Der menschliche Fingerabdruck im Wetterrauschen
Klaus Hasselmann entwickelte das statistische Modell, mit dem sich die Erderwärmung dem Anstieg der CO2-Konzentration in der Atmosphäre zuschreiben lässt. Dafür erhält der ehemalige Direktor am Max-Planck-Institut für Meteorologie den Nobelpreis für Physik 2021.
Ohne Provokation geht es oft nicht, gerade in der Wissenschaft: Klaus Hasselmann forderte mit seinen Arbeiten die Klimaforschung heraus – legte so aber die Grundlage, dass sich die Erderwärmung heute eindeutig auf die Zunahme von CO2 in der Atmosphäre zurückführen lässt. Er trug damit auch wesentlich dazu bei, dass Gesellschaft und Politik den Klimawandel inzwischen als eines der drängendsten Probleme der Menschheit ansehen. Und er hat selbst unermüdlich und mit großem Engagement dafür geworben, die CO2-Emissionen zu reduzieren, um den Klimawandel aufzuhalten.
Klaus Hasselmann betrachtete das Klima nicht länger als physikalisches System, in dem sich jeder Veränderung deterministisch eindeutig eine Ursache zuordnen lässt, so wie sich die Bahn eines geworfenen Balls aus seiner anfänglichen Geschwindigkeit und Flugrichtung ergibt. Stattdessen verschaffte Klaus Hasselmann dem Zufall Eingang in die Klimaforschung und betrachtete die langfristigen Entwicklungen des Klimas gewissermaßen als Ergebnis des meteorologischen Rauschens, als das sich die kurzfristigen Wetterschwankungen begreifen lassen. So hatte vor ihm noch keiner auf Wetter und Klima geblickt. Die Nobelstiftung beschreibt den Zusammenhang mit einem Bild: Wenn ein Hund mit Frauchen oder Herrchen Gassi geht, springt er mal in die eine, mal in die andere Richtung, folgt aber im Großen und Ganzen doch dem Weg seiner Menschen. Genauso ist es mit dem Wetter und dem Klima. Das Wetter schlägt mehr oder weniger zufällig mal in die eine und in die andere Richtung aus, macht unterm Strich aber das Klima.
Der Fingerabdruck des CO2
Doch bei der statistischen Beschreibung des Klimas blieb Klaus Hasselmann nicht stehen, denn im Rauschen lässt sich erst einmal nichts erkennen. Ganz so wie die Nachrichtentechnik interessierten ihn die Signale, die sich in dem Rauschen verstecken. In der Klimaforschung sind das die vielen Faktoren, die das Klima beeinflussen: die Energie des Sonnenlichts vor allem, aber auch die atmosphärischen Strömungen, der Wärmeaustausch zwischen Atmosphäre und Ozean, Partikel aus Vulkanausbrüchen – und der Treibhauseffekt durch Kohlendioxid, dessen Anteil in der Atmosphäre seit Beginn der Industrialisierung stetig zunimmt. Ihn hatte Syukuro Manabe bereits in den 1960er-Jahren mit einem Modell beschrieben, für das er gemeinsam mit Klaus Hasselmann und dem italienischen Physiker Giorgio Parisi den Nobelpreis für Physik 2021 erhält.
Bereits Ende der 1970er-Jahre hatte Klaus Hasselmann das mathematische Werkzeug entwickelt, mit dem sich der Effekt des menschengemachten CO2-Ausstoßes in den statistischen Schwankungen des Wetters nachweisen lässt. Doch es dauerte gut 15 Jahre, bis Klimaforscherinnen und -forschern am Max-Planck-Institut für Meteorologie und ihre Kolleginnen und Kollegen weltweit das Modell dafür auch nutzte. Das lag nicht zuletzt daran, dass die ursprünglichen Arbeiten ziemlich unverständlich waren, wie Hasselmann selbst kürzlich in einem Interview mit der Welt einräumte. Doch Anfang der 1990er-Jahre schrieb Hasselmann die Arbeit um, und mit dem Fingerabdruck fand sich ein griffiger Ausdruck, der beschreibt, was das Modell leistet: Es filtert die Signale einzelner Klimafaktoren und vor allem den Fingerabdruck des Kohlendioxids aus dem meteorologischen Rauschen.
Auf 95 Prozent bezifferten die Forschenden des Max-Planck-Instituts für Meteorologie bereits 1995 die Wahrscheinlichkeit, dass die Erderwärmung, die sich schon damals in den Messdaten bemerkbar machte, auf den Anstieg der CO2-Konzentration in der Atmosphäre zurückzuführen war. Inzwischen hat die Klimaforschung ihre Aussagen so verfeinert, dass sie sich in diesem Punkt praktisch 100-prozentig sicher ist. Viele Prozesse und Rückkopplungen kann sie heute präziser beschreiben, als das noch in den 1990er-Jahren möglich war. Doch im Prinzip geht sie bei ihren Prognosen immer noch nach der Fingerabdruckmethode von Klaus Hasselmann vor.
Das Global Climate Forum unterstützt den Weg zur Klimaneutralität
So ist es auch der Verdienst von Klaus Hasselmann, dass heute keine ernst zu nehmende Stimme mehr den menschengemachten Klimawandel leugnet. In den 1990er-Jahren waren die Zweifler dagegen noch lauter und weniger isoliert. Unermüdlich stand Klaus Hasselmann auch gegenüber Skeptikern für seine Forschung ein und rief schon damals dazu auf, die Treibhausgasemissionen beherzt zu senken. Und das tut er heute immer noch. So unterzeichnete er als einer der Ersten die erste Stellungnahme, mit der Scientsists for Future die Ziele der Fridays for Future-Bewegung unterstützten und sich für mehr Klimaschutz aussprachen.
„Was wir jetzt am dringendsten brauchen, sind direkte Maßnahmen gegen den Klimawandel. Es gibt viele Dinge, die wir tun können, um den Klimawandel zu bremsen. Die Frage ist aber, ob Menschen erkennen, dass wir jetzt handeln müssen, um etwas zu stoppen, das in 20 oder 30 Jahren eintreten wird. Das ist das Hauptproblem des Klimawandels“, sagte Klaus Hasselmann gegenüber der Nobel-Stiftung. "Und dagegen kämpfen wir als Klimaforscher nun schon seit vielen Jahren.“
Um die Erkenntnisse der Klimaforschung in die Gesellschaft zu tragen und wirkungsvolle, aber auch praktikable Maßnahmen gegen den Klimawandel zu entwickeln, gründete Klaus Hasselmann gemeinsam mit Carlo C. Jaeger vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung das European Climate Forum, das inzwischen viele Partner außerhalb Europas angelockt und sich daher in Global Climate Forum umbenannt hat. Das Forum bringt Akteure aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft zusammen und stößt Forschungsprojekte an, die Wirtschaft und Gesellschaft auf dem Weg zur Klimaneutralität begleiten sollen.
Klimaänderungen waren einfacher zu lösen als die Turbulenz
Klaus Hasselmann baute ab 1975 das Max-Planck-Institut für Meteorologie auf und wirkte dort bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1999. Zuvor hatte er unter anderem am Scripps Institut für Oceanographie an der University of California in La Jolla und an der Universität Hamburg geforscht, wo er sich 1963 habilitierte und zwischen 1969 und 1975 als Professor lehrte.
Dass sein Weg ihn gewissermaßen zu einem der ersten Klimaaktivisten aus der Wissenschaft machte, war anfangs nicht abzusehen. Er promovierte am Max-Planck-Institut für Strömungsforschung, das inzwischen in Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation umbenannt wurde, und an der Universität Göttingen auf dem Gebiet der Strömungsdynamik. Eigentlich wollte er das Turbulenzproblem lösen, sagte er in einem Interview mit der Welt. Turbulenz spielt bei allen Strömungsprozessen, also auch beim Klima eine Rolle und gilt als eines der größten ungelösten Probleme der Physik. „Klimaänderungen waren ein einfacheres Problem, das man lösen konnte, das habe ich dann gelöst.“
PH