oxidationsstufen, indem sie die verschiedenen Stickstoffarten ineinander überführen und so Energie für ihr Wachstum gewinnen (Abb. 1). Mikroben, die aerobe Ammoniumoxidation betreiben, halten biologisch verfügbaren Stickstoff in Ökosystemen im Meer und an Land zurück. Die anaerobe Ammoniumoxidation, genannt Anammox, und die Denitrifizierung wiederum entlassen den Stickstoff in Gasform zurück in die Atmosphäre [1]. Auf diese Weise kontrollieren diese Kleinstorganismen die biologische Verfügbarkeit dieser wichtigen Ressource in der Natur.

Neue Ansätze zur Kultivierung bisher unkultivierbarer Mikroorganismen

Unsere Kenntnisse über Mikroorganismen, die am Stickstoffkreislauf beteiligt sind, stammen von Arten, die im Labor kultiviert werden können. Sie spiegeln aber nur einen kleinen Teil der natürlichen Vielfalt wider. Wahrscheinlich funktionieren noch unerforschte Mikroben anders und besitzen unbekannte Stoffwechselwege, weil Mikroben in natürlichen wie in menschgemachten Ökosystemen oft nur begrenzten Zugang zu denjenigen Substanzen haben, die sie zum Wachsen brauchen. Dabei sind sie meist abhängig von anderen Organismen oder passenden Umweltbedingungen. Im Labor werden Bakterienkulturen üblicherweise ein oder mehrere Substrate im Überfluss angeboten, sodass sie stets gut wachsen können. In der Natur laufen die Dinge ganz anders ab. Wir benutzen deshalb Bioreaktoren, in denen wir im Labor unter kontrollierten Bedingungen eine natürliche, spärlich ausgestattete Umwelt der zu identifizierenden Mikroben im Detail nachbilden (Abb. 2). Sobald wir diese Mikroorganismen in Kultur gebracht haben, können wir ihre physiologischen und biochemischen Eigenschaften bis zur molekularen Ebene untersuchen.

Stickoxid im Zentrum des Stickstoffkreislaufs

Stickoxid ist ein faszinierendes Molekül. Es ist sehr reaktionsfreudig und übernimmt in der Natur gleich mehrere, folgenschwere Funktionen: Es ist ozonschädlich, ein starkes Gift und eine Vorstufe des Treibhausgases Distickstoffmonoxid (Lachgas). Stickoxid ist auch ein gesundheitsschädlicher Schadstoff in Autoabgasen. Außerdem dient es Organismen als Signalmolekül und ist ein wichtiges Zwischenprodukt in mindestens drei Prozessen des Stickstoffkreislaufs: Denitrifizierung, aerobe und anaerobe Ammoniumoxidation. Stickoxid hat wahrscheinlich auch eine zentrale Rolle in der Entwicklung des Lebens auf der Erde gespielt. Bevor molekularer Sauerstoff in der Atmosphäre auftrat, war Stickoxid das wirksamste verfügbare Oxidationsmittel auf unserem Planeten. Dies lässt vermuten, dass es in der frühen Erdgeschichte viele verschiedene Mikroorganismen gegeben hat, die Stickstoff umwandeln und davon leben konnten. Bis vor kurzem war dennoch kein einziger Organismus bekannt, der Stickoxid direkt zum Wachsen verwenden kann.

Gift atmen: Leben auf Stickoxid

Wir haben Anammox-Bakterien in Bioreaktoren kultiviert, indem wir ihnen nur Stickoxid und Ammonium als Substrat zur Verfügung gestellt haben [2]. Tatsächlich können diese Mikroben Stickoxid nutzen, um aus Ammonium die Energie zum Wachsen zu gewinnen. Die Analyse der Proteine, die diese Anammox-Bakterien produzieren, weist auf ein neuartiges Enzym hin, das Stickoxid synthetisieren kann. Wir haben den molekularen Mechanismus dieser Enzymreaktion genauer studiert: Die Anammox-Bakterien koppeln den Prozess der Ammoniumoxidation an die Reduktion von Stickoxid und erzeugen dabei molekularen Stickstoff [2]. Sie wandeln also Stickoxid nicht in das klimagefährdende Lachgas um, wie es viele andere Mikroben tun, und auf diese Weise reduzieren sie gleichzeitig die für die Lachgasproduktion verfügbare Stickoxid-Menge und indirekt die Menge an freigesetztem Treibhausgas. So ist jedes Stickoxid-Molekül, das nicht in Lachgas, sondern in elementaren Stickstoff umgewandelt wird, ein Molekül weniger, das zum Klimawandel beiträgt. Mit anderen Worten: Anammox-Bakterien helfen, Stickoxid- und Lachgas-Emissionen aus natürlichen Lebensräumen, etwa dem Meer, und menschgemachten Ökosystemen wie Kläranlagen zu reduzieren.

Aktuell arbeiten wir an der Kultivierung von anderen, bisher unbekannten Mikroben, die Stickoxid gleichzeitig oxidieren und reduzieren können und dabei Nitrit und Lachgas produzieren. Durch die Charakterisierung dieser Organismen können wir einerseits ihre neuartige Physiologie und Biochemie im Detail untersuchen, andererseits kann es helfen, diejenigen Prozesse einzuschränken, die für den Umsatz von Lachgas und Stickoxid verantwortlich sind.

Die Zukunft des Stickstoffkreislaufs vorhersagen

Menschen sind die primären Verursacher der Klimaerwärmung und der Wasserverschmutzung, durch die die biochemischen Kreisläufe, die das Leben auf der Erde steuern, stark beeinträchtigt sind. Es ist erschreckend, dass heute mehr als ein Drittel des Stickstoffs, mit Ausnahme des elementaren Stickstoffs N2, aus menschgemachten Quellen stammt. Diese Menge, die immer weiterwächst, ist um ein Vielfaches höher als die für einen effektiven Klimaschutz vorgeschlagenen Grenzwerte. Mikroorganismen könnten dazu beitragen, den menschlichen Einfluss auf den Stickstoffkreislauf zu verringern. So helfen biologisch orientierte Abwassersysteme, Stickstoff aus Industrie- und Haushaltsabwässern zu entfernen [3]. Genau wie in der natürlichen Umwelt wimmelt es nämlich in diesen Aufbereitungsanlagen von faszinierenden Mikroben, die bislang nicht im Labor kultivierbar waren und auf die zukünftig mehr Augenmerk gelegt werden sollte. Um sie zu nutzen, ist ein detailliertes Verständnis der ihrem Stoffwechsel zugrundeliegenden Vorgänge notwendig. Sobald wir diese Informationen haben, können wir die Zukunft des Stickstoffkreislaufs auf unserem Planeten besser vorhersagen, den Einfluss des Stickstoffkreislaufs auf den Klimawandel beschreiben und umweltverträgliche Abwassersysteme entwickeln.

Literaturhinweise

Kuypers, M.M.M.; Marchant, H.K.; Kartal, B.
The microbial nitrogen-cycling network
Nature Reviews Microbiology 16, 263-276 (2018)
Hu, Z.; Wessels, H. J. C. T.; van Alen, T.; Jetten, M. S. M.; Kartal, B.
Nitric oxide-dependent anaerobic ammonium oxidation
Nature Communications 10.2019;1244
Kartal, B.; Kuenen, J.G.; Van Loosdrecht, M.C.M.
Sewage treatment with anammox
Science 328, 702-703 (2010)

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