Forschungsbericht 2019 - Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik
Mikrochip öffnet Fenster zum Gehirn
Frühe Messmethoden der Hirnaktivität
Um Funktionen und Prozesse des Gehirns besser verstehen zu können, bedarf es Methoden, die die Aktivitäten im Gehirn messen und aufzeichnen. Die ersten Messungen zur elektrischen Aktivität des Gehirns erfolgten durch den Arzt Richard Caton 1875 in Liverpool. 50 Jahre später hat der Jenaer Neurologe und Psychiater Hans Berger die ersten Elektroenzephalographien (EEG) am Menschen eingesetzt.
Blutfluss und Hirnaktivität hängen zusammen
Bereits zu Beginn der Forschungen zur Hirnaktivität vermutete man, dass Aktivitäten der Nervenzellen im Gehirn einen erhöhten Energieverbrauch verursachen, welcher in lokalen Regionen einen Anstieg der Zucker- und Sauerstoffversorgung durch einen erhöhten Blutzufluss zur Folge hat. Angelo Mosso [1] und später Charles Smart Roy und Charles Scott Sherrington konnten diesen Kopplungseffekt zwischen neuronaler Aktivität und Blutzufuhr erstmals nachweisen. Diese Verknüpfung zwischen Blutfluss und Gehirnaktivität bildet die Grundlage der sogenannten funktionellen Magnetresonanztomographie, oder „functional magnetic resonance imaging“, kurz fMRI. Wenn bestimmte Areale im Gehirn besonders gefordert sind, beispielsweise der visuelle Kortex bei der Verarbeitung von Lichtreizen durch das Auge, muss diesen Nervenzellen mehr Sauerstoff und der Energieträger Glukose in die dortigen Blutgefäße geliefert werden. Dies erhöht lokal die Sättigung von Blut mit Sauerstoff.
Linus Pauling erkannte bereits 1935, dass sich die magnetischen Eigenschaften von roten Blutkörperchen mit ihrer Sauerstoffsättigung ändern. Diese Eigenschaft konnten Keith Thulborn und Seiji Ogawa [2] nutzen, um über die funktionelle Magnetresonanztomographie lokale Aktivitäten des Gehirns darzustellen. Ihre Arbeiten legten den Grundstein für eine sehr breite Anwendung der fMRI-Methode in den Neurowissenschaften.
Die funktionelle Magnetresonanztomographie
Mit modernen Magnetresonanztomographen ist es möglich, eine zeitunabhängige Darstellung der gesamten Gehirnaktivität mit einer räumlichen Auflösung im Millimeterbereich zu erreichen. Insbesondere ist die fMRI ein nichtinvasives Verfahren und kann trotzdem Gehirninformationen aus kaum zugänglichen Bereichen erfassen.
Die fMRI basiert auf der Messung der lokalen Sauerstoffsättigung des Blutes, welche mehr oder weniger an die neuronale Aktivität der Nervenzellen gekoppelt ist. Diese Methode liefert aber leider keine genaue Information darüber, welche Zellen und Zelltypen tatsächlich an der Informationsverarbeitung beteiligt sind, da die Blut- und Sauerstoffregulation technisch bedingt nur eher großvolumig erfasst werden kann. Zugleich ermöglicht die Verwendung sehr hoher Feldstärken von 7 - 9.4 Tesla (das entspricht ungefähr dem 200.000-fachen des Magnetfeldes der Erde) heute eine immer höhere räumliche Auflösung im 100 Mikrometer-Bereich.
Technische Grenzen der funktionellen Magnetresonanzthomographie
Forscher wie Nikos Logothetis und andere haben untersucht, wie genau die tatsächliche elektrische Aktivität der Nervenzellen mit der über fMRI gemessenen Antwort übereinstimmt [3]. Jens Frahm und weitere Wissenschaftler haben gezeigt, mit welcher räumlichen Ungenauigkeit die fMRI-Methode behaftet ist [4]. Diese Arbeiten zeigen zum einen, dass die Dynamik der elektrophysiologischen Signale (also das Feuern der Nervenzellen) wesentlich schneller abläuft als die nachgeschaltete, langsame Änderung der Sauerstoffsättigung der umliegenden Gefäße. Zum anderen konnten sie nachweisen, dass die lokale Änderung der Sauerstoffsättigung räumlich bis zu einigen Millimetern oder mehr von den tatsächlichen neuronalen Ereignissen entfernt sein kann. Trotz der sehr hohen Auflösung und Sensitivität moderner Magnetresonanztomographen ist eine Kartierung einzelner neuronaler Aktivitäten aus den genannten physiologischen Gründen kaum möglich.
Miniatur-Magnetresonanztomograph in Chipgröße
Um die Kopplung zwischen Nervenaktivität und Blutregulierung genauer zu verstehen und abbilden zu können, hat unser Forscherteam einen miniaturisierten MagnetresonanzSensor (NMR) entwickelt, der das NMR-Signal im neuronalen Gewebe mit weitaus höherer räumlicher und zeitlicher Auflösung messen kann als herkömmliche NMR-Systeme. Dazu wurden alle für ein NMR-Experiment notwendigen, elektronischen Einheiten in einen winzigen CMOS Chip mit einer Größe von nur einigen 100 Mikrometern integriert [5].
Das Auflösungsvermögen des Sensors ist zwar noch immer weit entfernt von der Abbildungsleistung einzelner Nervenzellen, könnte aber potentiell größere funktionelle Verbünde von neuronalen Recheneinheiten abbilden. Die Darstellung dieser funktionellen Substrukturen wäre von großer Bedeutung für eine Vielzahl von neurowissenschaftlichen Fragestellungen, um die Kommunikation zwischen diesen Recheneinheiten im Gehirn besser zu verstehen.