Fruchtfliegen geben epigenetische Veränderungen an Nachkommen weiter
Forscher entdecken, dass epigenetische Veränderungen der Mutter die Genaktivierung der Nachkommen steuern
Eltern vererben ihre Gene an ihre Kinder weiter, die den Nachwuchs für das zukünftige Leben rüsten. In den letzten Jahren hat die Forschung gezeigt, dass die Realität jedoch viel komplexer ist und Eltern viel mehr als nur Gene weitergeben können. Eine neue Studie von Forschenden des Max-Planck-Instituts für Immunbiologie und Epigenetik an Fruchtfliegen zeigt, dass aktive epigenetische Modifikationen auch von einer Generation an die nächste übertragen werden. Diese sind entscheidend für die Entwicklung des Embryos.
Elternschaft bei Säugetieren ist durch eine zum Teil langjährige Brutpflege gekennzeichnet. Beim Menschen wächst der Nachwuchs neun Monate im Körper der Mutter heran und anschließend verbringen die Eltern nach der Geburt Jahre damit, ihre Kinder aufzuziehen, zu ernähren und sie auf ein eigenständiges Leben vorzubereiten. Fruchtfliegen hingegen betreiben kaum Brutpflege. Sie legen die befruchteten Eier ab, die anschließend einfach sich selbst überlassen werden. Das lässt sie wie unverantwortliche Eltern erscheinen, die ihre Jungen einfach im Stich lassen.
Eine neue Studie des Labors von Asifa Akhtar am Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik in Freiburg legt jedoch nahe, dass die Mütter von Fruchtfliegen auf andere Weise den Erfolg ihrer Nachkommen sicherstellen. Sie geben ihrem Nachwuchs eine tief in das Epigenom kodierte Gebrauchsanweisung für das Leben mit.
Unsere Eltern vererben uns genetische Information, die in der DNA-Sequenz kodiert ist. Doch obwohl alle Zellen im menschlichen Körper die gleiche DNA enthalten, werden in den Zellen jeweils verschiedene Gene aktiv, um unterschiedliche Funktionen zu erfüllen. Dies geschieht durch epigenetische Mechanismen. Die DNA ist um Histonproteine gewickelt und bildet so genannte Nukleosome. Viele Nukleosomen schließen sich zusammen, um das Chromatin zu bilden, das sich im Kern einer jeden Zellen befindet.
Eine der grundsätzlichen epigenetischen Modifikationen ist die chemische Veränderung der Histonproteine. Das Hinzufügen von Molekülgruppen führt zu einer Umstrukturierung der Chromatinorganisation und entweder eine Aktivierung oder eine Stilllegung einzelner Gene auslösen können. Die Epigenetik stellt damit eine zusätzliche Informationsebene dar, die in den Zellen bestimmt, welche Gene aktiviert werden sollen. Trotz ihres gemeinsamen Genoms besitzen Zellen in unserem Körper daher unterschiedliche Epigenome.
Generationsübergreifende Übertragung
Die Keimzellen der Eltern, die Eizelle und das Spermium, verschmelzen während der Befruchtung zu einem neuen Organismus. Lange Zeit ging man davon aus, dass die meisten epigenetischen Modifikationen der Eltern im Übergang zur neuen Generation ausgelöscht werden. Dieser epigenetische Neustart ermöglicht es, dass alle Gene für jedes neue Individuum neu abgelesen werden können. Nun haben Wissenschaftler aus dem Labor von Asifa Akhtar jedoch entdeckt, dass eine bestimmte Histonmodifikation, und zwar die Azetylierung des Histons H4 auf dem 16. Lysin (kurz H4K16ac), von der Eizelle der Mutter bis zum jungen Embryo generationsübergreifend erhalten bleibt.
„H4K16ac ist eine epigenetische Modifikation, die typischerweise mit der Aktivierung von Genen in Verbindung gebracht wird. Wir wissen jedoch, dass Gene weder in der Eizelle noch in den ersten drei Stunden des Lebens des Embryos exprimiert werden. Das wirft die Frage auf: Was macht H4K16ac in diesem frühen Stadium?“, erläutert Asifa Akhtar. Um die Funktion dieser Histonmodifikation in der frühen Fliegenentwicklung zu untersuchen, führte das Team eine Reihe genomweiter Analysen durch. Dabei fanden sie heraus, dass zahlreiche DNA-Regionen während der frühen Entwicklungsstadien vor dem Beginn ihrer Genaktivierung durch H4K16ac „markiert“ wurden.
Epigenetik der Mutter ist unverzichtbar
Die Bedeutung von H4K16ac für den Nachwuchs wurde deutlich, als die Forscher testeten, was passiert, wenn die Mutter diese Markierung nicht an ihre Kinder weitergibt. Hierfür entwickelten die Forscher verschiedene Experimente mit gentechnisch veränderten Fliegen, um das Enzym MOF bei den Fliegenmüttern zu entfernen. Es ist verantwortlich für die Ablagerung der H4K16ac-Modifikation.
Bei der Untersuchung der Nachkommen, die von Müttern ohne die H4K16ac-Information gelegt wurden, stellten die Wissenschaftler fest, dass die unter normalen Bedingungen mit H4K16ac markierten Gene nun nicht mehr angemessen exprimiert wurden und ihre Chromatinorganisation erheblich gestört war. Die Mehrheit der Embryos, die die mütterlichen H4K16ac-Instruktionen nicht erhielten, starb in weiterer Folge an Entwicklungsstörungen. „H4K16ac hat offenbar eine Art instruierende Funktion in der Keimbahn und ist für die Embryonalentwicklung unentbehrlich. Es ist fast so, als würde die Mutter kleine Klebezettel mit Anweisungen hinterlassen, wo das Abendessen zu finden ist oder wer im Notfall angerufen werden soll, wenn das Kind zum ersten Mal abends allein zu Hause ist“, sagt Maria Samata, Erstautorin der Studie.
Von den Fliegen zum Menschen
„Die Tatsache, dass Fliegenmütter den Erfolg ihrer Nachkommen durch Epigenetik sichern, noch bevor sie gezeugt werden, ist ein faszinierendes Ergebnis“, sagt Asifa Akhtar. Als nächstes waren die Forscher daran interessiert, ob es vergleichbare Mechanismen auch in Säugetieren gibt. Dabei fanden sie heraus, dass auch weibliche Mäuse die H4K16ac-Histonmodifikation über ihre Eizellen an die Nachkommen weitergeben. Daraus ergibt sich für die Freiburger Forscher die faszinierende Möglichkeit, dass auch beim Menschen H4K16ac von der Mutter als Plan für eine erfolgreiche Embryonalentwicklung weitergegeben wird. Ob dies der Fall ist und welche Informationen dieser „Bauplan“ schlussendlich kodieren könnte, sind offene Fragen für zukünftige Untersuchungen.
MR