Forschungsbericht 2019 - Bibliotheca Hertziana - Max-Planck-Institut für Kunstgeschichte
Das vormals Unsichtbare vermitteln: Antoni van Leeuwenhoek und seine mikroskopischen Experimente
Viele Menschen kennen den niederländischen Naturforscher Antoni van Leeuwenhoek (1632–1723) heute als Vater der Mikrobiologie. In seiner Heimatstadt Delft stellte van Leeuwenhoek seine eigenen Mikroskope her. Diese kleinen Instrumente, die mit einer Einzellinse ausgestattet sind, waren für ihre hohe Vergrößerungsleistung bekannt. Van Leeuwenhoek konnte damit eine Welt voller verblüffender Details entdecken, die der menschlichen Beobachtung bis dahin verborgen geblieben war. Zum ersten Mal offenbarten sich Spermien und Bakterien dem wissensdurstigen Auge. Van Leeuwenhoek veröffentlichte seine Ergebnisse nicht in Büchern, vielmehr teilte er sie in unzähligen Briefen mit, in denen er seine mikroskopischen Experimente und Erkenntnisse ausführlich beschrieb. Viele dieser Briefe enthielten Zeichnungen und gedruckte Bilder von seinen Beobachtungen.
Mit van Leeuwenhoek begann die mikrobiologische Forschung. Und obwohl er eine Ausbildung zum Tuchhändler und nicht die eines Universitätsgelehrten genossen hatte, wurde er zu einem wichtigen Akteur in einem Korrespondentennetz, das ihn mit Wissenschaftskollegen aus ganz Europa verband. Van Leeuwenhoeks Praktiken und seine Kommunikation müssen im Kontext dieses Wissenschaftlernetzwerks gesehen und analysiert werden.
Wie wurde das Sichtbargemachte an die Kollegen vermittelt?
Das 17. Jahrhundert war eine innovative Periode in der Wissenschaft, in der neue Instrumente wie Teleskope und Mikroskope entwickelt und eingesetzt wurden. Zwei unbekannte Welten, die bis dahin außerhalb der Reichweite des menschlichen Sehvermögens gelegen hatten – der Makro- und der Mikrokosmos –, konnten plötzlich untersucht werden. Doch wie gaben die Forscher, die diese neuen Instrumente nutzten, ihre Beobachtungen an ihre Kollegen weiter? Wie ist es zum Beispiel möglich, Informationen über etwas zu vermitteln, das die Adressaten noch nie zuvor gesehen hatten?
Wissenschaftler des 17. Jahrhunderts, die Mikroskope verwendeten, nutzten Beschreibungen, Metaphern und Zeichnungen, um ihre Entdeckungen zu vermitteln. Aber was haben sie durch ihre Instrumente gesehen? Wie haben sie die lebendige Welt manipuliert und in sie eingegriffen, um sie zu beobachten? Wie stehen ihre in Worten ausgeführten Beschreibungen und ihre bildlichen Darstellungen im Vergleich zu dem, was sie tatsächlich durch das Mikroskop gesehen haben mögen?
Ein Fotoshooting in Leiden mit Präparaten aus dem 17. Jahrhundert
Eine wichtige Quelle zur Beantwortung solcher Fragen bietet die Hinterlassenschaft von Antoni van Leeuwenhoek. Er korrespondierte fünfzig Jahre lang mit den Fellows der Royal Society in London über die Beobachtungen, die er in Delft mit seinen Mikroskopen machte. Mehr als 200 Briefe schickte er nach London, oft mit Darstellungen, aber auch mit Präparaten, sodass sich die Gelehrten dort selbst ein Bild von dem machen konnten, was er betrachtet hatte. Die meisten der Briefe und Abbildungen sowie mehrere Präparate blieben erhalten und werden heute im Archiv der Royal Society aufbewahrt [1, 2].
Im Rahmen unseres Forschungsprojekts wurden die Präparate van Leeuwenhoeks erneut mit einem von ihm hergestellten Originalmikroskop untersucht, das im Rijksmuseum Boerhaave in Leiden aufbewahrt wird (Inventarnummer V30337, Abb. 1). Mithilfe der modernen Technik der Mikrofotografie wurden durch das originale Leeuwenhoek-Mikroskop Bilder von den Präparaten aufgenommen. Zusätzlich sind unter Nutzung aktueller Mikroskope sogenannte Focus-Stacking-Bilder entstanden. Mit dieser Technik wird eine sehr hohe Schärfentiefe erreicht, indem man fotografische Serienaufnahmen zusammenmontiert, bei denen die Kamera stets ein wenig die Position geändert hat. Die mit der Mikrofotografie hergestellten Bilder kommen dem, was van Leeuwenhoek und seine Assistenten mit ihrem Mikroskop gesehen haben, wahrscheinlich sehr nahe, während die Focus-Stacking-Technik die bisher schärfsten Bilder dieser verbliebenen Präparate aus dem 17. Jahrhundert liefert.
Beleuchtung, Arbeitsweise und Weitergabe der Ergebnisse beim frühneuzeitlichen Mikroskopieren
Im Kontext der aktuellen Forschung zur visuellen Kultur der frühneuzeitlichen Wissenschaft [3] und zu den visuellen Arbeitspraktiken von Antoni van Leeuwenhoek [4] gibt das Projekt neue Einblicke in die Praxis der Beobachtung mit Mikroskopen in der Frühen Neuzeit. Zudem betrachtet es die epistemischen Normen, Standards und Praktiken der frühneuzeitlichen visuellen Kommunikation der Wissenschaft.
In der Frühen Neuzeit mussten die Forscher beim Mikroskopieren mit der Leuchtkraft von Sonnen- und Kerzenlicht auskommen. Unsere Untersuchung zeigt, wie schwer es gewesen sein muss, eine konstante Lichtquelle zu betreiben, und wie sehr die Lichtbedingungen die Beobachtungen beeinflussten. Gleichzeitig konnten wir erkennen, wie van Leeuwenhoek durch geschickte Handhabung des Mikroskops und der Präparate auch eine Beobachtung der Tiefe und Struktur der untersuchten Objekte erreichte. Mithilfe neuer Aufnahmen mit modernen Aufnahmetechniken durch das Leeuwenhoek-Mikroskop konnten wir den dafür notwendigen Bewegungsablauf nachvollziehen. Nur durch solche Bewegungen war es möglich, ein vollständiges Bild des Objekts zu erhalten. Denn mit den kleinen, mit nur einer Linse ausgestatteten Mikroskopen wird immer nur ein sehr kleiner Teil der Oberfläche der Präparate auf einen Blick sichtbar.
Ein anschauliches Beispiel für die Arbeitsweise van Leeuwenhoeks bei der Vermittlung seiner Beobachtungen liefert die Zeichnung von einem Abschnitt des Sehnervs einer Kuh, die er am 4. Dezember 1674 an die Royal Society geschickt hat (Abb. 2). Er selbst hatte die Präparate hergestellt (Abb. 3) und der Royal Society zur weiteren Untersuchung überlassen. Bei der Autopsie des Sehnervs beschrieb Leeuwenhoek, dass er „viele Öffnungen sah, sehr ähnlich einem Ledersieb mit großen und kleinen Löchern, mit dem einzigen Unterschied, dass die Löcher im Nerv nicht rund und nicht gleich groß sind“ [5, Vol. 1, 196–197].
Unsere Fotokampagne war eine Kooperation zwischen der Royal Society in London, dem Rijksmuseum Boerhaave in Leiden, dem vom UK Arts and Humanities Research Council finanzierten Forschungsprojekt Making Visible an der University of Cambridge, dem Mikrofotografen Wim van Egmond und der Bibliotheca Hertziana – Max Planck Institut für Kunstgeschichte. Gerade diese Zusammenarbeit zwischen Wissenschafts- und Kunsthistorikern und der Einsatz moderner Kameratechniken hat für erstaunliche Erstergebnisse gesorgt, denen wir in Zukunft in einer umfassenderen Untersuchung der Beobachtungstechniken und Kommunikationsweisen von Mikroskopisten aus dem 17. Jahrhundert weiter nachgehen werden.
Literaturhinweise
Notes and Records of the Royal Society London 36, 37–59 (1981)
Farrand Press, Bristol (1991)
Swets & Zeitlinger, Amsterdam (1939–[ongoing])