Luftverschmutzung als Kofaktor bei Covid-19-Sterbefällen

15 Prozent der weltweiten Todesfälle durch das Coronavirus könnten auf die Belastung mit Feinstaub zurückzuführen sein

Luftverschmutzung erhöht offenbar das Risiko, an Covid-19 zu sterben. Zu diesem Schluss kommt ein internationales Forscherteam, an dem auch Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Chemie in Mainz beteiligt waren. Demnach sind 15 Prozent der weltweiten Covid-19-Todesfälle auf die Belastung durch Feinstaub aus menschlichen Quellen, also etwa aus der Verbrennung fossiler Energieträger, zurückzuführen, in Deutschland sind es sogar 26 Prozent. Offenbar schädigt Feinstaub Blutgefäße auf ähnliche Weise wie Sars-CoV-2 und erleichtert dem Virus die Infektion von Zellen in der Lunge.

Dass das Risiko, an Covid-19 zu sterben, steigt, wenn man langfristig verschmutzte Luft einatmet, liegt nahe, ist jedoch nicht direkt messbar. Nun ermittelt ein internationales Forscherteam in einer Studie erstmals den Anteil der Covid-19-Todesfälle, die auf Luftverschmutzung durch Feinstaub zurückzuführen sein könnte. Demnach könnten etwa 15 Prozent der weltweiten Todesfälle durch Covid-19 durch eine langfristige Exposition gegenüber Luftverschmutzung mitverursacht worden sein.

Den Autoren des Max-Planck-Instituts für Chemie, der Harvard T.H. Chan School of Public Health, des London Centre for Climate Change and Planetary Health, der Berliner Charité und der Universitätsmedizin Mainz zufolge liegt der Anteil der luftverschmutzungsbedingten Covid-19 Todesfälle in Europa bei 19 Prozent, in Nordamerika bei 17 Prozent und in Ostasien bei 27 Prozent. Die Zahlen entsprechen einer Schätzung des Anteils der Covid-19-Todesfälle, der hätte vermieden werden können, wenn die Bevölkerung keiner  vom Menschen verursachten Luftverschmutzung ausgesetzt wäre, wenn es also keine Emissionen aus der Nutzung fossiler Brennstoffe und anderen anthropogenen Quellen gäbe.

26 Prozent der Covid-19-Todesfälle in Deutschland durch Luftverschmutzung

Andrea Pozzer, Forscher des Mainzer Max-Planck-Instituts für Chemie betont, dass der zurechenbare Anteil keinen direkten Zusammenhang zwischen Luftverschmutzung und Covid-19-Mortalität beweist, sondern einen indirekten Effekt, weswegen er und seine Kollegen auch relative Zahlen angeben: „Unsere Schätzungen zeigen die Bedeutung der Luftverschmutzung für Komorbiditäten, also Gesundheitsfaktoren, die sich gegenseitig verschlimmern und so tödliche gesundheitliche Folgen der Virusinfektion auslösen können,“ sagt der Atmosphärenforscher und Erstautor der Studie.

Für die einzelnen Ländern ergeben die Schätzungen der mit Luftverschmutzung in Zusammenhang stehenden Covid-19-Todefälle ein sehr unterschiedliches Bild: Vergleichsweise hoch ist der Anteil in der Tschechischen Republik mit 29 Prozent, in China mit 27 Prozent und in Deutschland mit 26 Prozent. Niedriger ist der Anteil beispielsweise in Italien (15 Prozent) oder Brasilien (12 Prozent). Einstellig sind die Werte für Israel (6 Prozent), Australien (3 Prozent) und Neuseeland (1 Prozent). In ihrer Publikation geben die Forscher auch jeweils das statistische Konfidenzintervall ihrer Berechnungen an, das weltweit bei 5 bis 33 Prozent liegt.

Pozzer, der ebenfalls am Internationalen Zentrum für Theoretische Physik in Triest, Italien, forscht, bewertet die Daten wie folgt: „Obwohl unsere Ergebnisse Unsicherheiten aufweisen, wird der Beitrag der Luftverschmutzung an der Covid-19-Mortalität klar ersichtlich. Allerdings wird die tatsächliche Sterblichkeit durch viele Faktoren beeinflusst, wie beispielsweise das Gesundheitssystem des Landes.“

Jos Lelieveld, Direktor am Max-Planck-Institut für Chemie und Professor am Cyprus Institute in Nikosia, Zypern, kommentiert die Zahlen: „Da die Anzahl der Todesfälle durch Covid-19 ständig zunimmt, ist es zwar nicht möglich, endgültige Zahlen der Todesfälle pro Land anzugeben, die auf Luftverschmutzung zurückgeführt werden können. Allerdings starben beispielsweise in Großbritannien seit Beginn der Pandemie bis Mitte Juni etwa 44.000 Menschen an Covid-19. Wir schätzen, dass der luftverschmutzungsbedingte Anteil bei 14 Prozent lag, was knapp 6.000 Todesfällen entspricht. In den USA führten 220.000 Covid-Todesfälle mit einem Anteil von 18 Prozent zu fast 40.000 Todesfällen, die auf Luftverschmutzung zurückgeführt werden können.“

Feinstaub schädigt die Blutgefäße und verstärkt die Virusaufnahme

„Wenn Menschen verschmutzte Luft einatmen, wandern die sehr kleinen gesundheitsschädlichen Feinstaubpartikel von der Lunge ins Blut und in die Blutgefäße,“ erläutert Thomas Münzel, Professor am Universitätsklinikum Mainz, die Wirkung von Luftverschmutzung auf unseren Körper. „Dort verursachen sie Entzündungen und starken oxidativen Stress, der das Gleichgewicht zwischen freien Radikalen und den Oxidationsmitteln stört, die normalerweise Zellschäden reparieren“, so der Direktor am Zentrum für Kardiologie der Universitätsmedizin Mainz und Mitautor der Studie. Dies wiederum schädigt die innere Arterienschicht, das Endothel, und führt zu einer Verengung und Versteifung der Arterien. Auch das Corona-Virus gelangt über die Lunge in den Körper und verursacht ähnliche Schäden an den Blutgefäßen. Es wird daher auch als Endothelerkrankung angesehen.

„Kommen eine langfristige Exposition gegenüber Luftverschmutzung und die Infektion mit dem Covid-19-Virus zusammen, dann addieren sich die negativen Gesundheitseffekte, insbesondere in Bezug auf das Herz und die Blutgefäße. Das wiederum führt zu einer größeren Anfälligkeit und einer geringeren Widerstandsfähigkeit gegenüber Covid-19. Wenn Sie bereits an einer Herzerkrankung leiden, verursachen Luftverschmutzung und Coronavirus-Infektionen Probleme, die zu Herzinfarkt, Herzinsuffizienz und Schlaganfall führen können“, so der Mediziner Münzel.

„Feinstaub scheint die Aktivität des ACE-2 Rezeptors auf Zelloberflächen zu erhöhen. Von diesem Rezeptor ist bekannt, dass er an der Art und Weise beteiligt ist, wie Covid-19 Zellen infiziert. Wir haben also einen Doppeltreffer: Luftverschmutzung schädigt die Lunge und erhöht die Aktivität von ACE-2, was wiederum zu einer verstärkten Aufnahme des Virus durch die Lunge führt“, fügt Münzel hinzu.

Kein Impfstoff gegen schlechte Luftqualität

Für ihre Auswertung verwendeten die Forscher Ergebnisse einer US-amerikanischen Epidemiologie-Studie, die einen Zusammenhang zwischen der COVID-19-Mortalität und der Belastung mit Feinstaub der Größe PM2,5 abgeschätzt hat. So bezeichnet man Partikel mit einem Durchmesser von 2,5 Mikrometern oder kleiner. Diesen Zusammenhang verglichen die Forscher mit chinesischen Studien, die die Feinstaubbelastung und die Folgen der SARS-CoV-1-Epidemie in 2003 analysiert hatten. Diese Untersuchungen bestätigten, dass das Risiko, an der Krankheit zu sterben, in Gebieten mit mäßiger Luftverschmutzung im Vergleich zu Gebieten mit relativ sauberer Luft um mehr als 80 Prozent erhöht war. In stark verschmutzten Regionen war das Risiko sogar doppelt so hoch. Die Wissenschaftler schlussfolgern daraus, dass ein Zusammenhang zwischen COVID-19-Todesfällen und der langfristigen Exposition gegenüber PM2.5 sehr wahrscheinlich ist. Den regionalen Anteil der zuzuordnenden COVID-19-Todesfälle ermittelten die Wissenschaftler mit Hilfe von Daten der globalen Feinstaubverteilung, die sie aus Satellitendaten, bodengestützten Luftverschmutzung-Netzwerken und numerischen Modellen gewannen.

YouTuber MisterWissen2go interviewt Jos Lelieveld vom Max-Planck-Institut für Chemie und Thomas Münzel von der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz

Verkürzt die Luftverschmutzung unser Leben?

YouTuber MisterWissen2go interviewt Jos Lelieveld vom Max-Planck-Institut für Chemie und Thomas Münzel von der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz
https://www.youtube.com/watch?v=WZyhuFllEok

Da die Ergebnisse auf epidemiologischen Daten der dritten Juniwoche 2020 basieren, planen die Wissenschaftler eine abschließende Bewertung der gesamten Daten nach dem Abklingen der COVID-19 Pandemie.

Die Autoren richten in ihrer Publikation ein deutliches Plädoyer an die Politik: „Unsere Ergebnisse legen nahe, dass die Reduzierung der Luftverschmutzung selbst bei relativ niedrigen PM2,5-Werten erhebliche Vorteile bringen kann. Der hier gezeigte Umweltaspekt der COVID-19-Pandemie ist, dass wir verstärkt nach wirksamen Maßnahmen zur Reduzierung anthropogener Emissionen, die sowohl Luftverschmutzung als auch den Klimawandel verursachen, streben müssen. Die COVID-19-Pandemie wird mit der Impfung der Bevölkerung oder mit der Herdenimmunität durch weitreichende Infektion der Bevölkerung enden. Es gibt jedoch keinen Impfstoff gegen schlechte Luftqualität und den Klimawandel. Der Weg ist die Minderung von Emissionen. Der Übergang zu einer grünen Wirtschaft mit sauberen, erneuerbaren Energiequellen wird sowohl der Umwelt dienen als auch die öffentliche Gesundheit befördern - lokal durch eine besser Luftqualität und global durch die Begrenzung des Klimawandels.“

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