Ein Spaziergang fürs Gehirn
Eine Studie zeigt, dass sich Zeit im Freien positiv auf unsere Gehirnstruktur auswirkt
Wer regelmäßig an der frischen Luft ist, tut nicht nur seinem Wohlbefinden, sondern auch seinem Gehirn etwas Gutes. Zu diesem Ergebnis kommt eine Untersuchung des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung und des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf.
Erwachsene verbringen durchschnittlich 80 bis 90 Prozent des Tages in geschlossenen Räumen – eine recht junge Entwicklung in der menschlichen Evolution. Besonders gesund ist dieses Verhalten vermutlich nicht. Schon in der Vergangenheit haben verschiedene Studien gezeigt, dass es sich positiv auf die Gesundheit auswirkt, wenn wir Zeit im Freien verbringen. Eine neurowissenschaftliche Untersuchung ergab nun, dass auch unsere Gehirnstruktur von Aufenthalten draußen profitiert. Das gilt unabhängig davon, ob wir in der Stadt oder im Grünen sind, und auch bereits für recht kurze Phasen im Freien. Bisher wurde angenommen, dass uns Umwelten nur über längere Zeiträume beeinflussen.
Das Forschungsteam untersuchte sechs gesunde, in der Stadt lebende Personen mittleren Alters über ein halbes Jahr lang regelmäßig. Insgesamt wurden über 280 Scans von ihren Gehirnen mittels Magnetresonanztomographie (MRT) gemacht. Das Team nahm dabei vor allem in den Blick, wie viel Zeit die Teilnehmenden in den 24 Stunden vor den Untersuchungen im Freien verbracht hatten. Zusätzlich fragte es, wie viel Flüssigkeit und wie viele koffeinhaltige Getränke die Testpersonen zu sich genommen hatten, wie viel Freizeit sie gehabt und wie viel Sport sie getrieben hatten. Um saisonale Unterschiede einbeziehen zu können, wurde auch die Sonnenscheindauer in dem Studienzeitraum berücksichtigt.
Die graue Substanz profitiert
Die Gehirnscans zeigen, dass die Zeit, die die Studienteilnehmenden im Freien verbrachten, in einem positiven Zusammenhang mit der grauen Substanz im rechten dorsolateral-präfrontalen Kortex steht. Beim dorsolateral-präfrontalen Kortex handelt es sich um den oben (dorsal) und seitlich (lateral) gelegenen Teil des Stirnlappens in der Großhirnrinde. Dieser Teil des Kortex ist an der Planung und Regulation von Handlungen und an der sogenannten kognitiven Kontrolle beteiligt. Zudem ist bekannt, dass viele psychiatrische Störungen mit einer Reduktion der grauen Substanz im präfrontalen Bereich des Gehirns einhergehen.
Die Ergebnisse blieben auch bestehen, wenn die anderen Faktoren konstant waren, die den Zusammenhang zwischen der verbrachten Zeit im Freien und der Gehirnstruktur alternativ erklären könnten. Die Forschenden führten zudem statistische Berechnungen durch, um den Einfluss von Sonnenscheindauer, Freizeit, körperlichen Aktivitäten und Flüssigkeitsaufnahme auf die Ergebnisse zu überprüfen. Die Berechnungen belegten, dass Zeit im Freien unabhängig von den anderen Einflussfaktoren einen positiven Effekt auf das Gehirn hatte.
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass sich unsere Gehirnstruktur und unsere Stimmung verbessern, wenn wir Zeit im Freien verbringen. Es ist anzunehmen, dass sich dies auch auf die Konzentration, das Arbeitsgedächtnis und die Psyche insgesamt auswirkt. Dies untersuchen wir in einer aktuell laufenden Studie, in der die Probanden zusätzlich Denkaufgaben lösen müssen und zahlreiche Sensoren tragen, die beispielsweise die Lichtmenge messen, der sie am Tag ausgesetzt sind“, sagt Simone Kühn, Leiterin der Lise-Meitner-Gruppe Umweltneurowissenschaften am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung und Erstautorin der Studie.
Relevant für psychiatrische Erkrankungen
Die Ergebnisse belegen demnach die bereits angenommenen positiven Effekte auf die Gesundheit und erweitern sie um die konkreten positiven Auswirkungen aufs Gehirn. Da die meisten psychiatrischen Erkrankungen mit Defiziten im präfrontalen Kortex in Verbindung gebracht werden, ist dies von großer Bedeutung für die Therapie psychiatrischer Erkrankungen.
„Diese Erkenntnisse bieten neurowissenschaftliche Unterstützung für die Behandlung von psychischen Störungen. So könnten Ärztinnen und Ärzte einen Aufenthalt an der frischen Luft als Teil der Therapie verschreiben, ähnlich wie es bei Kuren üblich ist“, sagt Anna Mascherek, Postdoc in der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und Co-Autorin der Studie.
In den aktuell laufenden weiterführenden Studien möchten die Forschenden untersuchen, wie sich grüne Umgebungen im direkten Vergleich zu städtischen Räumen auf das Gehirn auswirken. Um nachvollziehen zu können, wo genau die Testpersonen ihre Zeit draußen verbringen, plant das Forschungsteam, GPS-Daten zu nutzen und weitere Einflussfaktoren wie Verkehrslärm oder Luftverschmutzung miteinzubeziehen.